• Verweigerte Zeitgenossenschaft

    Seit etwa zwanzig Jahren beschaeftigen sich einige Ethnologen/Anthropologen mit dem Thema Zeit, nicht nur weil Zeit ein interessanter Forschungsgegenstand ist, sondern weil uns – im Zusammenhang mit der postkolonialen Kritik unserer Disziplin – aufgegangen ist, dass Zeit wesentlich, konstituierend ist, sowohl in unseren Forschungspraktiken als auch in dem Diskurs ueber andere Kulturen (also auch deren >Zeiten<), den wir auf Grund unserer Forschungen formulieren. Mit anderen Worten, nicht ueber die Zeit der Anderen als Vorstellung moechte ich an dieser Stelle sprechen, sondern darueber, wie wir Ethnologie als Wissen von anderen in der Zeit und durch Zeit gewinnen (oder verspielen). Sich ueber diese Fragen Klarheit zu verschaffen, scheint mir ein dringendes Anliegen, ja eine Bedingung, produktiven Nachdenkens ueber globale Entwicklungspolitik und interkulturelle Kommunikation zu sein. weiterlesen »

  • Auf Reisen mit Johann Filippo von Goethe

    Wir nehmen Last Minute Reisen meist woertlich: Bretagne, Mazedonien und Chalkidiki oder doch lieber endlich mal Sylt? Die Entscheidung ueber unseren Urlaubsort war auch dieses Jahr eine Gretchenfrage und wurde wieder erst kurz vor der Abreise entschieden – um dann doch wieder umentschieden zu werden: Endlich mal Lago di Garda. Ein Argument fuer dieses Ziel, neben der nie zu stillenden Italien-Sehnsucht, sind unsere passablen Italienisch-Kenntnisse. In den letzten Jahren ist es uns immer wichtiger geworden, die Sprache unseres Gastlandes ein wenig zu beherrschen. Als bekennender Ex-Pauschal-Reisender spielte dies fuer mich frueher – in Dr. Neckermanns sicheren Armen – nur eine untergeordnete Rolle. Aber ein Urlaub mit Sprachanschluss ist authentischer und entspannter. weiterlesen »

  • Vom Gadget zum Spielzeug

    Erinnern Sie noch an Gilles Deleuze? Nicht wirklich? Vielleicht ist es besser so. Haessliche Geschichte, damals das, in den Neunzigern, als aus diesem Philosophen ein Zombie des Kulturbetriebs wurde. Damals als sich Kuenste, Wissenschaft, Denkkultur und Massenmedien auf diesen Namen einigen konnten, Plattenlabels nach Buechern von ihm benannt wurden, etc. Personenkult, Reduzierung des Werks auf ein Buch (Mille Plateaux), Auskopplung von Zitaten fuer die Jingle-Auswertung in eigenen Texten. Vor sieben Jahren meinte ich in einem Rueckblick auf die Neunziger: Man koenne Deleuze auch querlesen. Das war allerdings nur auf seine Rolle bei der Rezeption von Musik bezogen. weiterlesen »

  • Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #12

    Kritik? Kein Problem. Kritik zu ueben und sich kritisieren zu lassen gehoert zum Selbstverstaendlichsten der Welt. Total normal. Gilt jemand als kritikresistent, so ist das keine Auszeichnung. Wir freuen uns ueber Ihre Kritik ist die unschuldige Formel, mit der Fluggesellschaften oder Hotelketten versuchen, ihre zahlenden Kunden zur unentgeltlichen Mitarbeit anzuregen. Natuerlich geht es nicht um irgendeine Kritik: Es muss konstruktive Kritik sein. weiterlesen »

  • Oh du mein Fahrbier!

    Kennen Sie dass? Sie sind abends in einer Kneipe verabredet und diese liegt am anderen Ende der Stadt, man ist ja schliesslich kein Kiezverlassverweigerer. Bis zum wohlverdienten ersten Bier ist also noch ungefaehr eine halbe Stunde im Nahverkehrsmittel Ihres Vertrauens durchzustehen, im Odeur des >Eau du Trafic Suburbain Berlin<, einer ausgebufft-widerlichen Komposition aus stinksaurem Schweiss, verschuettetem Bier, Doenerdunst, Furz und Kotze. weiterlesen »

  • Im Bett mit Harry

    Natuerlich ist es ein Massenphaenomen. Alle Welt redet darueber, jeder zweite liest ihn, die Presse ueberschlaegt sich mit Beitraegen, von der enormen Kommerzialisierung und Geldmache will ich gar nicht anfangen. Manche lesen ihn schon aus Prinzip nicht, weil man ja individuell sein und nicht jeden Trend mitmachen will. Mir ist das alles egal. Ich hoere da nicht hin. Ich mache mein ganz persoenliches Erlebnis aus dem Erscheinen des siebten, letzten Harry Potter-Bandes. Wochenlang freue ich mich drauf, verbringe schlaflose Naechte und diskutiere mit Freunden, was passieren koennte. Der fuenfte Film verstaerkt meine Sehnsucht nach dem Buch noch. weiterlesen »

  • Authentisch wie die Feuerwehr

    Dieser Film sieht aus wie das pure Leben. Da ueberreicht der Vorsitzende der Freiwilligen Feuerwehr Zuehlen der wenig groesseren Nachbarsfeuerwehr Zechow auf der Festveranstal- tung zum 85jaehrigen Bestehen umstaendlich einen Zinkteller. Und nach durchzechter Nacht am naechsten Morgen erklaert ein Fachmann der verschlafenen Mannschaft noch umstaend- licher, wie ein Entluefter funktioniert. Da groelen die Maenner immer wieder mit geroeteten Augen zu Prost, Prost, Kamera- den! und der junge Feuerwehrmann Markus tanzt in Uniform zu Robbie Williams Feel. Das macht er nicht so elegant wie Travolta in Pulp Fiction, aber dafuer ist es echt. Oder fragt sich jemand bei Travoltas Twist, ob man selbst dabei genauso be- scheuert aussaehe? weiterlesen »

  • Sommerloch: Aal-Eis mit Werner Tiki Kuestenmacher

    Hundstage, Sauregurkenzeit, Silly Season. Wahrscheinlich gibt es noch hundert weitere Ausdruecke dafuer. In den Medien nennen wir das einfach nur Sommerloch. Das ist die Zeit in der einfach nischt los ist. Die Politiker legen auf Steuerzahlerkosten die Beine hoch, die Lobbyisten lassen die Lobby mal Lobby sein und sogar Promis verschwinden irgendwie von der Bildflaeche. Jeder, der es sich leisten kann, macht ne Fliege. Wenn Sommerloch ist, dann denkt sich das Nachrichten-Magazin Der Spiegel noch beklopptere Titel aus als ohnehin schon (>Preussens wahre Gloria – wie trotz Inzest der moderne Staat entstand<). weiterlesen »

  • Wahrnehmungsjogging

    Frueher, als Kind und Jugendliche, war Zeit fuer mich eine Ewigkeit. Die Tage gingen manchmal gar nicht vorbei. Immer wieder habe ich auf die Uhr geschaut, aber die Zeit blieb scheinbar stehen. Das lag wohl zum grossen Teil daran, das mein Kopf schon frueh weiter war, als sich meine koerperlichen und gesellschaftlichen Moeglichkeiten ausgebildet hatten. weiterlesen »

  • Das Lager am Flughafen

    Ich stelle mir dort am Flughafen, also an der schnellsten Verbindung zwischen zwei Punkten, zumindest, wenn es um die Fortbewegung von Koerpern geht, kurz: am Wahrzeichen der Mobilitaet, dort also stelle ich mir ein Auffanglager vor, in dem alle Gestrandeten warten: auf die Deportation, ein Visum, ein Taxi, einen Anschlussflug, einen Arbeitsplatz, einen Sexual- oder Lebenspartner, einen Messias oder auf die kommende Demokratie. Denn: Wo der Fluss so schnell, reibungslos und unaufhaltsam seinen Lauf zu nehmen scheint wie an einem Flughafen, dort ist die erstarrte Bewegung nicht wegzudenken, weil sie als komplementaeres Anderes die Ordnung der Dinge konstituiert. weiterlesen »

  • Vertreibung durch Opernmusik

    Berlin. Wie schlecht es um die sog. Klassik-Welt bestellt ist, zeigt deren angebliche Wirkung auf, ich zitiere, Drogenhaendler, Wohnungslose und andere. Berlin will mit Musik Menschen verscheuchen. Aber nicht mit Heino und Moik, sondern mit Musik aus italienischen Opern, aber mit ohne Gesang. weiterlesen »

  • Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #11

    Die Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm reihen sich ein in die Liga vergangener Gipfelproteste wie 2005 in Gleneagles, Evian 2003 oder die Europaeischen Sozialforen London und Paris. Nicht mehr und nicht weniger. Mit Genua 2001 kann Heiligendamm aber auf keinen Fall mithalten. Und mit Seattle, wo alles begann, erst recht nicht. Dazu fehlten zu sehr die inhaltlichen Impulse. Im deutschsprachigen Raum hat Heiligendamm durchaus neue Aktivisten mobilisiert. Aber schon in Suedeuropa fand der Gipfelprotest nur noch auf den hinteren Zeitungsseiten in Form von kleinen Meldungen statt. weiterlesen »