Die neue Kampagnenplattform Digitale Gesellschaft will InternetnutzerInnen eine Stimme verleihen. Super, oder? Doch statt Applaus bekommen wir in der Netz-Öffentlichkeit die Geräuschkulisse einer heftigen Debatte zu hören. Die Medienwissenschaftlerin und Berliner Gazette-Autorin Christiane Schulzki-Haddouti hat das digitale Tosen analysiert und entwickelt ein paar Zukunftsperspektiven.
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Sehr viele digitale Themen – angefangen bei der Vorratsdatenspeicherung, über ELENA, das Urheberrecht bis hin zu Open Data – werden von der Politik behandelt. Dabei entsteht bei vielen InternetnutzerInnen der Eindruck, dass wertvolle Eigenschaften des Internet wie etwa seine Offenheit und seine Transparenz nicht wirklich verstanden werden. In der Folge entstehen nämlich Regulierungen, die als Rückschritt, mitunter auch als Gefährdung der Bürgerrechte empfunden werden.
Das mangelnde Verständnis vieler Politiker hatte meinen Eindruck nach in der Vergangenheit mehrere Ursachen: Zum einen sind die meisten Politiker nicht mit dem Netz aufgewachsen und daher fehlt ihnen ein intuitiver Zugang. Zum anderen wurden die Politiker vornehmlich von Wirtschaftslobbyisten beraten, Vertreter der Zivilgesellschaft wurden nicht systematisch einbezogen. Und doch gab es in diesem Bereich durchaus einige Lobbygruppen.
Zivilgesellschaftliches Engagement und Netzpolitik
Werfen wir einen Blick auf die Juryliste des Big-Brother-Award. Sie zeigt das Who is Who des zivilgesellschaftlichen Engagements für das Internet in Deutschland. Der Preis war von Anfang an so konzipiert, dass sich die einschlägigen Protagonisten über die gemeinsame Arbeit stärker untereinander vernetzen sollten. Dies hat auch, siehe das Beispiel Vorratsdatenspeicherung, auch erfolgreich geklappt.
Am Beispiel des Organisators FoeBud zeigt sich jedoch bereits das Problem, vor dem jede Neugründung stehen wird: Abgesehen davon, dass der FoeBud bei seiner Gründung kein glückliches Händchen bei seiner Namensfindung hatte und er ebenfalls einen umfassenden Vertretungsanspruch für die digitale Gesellschaft anmelden könnte, ist er wie der just gegründete Verein Digitale Gesellschaft verortet: Der FoeBud arbeitet vor allem mit Menschen in und um Bielefeld zusammen, die sich wöchentlich physisch treffen können.
Digitale Gesellschaft ist in Berlin verortet und wird vor allem von Aktivisten in Berlin getragen. Der geostrategische Vorteil liegt auf der Hand: Politische Protagonisten lassen sich in Berlin schneller kontaktieren und aufsuchen als in Bielefeld. Der Nachteil ebenso: Viele Menschen, die sich engagieren könnten, wohnen eben nicht in Berlin oder Bielefeld.
Hier haben wir es mit einem Dilemma zu tun: Aktivitäten im Netz sind nicht orts- und zeitgebunden, Lobbyarbeit in den Parlamenten ist es aber sehr wohl. Hier wird der Verein Digitale Gesellschaft Konzepte der internetbasierten Kollaboration entwickeln müssen, die allen Interessierten eine einfache Mitarbeit ermöglicht. Vielleicht könnte Digitale Gesellschaft auch nach dem Muster des Chaos Computer Clubs örtliche Abeitskreise initiieren.
Da sich Digitale Gesellschaft vor allem der Kampagnenarbeit widmen möchte, könnte man vermuten, dass sie sich gar nicht so sehr von der 2004 entstandenen Meta-NGO Campact unterscheidet – dem Selbstverständnis nach „ein Netzwerk von Menschen, die sich einmischen, wenn politische Entscheidungen auf der Kippe stehen.“ Warum aber hat Campact die netzpolitischen Herausforderungen nicht in seine Agenda einfach übernommen? Wohl deswegen, weil Campact NGO-übergreifend zu allen möglichen politischen Themen arbeitet und sich nicht kontinuierlich mit nur einem Themenausschnitt beschäftigen kann.
Campact bitet seine Software als Open-Source-Baukasten an und es ist zu vermuten, dass auch Digitale Gesellschaft vom Campact-Know-How direkt profitieren wird. Es ist auch zu hoffen, dass sie das tun – und den Baukasten so weiterentwickeln wird, dass auch Campact wiederum von Digitale Gesellschaft profitieren wird. Genauso ist es wünschenswert, dass Digitale Gesellschaft auch vom FoeBud und dem AK Zensur lernen wird: Beide haben es geschafft, viele verschiedene Organisationen zu den Themen Vorratsdatenspeicherung und Netzsperren zu mobilisieren und in die Kampagnen erfolgreich einzubinden.
Das Potenzial von Digitale Gesellschaft
Entgegen der heftigen Kritik in diversen Netz-Foren (etwa hier) halte ich Digitale Gesellschaft für eine Bereicherung des zivilgesellschaftlichen Engagements. Ich hoffe, dass der Initiator Markus Beckedahl die klandestine Gründungsphase recht rasch in eine kooperative Phase überleitet. Bald sollten sämtliche in der Netzpolitik aktiven Organisationen sich nicht nur einbringen, sondern von dem neuen Verein auch profitieren können. Mit dem Namen ist gleichwohl ein allgemeingültiger Vertretungsanspruch verbunden, der ohne eine umfassende Kooperation mit anderen Protagonisten nicht einzulösen ist.
Wichtig ist aus meiner Sicht eine inhaltliche Zusammenarbeit, um fundierte Positionen zu entwickeln. Kampagnen sollten dabei aber nur ein Baustein eines umfassenden Baukastens sein. Um an inhaltlicher Substanz zu gewinnen, sollte Digitale Gesellschaft auch aktiv mit ExpertInnen und WissenschaftlerInnen im Sinne eines zivilgesellschaftlichen Think Tanks zusammenarbeiten – und diese Zusammenarbeit ins Netz zu transportieren. Google hat hier mit seinem Collaboratory bereits vorgemacht, wie das gehen könnte – aber aufgrund seiner Berlin-Basiertheit vor allem nur die Berliner Szene ansprechen können. Es könnte aber auch ganz anders funktionieren.
Ein weiterer Schritt könnte darin bestehen, nicht nur die Interessen der NutzerInnen zu artikulieren, sondern auch professionell in Musterprozessen zu vertreten. Ob Digitale Gesellschaft entsprechend aufgestellt ist, kann ich leider mangels Information nicht bewerten. Digitale Gesellschaft könnte jedenfalls von US-amerikanischen NGOs wie der EFF oder der CCIA lernen: Sie werden von vielen Unternehmen bezahlt, sind jedoch nicht diesen – wie der Bitkom – verpflichtet, sondern bestimmten Leitprinzipien wie „Offenheit“ und „Transparenz“. Hierfür müssten aber auch Unternehmen in Deutschland umdenken, die bislang vor allem auf eine möglichst direkte Interessensvertretung Wert legen. Der US-amerikanische Stil des von Prinzipien geleiteten Lobbyings ist in Deutschland bislang nicht üblich.
Kritik an Digitale Gesellschaft
Die erste Kritik an Digitale Gesellschaft kann ich teilweise nachvollziehen. Der Name verspricht viel – und ob sich dieses Versprechen einlösen lässt, ist fraglich. Der entscheidende Kritikpunkt besteht eigentlich darin, dass man eine umfassende Kooperationsfähigkeit und Offenheit anzweifelt. Die mangelnde Transparenz des Vereins – fehlendes Statut, fehlende Gründerliste, führt natürlich zu einem Glaubwürdigkeitsverlust. Aus eigener Erfahrung mit der Gründung des Whistleblower-Netzwerks kann ich sagen: Der Gründungsprozess kann sich in der Tat in die Länge ziehen. Dies darf jedoch kein Grund für mangelnde Transparenz sein.
Natürlich bezieht sich die bisherige Kritik auch auf das Image von Markus Beckedahl, der sich für die Prinzipien „Offenheit“ und „Transparenz“ in der Vergangenheit glaubwürdig eingesetzt hat. Viele Beobachter sahen hier wohl einen gewissen Konflikt zwischen Anspruch und Auftreten. Vermutlich werden die ersten Schwierigkeiten aber rasch überwunden sein, das zeigt ja auch das rasch erstellte FAQ auf der Website des Vereins.
Schwieriger dürfte es sein, tragfähige Kooperationen mit den bestehenden Organisationen zu finden, um die richtigen Schritte unternehmen zu können. Um erfolgreiche Kampagnen durchzuführen, muss man sich nicht nur inhaltlich sondern auch in Bezug auf seine MitstreiterInnen gut aufstellen. Hier könnten Eitelkeiten der ProtagonistInnen eine Zusammenarbeit blockieren – wichtig ist es daher die Aktionen so zu planen, dass Win-Win-Situationen entstehen.
Letztlich halte ich das Anliegen des Vereins für wichtig, die Netzpolitik in Deutschland auch mit Blick auf die Europäischen Union, in der die meisten relevanten Entscheidungen getroffen werden, besser aufzustellen. Die Gründung ist eine große Chance. Es kommt jetzt nicht nur auf das richtige Fingerspitzengefühl an. Sondern es kommt auch auf eine gute Strategie an, um den Adler nicht gleich nach dem Start wieder landen zu lassen.
Anm.d.Red.: Die Verfasserin dieses Beitrags ist Autorin des Standardwerks Bürgerrechte im Netz.
27 Kommentare zu
@ims Die Kooperation habe ich angesprochen, weil die Kritik ja lautet, dass der Verein eigentlich nur den Hauptgründer promotet, sich nur auf Berlin bezieht usw. Einen Kampagnenplattform kann so und so betrieben werden. Wichtig ist meiner Ansicht nach, dass mit den bestehenden Organisationen eng kooperiert wird. Dass das nicht so einfach ist, zeigen z.B. die Vorgänge um die Klage gegen ELENA. Mehr möchte ich jetzt hier dazu nicht sagen, das muss sorgfältig überlegt sein.
"Campact bietet seine Software"
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Eine rein lokale Ausrichtung nur auf/in Berlin macht m.e. in diesen Zeiten, zu einem solchen Thema und mit diesem Namen nicht wirklich Sinn. Ein Netzwerk aus über das Land verteilten aktiven Beteiligten schon viel mehr, wie auch immer man sich dabei organisieren will. Nur über mehr Eigengewicht kann man sich auch repräsentativ genug aufstellen und dem Anspruch eine ausreichende Basis verleihen, bevor man überhaupt daran denkt, sich mit anderen Gruppen mindestens auf Augenhöhe zu vernetzen, die in die selbe Richtung denken und agieren, oder gar die Themen selbst treibt. Die Entwicklungen hinter dem Social Media Boom zeigen: erst durch die Vernetzung Vieler gewinnen Themen an Einfluss un die Themenmacher mit der Zahl derer, die in die selbe Richtung gehen. Neben lokaler Präsenz ist auch eine breit angelegt Social Media Strategie ein von mir bisher in vielen Beiträgen stark vermisster Faktor, der in ein ja immer noch zu kommunizierendes Konzept gehört. Ich bin gespannt ;-)
Ich freue mich über eine solch profunde, konstruktive Kritik. Es ist zu hoffen, dass die Macher in der "Digitalen Gesellschaft" sich diese auch zu Herzen nehmen.
Schon die absehbare Oster-Benzin-Teuerung wurde nicht als Thema und Werbekampagne genutzt obwohl das schnelle Auftauchen von digiges ja angeblich Absicht war und man damit fast jeden Bürger mit Auto und Internet auf seine Seite hätte ziehen können.
Viele Freunde und Unterstützer findet man mit klassischen Vereins-Strukturen eher nicht. Machtgier zerfrisst gerade ja andere Organisationen die anfangs für gut gehalten wurden. Möglicherweise landet digiges für den Großteil der potenziellen Zielgruppe also in derselben Schublade wie vatm, eco, bitkom, inm, Parteien, rog, attac, Gwerkschaften, ... : "Nichts, wo man selber mitmachen würde.".
"So viel Macht habe ich mir echt nicht zugetraut"
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2011/0426/medien/0008/
"Die Gründungsmitglieder der “Digitale Gesellschaft” sind: Markus Beckedahl, Andreas Gebhard, Falk Lüke, Matthias Mehldau, Andre Meister, Markus Reuter, Benjamin von der Ahe, Rüdiger Weis und John Weitzmann. Mittlerweile gehören rund 20 Personen zum Verein."
https://digitalegesellschaft.de/idee/
@#M_O_N_A_C_O #10: "Neben lokaler Präsenz ist auch eine breit angelegt Social Media Strategie ein von mir bisher in vielen Beiträgen stark vermisster Faktor, der in ein ja immer noch zu kommunizierendes Konzept gehört."
hier habe ich starke Hoffnung, absolut, das wird ein Riesendings, der Markus Becklahl hat ja alleine schon gezeugt, wie man Social Media einsetzt für die gute Sache, 50. 000 Follower bei Twitter, meistverlinktes Blog in Deutschland, und dann sind ja noch mehr von seinem Schlage in dieser Digitalen Gesellschaft... Besagten Faktor, ich glaube nicht, dass wir ihn vermissen werden...
@Jemand unwichtiges #13: "Möglicherweise landet digiges für den Großteil der potenziellen Zielgruppe also in derselben Schublade wie vatm, eco, bitkom, inm, Parteien, rog, attac, Gwerkschaften, ... : "Nichts, wo man selber mitmachen würde."."
Vereinsmeierei, Politik, ah ach, aber kann man denn anders? muss man sich nicht die Hände schmutzig machen??? um überhaupt dieser Welt hier irgendetwas zu machen, die Unschuld, die hat man dann schon immer schon verloren... aber wenigstens was unternommen, was bewegt, ...
@all: also Berlin, ja, Berlin kann doch nur Ausgangspunkt von allem sein, was netzwerkartig sich ausbreitet, größer wird, vielleicht über die Grenzen Deutschlands hinaus: Diogitale WELTgesellschaft, digiweges... und Frauen, ja Fraue, sie müssen, die müssen dürfen, teilnehmen können, das gehjt doch nun nicht an, so ein Männerbund, so soldatisch, Opas Welt...
hier auch ein hübscher Hintergrundartikel zum Gende-rThema im FREITAG:
http://www.freitag.de/wochenthema/1114-wir-machen-das-doch-nicht-mit-absicht
Und was die AutorInnen anbetrifft: hier waren Frauen schon immer präsent/aktiv und heute da gibt es wohl ein Gleichgewicht... viele davon langfristig, zum Beispiel Verena Kuni, Mercedes Bunz, nur um einige zu nennen.