• Es fiel ihr nicht leicht

    Es fiel ihr nicht leicht, ueber ein Buch zu schreiben. Ueberhaupt zu schreiben. Das beste Buch der Welt war natuerlich Michel in der Suppenschuessel. Daran gab es nichts zu ruetteln. Da stimmte einfach alles. Ein harmonisches Buch war das. Doch nun war sie aelter und was konnte sie jetzt schreiben? Es war ein Witz, dass gerade sie Kritikerin war. Warum eigentlich? Der Teekessel pfiff. Gab es eigentlich eine Vergangenheitsform von warum? Warumte? Sie aergerte sich ueber ihr Abschweifen. Es gab immer Dinge, ueber die sie sich aergerte.

    Es war ein zittriges Aergern voller Unzufriedenheit darueber, die Dinge immer bewerten zu muessen. Dieser Film gut, dieses Lied schlecht. Zum Glueck hatte sie sich von Anfang an ein paar Dinge ausgesucht, an denen es nichts zu ruetteln gab. Ein paar Buecher, die in den hintersten Ecken ihres Gehirns verstaubten und nichts von ihrem Glanz verloren. Fabian von Erich Kaestner, weil er so mystisch und verloren war. Weil ihn diese Traeume verfolgten und die Realitaet sich manchmal mit ihnen vermischte. Vielleicht drehte sich die Frage ja auch nicht darum, welches Buch, welcher Film, welches Stueck, sondern warum ueberhaupt? Wie kann es passieren?

    Buecher waren das wichtigste in ihrem Leben. Sie reflektierten, sie relativierten und die Buecher an sich waren unbefangen. Sie verlangten nichts, ausser gelesen zu werden. Sie gaben ihrem Leben einen Halt. In Buechern konnte alles erfunden sein und doch war es die ganze Wahrheit. Das Absolute. Das Gute. Eine Flucht. Aus der Realitaet in die Realitaet der Worte. Helden erwuchsen zu ihren Vorbildern, Leiden war auf einmal kein Fremdwort mehr und wer kennt ihn nicht, den Schmerz der letzten Seite. Vermutlich zu viele Menschen, dachte sie.

  • Zeitgeist Berlin

    Ich arbeite fuer die US-amerikanische Nachrichtenagentur Associated Press. Daher zaehlen in meinem Leben Minuten, ja sogar Sekunden. Wegen des grossen Zeitdrucks koennen schon zwei Minuten eine halbe Ewigkeit bedeuten. weiterlesen »

  • Geopolitik-Fun fuer den Massentourismus

    Aus der Vogelperspektive betrachtet, sieht die Welt manchmal recht eintoenig aus. Die Netze des Verkehrs von Menschen, Daten, Geld und Muell ueberziehen die Erde wie eine Glasur, die Unterschiede zwischen einzelnen Laendern vergessen laesst. Die Nachfrage nach Distinktion steigt in solchen Zeiten ins schier Unermessliche, auch der Tourismus kann davon ein Lied singen. Lokalkolorit steht in der zweitgroessten Branche der Welt hoch im Kurs – doch wie sich abheben von dem Einheitsbrei der Globalisierung? Die Antwort aus dem Hause Lonely Planet lautet: Mirconations.

    Kleine, teils fiktive Nationalstaatsentwuerfe, die darauf setzen besonders zu sein. Besonders bunt, besonders utopisch, besonders um jeden Preis. Irgendwo im Ozean, oder in der australischen Pampa, vielleicht auch mitten im Herzen einer europaeischen Grossstadt gelegen – Mikronationen koennen ueberall entstehen. Natuerlich auch im Weltall. Auf dem Mond sind jedenfalls bereits erste Ansprueche auf eine Staatsgruendung gemacht worden. Viel brauch man ohnehin nicht, um solche Ansprueche zu erheben. Neben viel Enthusiasmus, eine Verfassung, Briefmarken, ein wenig Merchandise und einen griffigen Namen: Sealand, Christinia, Lovely, Seborga, Whangamomona, Freedonia, Akhzivland, nur um die prominentesten Reiseziele im Lonely Planet-Fuehrer zu nennen.

    Bewusst spart der Micronations-Guide oekonomische Sonderzonen, Sonderstaaten oder Mini-Staaten aus. Die Buehne gehoert allein jenen Nationen, die fun sind. Insofern ist die Zusammenstellung ein post-politisches Kuriositaetenkabinett, das den Horizont des Reiselustigen zwar erweitert, aber einige dazu verleiten wird, das Fehlen so manch eines Players einzuklagen. Doch hat Lonely Planet nicht schon immer so funktioniert? Leser haben mit ihren Informationen so gut wie jeden Reisefuehrer erweitern geholfen. Warum sollte nicht auch in diesem Fall bald ein Folgeband von Micronations auf den Markt kommen, der doppelt so dick ist und zahlreiche neue Ziele vorstellt? Dies koennte vielleicht deshalb ausbleiben, weil man sich mit diesem Titel lieber nicht den ernsten und das heisst auch politischen Implikationen der Globalisierung stellen moechte.

  • Namensvetter [Lichtgestalten]

    Ergoogled. Klingt wie erwuergt – eine geschmacklose Assoziation. Koennte mir nicht passieren, denn ich habe meine grossartige Namensvetterin, die das Boese abwendet. Glaube ich zumindest. Jedes Mal, wenn ich aus Eitelkeit meinen Namen bei Google eingebe, treffe ich auf die wahre Anne G.

    Anne Grieger ist eine feurige Predigerin des Evangeliums… Absatz. Das bin ich. Ich lese weiter: … Bevor Gott sie in Seinen Dienst rief, studierte sie nach dem Abitur Jura (pretty close). Schon bald nach ihrer Bekehrung spuerte Anne den Ruf Gottes auf ihrem Leben, Menschen mit zerbrochenem Herzen, Hoffnung, Heilung und Wiederherstellung zu bringen…

    Etwas weniger blumig formuliert, wuerde ich zustimmen. Meine wahre Berufung im saekularisierten Ost-Berlin waere dann wohl Coach. Eine Art Therapeut fuer Selbstzahler. Ich waere ein guter Coach, verschwiegen wie ein Grab. Schulz von Thuns Kommunikationsquadrat wuerde ich subtil vermitteln, so subtil, dass den Ratsuchenden wie von selbst vier Ohren wachsen wuerden. Sie schulten ihr Gehoer fuer Zwischentoene – das ist wichtig. Patentloesungen haette ich nicht anzubieten. Kontraproduktiv, ausserdem kann ich nicht hexen.

    Wie die Online-Predigerin Grieger, die auf die Unterstuetzung ihres ebenfalls-Prediger-Bruders Daniel Wu bauen kann, haette ich meine Schwester. Fuer die richtig harten Faelle, mit denen ich als Nicht-Psychologin ueberfordert waere. Stellt sich noch die Frage nach Selbstheilung. Aber das wuerde jetzt zu weit fuehren.

  • Express Yourself. Instantly!

    Bevor’s am Ende noch verschuett geht, zwischendurch mal wieder eine Zeichenmaschinchen-Variation fuer den Zettelkasten. Genauer gesagt, eine Artverwandter im weitesten Sinne, naemlich ein Bildgedichtgenerator. Und zwar einer der juengeren Generation: Vor nicht allzu langer Zeit durch den Blogger Gris-Gris in der netten Nachbarschaft bei Paperholic vorgestellt – damals als Anregung fuer einen Valentinstagsgruss. Das Original – mit dem schlichten Kreationsappell Make Visual Poetry! betitelt – wurde von der Firma ImageChef entwickelt.

    Deren Claim uebrigens ebenfalls ziemlich appellativ, um nicht zu sagen autoritaer lautet: Express Yourself. Instantly. Na dann. Haben wir dementsprechend, wo es uns der Visual Poetry Generator schon so einfach macht, doch gleich einmal versucht. Geht natuerlich nicht nur zum Valentinstag – statt durch die Blume mit Generatoren zu sprechen zeichnen… Ja: Es gibt durchaus eine Reihe hoechst ehrbarer Ahnen. Aber die nur namentlich mal eben auf die Schnelle aufzuzaehlen, waere fast zu schade.

    Liebend gern haette das Medium statt dessen einen Anker zu einem in dieser Sache hoechst kompetenten Kollegen ausgeworfen. Aber da Florian Cramer die wunderbare Seiten, auf denen er vor langen Jahren mal eine sehr anschauliche Historie des automatisierten Bildgedichts vom Barock bis zu den seinerzeit – etwa Mitte/Ende der 1990er – aktuellen Programmen ins Netz gestellt hatte, derzeit entweder ganz von letzterem genommen oder an einen anderen Ort verschoben hat, muss ein entsprechender Rueck- und Ueberblick wohl wirklich besser ein andermal nachgereicht werden.

  • Google zeigt mich, also bin ich!

    Kein anderes Medium hat die Zeit, in der ich aufwachse so stark gepraegt wie das Internet. Dienste wie Instant Messaging, Podcasting, Email oder auch das World Wide Web bestimmen nicht nur meinen persoenlichen Alltag, sondern auch den vieler anderer meiner Generation. Ich finde diese Entwicklung positiv, wie zum Beispiel den aktuellen Trend hin zu aktiver Mitgestaltung im WWW. Die User haben mittlerweile ein neues Web geschaffen, das Web 2.0. Sie posten ihre Meinungen in Blogs und Webforen, zeigen der ganzen Welt ihre selbst gemachten Fotos, Videos und Radiosendungen, schreiben Artikel fuer diverse Wikis und alles dient dem Zweck der permanenten Kommunikation mit der grossen, weiten, virtuellen Welt. Frei nachdem Motto: Google zeigt mich, also bin ich! Taeglich entstehen rund 175.000 neue Blogs, es werden pro Sekunde unzaehlige Clips hochgeladen und angesehen, und genau in diesem Moment richtet sich jemand einen MySpace– oder ICQ-Account ein.

    Doch welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf das Individuum und die Gesellschaft? Die Sozialstruktur veraendert sich gravierend und zwar in Richtung eines ueberdimensionalen, digitalisierten Netzwerkes, welches sich aus unendlich vielen sozialen Netzwerken zusammensetzt. Die Uebertragung des Internets auf die Gesellschaft ist somit vollkommen. Diese Entwicklung mag fuer den Einzelnen durchaus nuetzlich sein, um mit Freunden in Verbindung zu bleiben oder auch neue Kontakte zu knuepfen. Viel nuetzlicher ist es jedoch fuer Unternehmen um gezielt Marktforschung zu betreiben. Das Netz macht das gesamte menschliche Wissen zu jeder Zeit und von jedem Ort der entwickelten Welt abrufbar.

    Die staendige Informationsflut, die uns das Internet bietet, mag sich zum Vorteil der heutigen Wissensgesellschaft auswirken. Sie macht es jedoch auch unheimlich schwer Informationen zu filtern. Die junge Generation geht mit dem neuem Medium ganz selbstverstaendlich um. Doch oft erkennt sie nicht die Gefahren, die sich hinter der digitalen Kommunikation verbergen. Die Preisgabe der eigenen Persoenlichkeit, sei es via Blog, unverschluesselten E-Mails oder Chatnachrichten, ebenen immer mehr den Weg hin zum glaesernen Menschen. Auch die Foerderung von Monopolen wie das von Microsoft oder Google scheint den User nicht weiter zu stoeren. Dass dadurch der Fortschritt in der Informationstechnologie und Freien Software zurueckgedraengt wird interessiert dann auch niemanden weiter.

    Das Informationszeitalter hat auch seine Nachteile: Spontane Besuche bei Schulkameraden oder Bekannten gibt es in meinem Leben kaum noch. Die Generation @ scheint damit jedoch kein Problem zu haben, sondern schreibt zu jedem Anlass eine SMS oder auch mal eine IM. Irgendwie ist jeder in irgendeiner Form von den neuen technischen Moeglichkeiten der Kommunikation abhaengig. Denn seien wir doch einmal ehrlich: Wer von uns koennte von einem Tag auf den anderen auf das Internet, geschweige denn auf sein alle halbe Stunde piependes Etwas verzichten?

  • Konfetti, Schleim und Karneval

    Cote d’Azur, strahlender Sonnenschein, ca. 20°C: So schoen kann das Leben sein, wenn man, wie ich, in einer franzoesischen Banda spielt! Vor ein paar Tagen war ich mit diesem lustigen Orchester mal wieder auf Tour. Diesmal beim Karneval in Nizza. Nachdem ich es aufgegeben hatte, herausfinden zu wollen, warum die Franzosen in einigen Staedten bis in den April hinein Karneval feiern, freute ich mich nur noch auf das Fest. Auf dem Programm standen mehrere Umzuege durch die Strassen von Nizza. Ich dachte, alles wuerde ablaufen wie immer, wenn wir spielen: einige Stunden schoene Musik, feiern, Leute animieren und vor allem viel Spass haben. Nur kam in Nizza alles anders.

    In Rugbytrikots verkleidet – das Motto des diesjaehrigen Karnevals war die Rugby-Weltmeisterschaft 2007 in Frankreich – gingen wir los. Wir reihten uns zwischen zwei grossen Wagen mit riesigen Pappmaché-Figuren in den Karnevalsumzug ein. Schon fingen die ersten Leute an zu husten, da der Wagen vor uns unglaubliche Abgase produzierte, in die wir geradezu reinmarschieren mussten. Gut, dass ich in der ersten Reihe lief… aber wenn man Spass hat, stoeren solche Nebensaechlichkeiten nicht. Der Umzug setzte sich in Bewegung und wir begannen zu spielen. Leider lief parallel aus sehr leistungsstarken Boxen laute Musik und ein Moderator versuchte, die Stimmung anzuheizen. Was dazu fuehrte, dass wir uns selber kaum hoerten und die Leute am Strassenrand genausowenig. Tapfer spielten wir weiter, ohne sicher zu wissen, was.

    Nun gehoeren zum Karneval auch Dinge wie Konfetti und Luftschlangen. Dass wir staendig mit Konfetti beworfen wurden, stoerte nicht so sehr. Aber die Luftschlangen – das waren keine harmlosen aus Papier! Nein, die Franzosen verwenden Wurfgeschosse, die sich Spruehluftschlange nennen. Aus einer kleinen Dose, einem Deodorant aehnlich, sprueht man einen langen Strahl klebrig-feuchter Masse auf sein Opfer. Und mit genau dieser Masse wurden wir waehrend des Umzugs geradezu attackiert. Kein Schritt ohne weitere Feucht-Luftschlangen in den Haaren, dem Gesicht, den Ohren, dem gesamten Instrument. Zeitweise hatte ich das Gefuehl, ich verbringe mehr Zeit damit, mich davon zu befreien, als zu spielen. Auf einige dieser Privilegien als Umzugsteilnehmerin haette ich in Nizza gerne verzichtet.

  • Vergänglichkeit archivieren

    Nationalbibliotheken sammeln das schriftliche Kulturerbe ihrer Nation. Sie sammeln es, sie bewahren es fuer die Ewigkeit und sie machen es ihren Benutzern zugaenglich. Diese Aufgabe erfuellt auch die Deutsche Nationalbibliothek. Am Gruendungsort Leipzig beginnt die Sammlung schon seit 1913, in Frankfurt am Main nach Kriegsende 1947 und in Berlin wird seit 1970 im Deutschen Musikarchiv alles gesammelt, was mit Musik zu tun hat. Mit den Jahren ist viel Material zusammengekommen, denn der gesetzlich fixierte Sammelauftrag verlangt, alles zu sammeln, was in Deutschland erscheint und dazu die Literatur des Auslandes, soweit sie einen Bezug zu Deutschland hat. weiterlesen »

  • zuerst

    zuerst habe ich mein geld verbrannt. alles. alles wirklich alles. dann habe ich alle photos verbrannt. die menschen, die ich liebe oder liebte, gehasst habe. alles loest sich und zerfaellt zu asche und ich entferne mich immer mehr (irgendwo muss man ankommen am ende dieser langen reise.) dann habe ich den ganzen kram verbrannt. alle eintrittskarten, einladungen, einschreiben, programme, notizen. alles knistert jetzt unter meinen haenden. das war mir alles mal wichtig. nun ist es nur noch in meinem kopf. berlin 1997, stuttgart, lohm, pritzwalk, kyritz, berlin, vielleicht oslo. alte fahrscheine, alte karten. london. wo es einen so hinbringt. alles weg, ich bringe mich nur noch selbst. dann die briefe. jeden einzelnen schaue ich mir noch an. ich lese sie nicht. ich weiss, was drin steht. die ausweise, chipkarten, kundenkarten, versichertenscheine, lohnsteuerkarten, vertraege… alles weg. ich war nie da. die alten noten. ich schau sie mir noch einmal an. dann verbrenne ich sie. auch die musik knistert davon. meine skizzen, tagebuecher, gedichte, alles private. wird entprivatisiert. zerstoert. es war nie da. die klarinette lass ich liegen irgendwo mit der gitarre zusammen vielleicht. meine beiden instrumente. nein auch sie geb ich fort. alle bilderrahmen, bilder, plakate, cd´s, kassetten, platten. alte kleidung. alles weg. mein lieblingsshirt. nichts behalt ich. nichts. der ring, die kette. nichts. nun die buecher. sie zu zerstoeren hat keinen sinn. sie gehoeren nicht mir. eine million worte. alle gelesen nur zwei verstanden. einsam und liebe. der werther und eva heller. schami und kaestner. brecht und joseph heller. schlink, nadolny, grass, shakespeare und wie sie alle heissen. wofuer. wenn man doch nichts versteht ausser mankell und grisham. die reden vielleicht. wenigstens ist tom clancy nicht dabei, wohl aber astrid lindgren. ich geb auch meinen stift weg. nun ist alles fort. fast alles alles. mehr noch. die menschen und ein paar verworrene erinnerungen. der gedanke, an jemandem vorbeizugehen und die luft reisst. an deinem bruder, an deinem besten freund, deinem vater oder dir selbst. was bleibt ist diese spannung. du kannst die menschen nicht wegdruecken aus deinem leben. was bleibt, bin ich. ganz nackt, aber wahr. mit meinem zorn, meinem mut zu schreien, ach ja und: einsam und liebe.

  • Die Klinger-Show

    Jubilaeen erfreuen sich prinzipiell grosser Beliebtheit im Kulturbetrieb. Kein 100. Geburtstag wird versaeumt, die Welt an die großen Meister und bedeutenden Persoenlichkeiten auch der juengsten Vergangenheit zu erinnern. In Schweden laufen seit langem die Vorbereitungen zu Ehren der Kinderbuchautorin Astrid Lindgren, in Italien beschaeftigt man sich mit Garibaldi und Norwegen feiert den 100. Todestag des Komponisten Edward Grieg. Ach ja…, mag wohl der ein oder andere denken, und ist froh, einmal mehr an das kulturelle Erbe erinnert worden zu sein und, gegebenenfalls, in entsprechenden Veranstaltungen ausfuehrliches Material praesentiert zu bekommen.

    Manchmal ist die Feierlichkeit auch eine erste Begegnung. Zum 150. Geburtstag von Max Klinger stellt das Museum der bildenden Kuenste Leipzig erstmals in einer solchen Dimension seine Sammlung mit Werken des Kuenstlers aus. Klinger wurde am 18. Februar 1857 im Leipziger Stadtteil Plagwitz geboren, wohin er nach einigen Studienjahren in Karlsruhe, Bruessel, Berlin und Rom zurueckkehrte. Zwar zeugen Strassennamen wie Klingerhain, Klingerbrücke und Klingerweg als auch die Bronzeplastik des Athleten im Leipziger Zoo vom Bemuehen, den Kuenstler im Gedaechtnis der Stadt zu bewahren, doch so richtig entschlossen war man dazu lange Zeit nicht. Einsam und verlassen steht sein Elternhaus, das ihm nach seiner Rueckkehr als Wohnsitz und Atelier diente, in der Karl-Heine-Strasse 2. Irgendwann aber, so heisst es, will man es der Oeffentlichkeit wieder zugaenglich machen.

    Die Ausstellung laeuft unter dem Titel Eine Liebe – Max Klinger und die Folgen und zeigt beispielsweise die grossen Radierungs-Zyklen Ein Leben, Brahmsfantasie und Dramen. Auch die beruehmte Blaue Stunde und die Kreuzigung Christi, die zu Lebzeiten Klingers fuer Aufregung sorgte, weil Christus voellig nackt dargestellt worden war – was damit endete, dass Klinger sein Bild entsprechend uebermalen musste – sind zu sehen. Um deutlich zu machen, welchen Einfluss Klinger auf die Kunst der Moderne hatte, werden des weiteren Arbeiten von Kaethe Kollwitz, de Chirico, Max Ernst und einigen anderen gezeigt, die sich auf Klingers Schaffen mittelbar oder unmittelbar beziehen. Auch bundesweit, wie in Karlsruhe, Berlin und Chemnitz, gibt es dieses Jahr die ein oder andere Klingerschau. Fuer Leipzig jedenfalls ist es ein Jubilaeum ganz zur rechten Zeit.

  • Lesung in Zagreb

    Zwischen nationalem Kulturbesitz und internationalem Gemeingut: Welche Rolle spielt die deutsche Sprache für die Identitaetsbildung in der Globalisierung? Vor diese Frage stellte die Berliner Gazette letztes Jahr rund 50 Kulturschaffende aus dem In- und Ausland im Rahmen des durch die Kulturstiftung des Bundes gefoerderten Dialogprojekts >McDeutsch<. weiterlesen »

  • Sunday Morning

    >Sunday Morning<. Erinnert sich noch jemand an den Song von The Velvet Underground ? Ich erinnere mich auch nicht, das war vor meiner Zeit. Andy Warhol entwarf ein Plakat fuer die Band, einfach nur eine gelbe Banane. Das hing bei den Eltern einer Schulfreundin im Flur und gefiel mir super. Das Enblem tauchte ploetzlich ueberall auf: Als Graffiti an Museen und Galerien, in Hinterhoefen, in denen irgendwelche Off-Veranstaltungen stattfanden. Eine Art Wegweiser durch das Kultur-Dickicht. Das Guetesiegel eines anonymen Kulturfreaks, der alle Orte, fuer die er sich begeisterte, mit der Warhol-Banane versah.

    Mein Vater kaufte das Album von Velvet Underground irgendwann bei zweitausendeins, das Plakat hing laengst in meinem eigenen Zimmer. Ein zweites Aha-Erlebnis nach den Bananen-Graffitis: Die Musik fand ich ok. Gleichzeitig war ich erleichtert, nicht nur aus aesthetischen Gesichtspunkten irgendwas an die Wand gekleistert zu haben. Ein Plakat einer Band, die eigentlich gruselige Klaenge produziert.

    Sunday Morning begegnete mir ein drittes Mal, und zwar am Mittwoch im Deutschen Theater. In einem sehr traurigen Stueck von Tennessee Williams ueber die Zwaenge einer amerikanischen Familie. Eine verlassene Ehefrau, die darauf bedacht ist, die Fassade zu wahren, tyrannisiert das, was von der Familie uebrig blieb: Einen armseeligen Sohn, der in die Rolle des Familienernaehrers gedraengt wird, aber viel lieber Rebell waere. Und eine Tochter, die weder auf eigenen Beinen stehen kann, noch die erforderlichen Hausfrauenqualitaeten an den Tag legt, um geheiratet zu werden. Zu Beginn jeder neuen Szene wird Sunday Morning eingespielt. Sehr traurig wie gesagt. Gut, dass es heute nicht regnet.