Ein Killer soll in Toulouse zuerst drei muslimische Soldaten aus dem Maghreb und dann einen Rabbi sowie drei jüdische Kinder ermordert haben. Die Schlagzeilen überschlagen sich: Ein Neonazi? Ein heiliger Krieger? Berliner Gazette-Herausgeber Krystian Woznicki kommentiert und sortiert im spekulativen Netzwerk der kollektiven Psyche die wenigen existierenden Links zu der rassistischen Mordserie in Deutschland.
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Eigentlich ist es wie immer. Wilde Spekulationen wuchern in den Medien. Und Behauptungen, vorgetragen mit einer Sicherheit, die umfassende journalistische Recherchen suggeriert: „Toulouse Murder Suspect Was Motivated by Propaganda and Lies“. Nachdem Mord an den muslimischen Soldaten gab es schnell den Vergleich zu Breivik, dem psychotischen Neonazi-Terroristen aus Oslo. Plötzlich ist alles anders: Kein Gegner des Islam! Sondern ein Antisemit!
Ungebrochen werden großspurige Breaking News geschrieben, wo es doch im Augenblick kaum Gewissheit geben kann, selbst darüber nicht, dass es sich bei dem Toulouse-Serienmörder nach dem Attentat vor einer jüdischen Institution um einen selbsternannten heiligen Krieger mit Verbindungen zur al-Qaeda handelt.
Alles wird heiß gekocht. Jede zweite Nachricht zum Thema dürfte keiner eingehenden Prüfung standhalten – auch wenn allein das Verstreichen von Zeit eine Prüfung mit sich bringt. Bezeichnend an den Schlagzeilen ist, dass sich das gesamte Spektrum der politischen Angstarena darin widerspiegelt: Auf der einen Seite Angst vor Islamismus, auf der anderen Seite die (verdrängte) Angst vor Rechtsextremismus. Vielleicht liegt in dieser Überlappung und Verdichtung das Neue des Falls. Vielleicht wird ein neuer Extremisten-Typus hervorgehen, getragen von einem grenzüberschreitenden Größenwahn. Doch Gedankenspiele wie diese wirken in diesem Moment nicht nur pietätlos, sondern auch diskursiv fehl am Platz.
Toulouse, Oslo – und Zwickau
Die Gedanken, die wir uns machen sollten, haben etwas mit einer Mordserie zu tun, die erst kürzlich in Deutschland aufgedeckt wurde und mit der terroristischen Vereinigung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) in Verbindung gebracht wird. Gedanken, die uns weniger nach Norwegen oder an andere mehr oder weniger ferne Orte führen, sondern direkt vor die eigene Haustür: Wir sollten zuallerst an die rassistisch motivierten Exekutionen in Deutschland denken.
Hinweise dazu fanden sich bereits in den Medien. Etwa im Spiegel-Forum: “Frappierende Ähnlichkeit zu NSU-Morden”. In der Welt wiederum wurde Linke-Fraktionschef Bodo Ramelow zitiert, der in einem Kondolenzschreiben an den französischen Botschafter die “beispiellose Mordserie der Zwickauer Terrorzelle” in Erinnerung rief. Am deutlichsten wurde wohl das Magazin Cicero, als Petra Sorge darin fragte: “Hat Frankreich jetzt auch eine rechte Terrorzelle?”
Doch alles deutet darauf hin, dass nach der neuen Wendung diese Erinnerungen verdrängt werden. Meldungen über den Killer als Neonazi werden nach dem vermeintlichen Jihad-Outing des mutmaßlichen Täters unter den Tisch gekehrt – und im Zuge dessen alle Bezüge zu einem rechten Terror, der auf den dumpfen Pfaden des Faschismus wandelt. Aus dem Blick gerät dabei: Egal, ob der mutmaßliche Serientäter aus Toulouse aus politischer Überzeugung heraus oder aufgrund einer Geisteskrankheit gehandelt hat, egal ob er ein Neonazi oder ein heiliger Krieger oder alles in einem ist – die Wahl seiner Opfer markiert die Taten nicht zuletzt als Rassismus.
Der gemeinsame Nenner ist Rassismus
In Deutschland hat man sich lange dagegen gesträubt, die Motive für die Morde an Einwanderern im Rassismus zu suchen. Unsere Gesellschaft gilt als “blind auf dem rechten Auge”. Ein weiteres Problem: Aus falschem Nationalstolz werten wir die Vorfälle hier als unvergleichlich und sind deshalb nicht in der Lage, über den Tellerrand zu blicken. Dabei müsste der terroristische Rassismus von Neonazis hierzulande in einen größeren Kontext gestellt werden – neben Verbindungen zwischen Oslo, Toulouse und Zwickau müsste auch der zunehmende Rechtspopulismus in Europa auf die Karte.
Dass dies im Augenblick nicht der Fall ist, zeigen die Reaktionen auf die grausamen Morde in Toulouse. In dem spekulativen Netzwerk der kollektiven Psyche gibt es keine Links zwischen den Taten. Die aktuellen Meldungen belegen dies.
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