Mitten im Sommer gibt es bei uns Tage, an denen es plötzlich Herbst ist. Die Krähen im Baum schlagen schärfere Töne an. Die Klippen ragen deutlicher aus dem See als sonst. Sie wissen etwas. Sie haben es immer gewußt. Wir auch, doch wollen wir nichts davon wissen. Auf dem Heimweg bist du oft am Bug gestanden, an solchen Abenden, hast den Gerüchen nachgespürt, die übers Wasser kamen, mit ruhig gesammelten Blick, den Abend entziffert, die schwache Rauchfahne eines Sommerhauses, den Pfannkuchen, der irgendwo drei Kilometer weiter briet, einen Dachs bemerkt, der ich weiß nicht wo in der Dämmerung stand und etwas witterte, ganz wie du. Unsere Freundschaft war natürlich ein Kompromiß: wir lebten zusammen in zwei verschiedenen Welten, der meinigen mit ihren Buchstaben, einem lebenslänglichen Text, und der deinen mit ihren Gerüchen. Ich hätte viel für deine Kenntnisse gegeben, für dein Vermögen, ein Gefühl wie Eifer, Haß oder Liebe wie eine Welle über den ganzen Körper hinlaufen zu lassen von der Nase bis zum Schwanz, für deine Unfähigkeit, dich damit abzufinden, daß der Mond eine Tatsache ist. Bei Vollmond hast du dich lauthals darüber beklagt. Als Gnostiker warst du mir überlegen, und somit hast du dauernd im Paradies gelebt. Auch pflegtest du Schmetterlinge aufzuschnappen im Sprung und sie dann hinunterzuschlucken. Abstoßend fanden manche das. Mir gefiel es. Warum habe ich es dir darin nie gleichtun können? Und dann die Türen! Waren sie zu, so legtest du dich hin und schliefst ein; irgend jemand würde sie sicherlich öffnen, früher oder später. Du hattest recht. Ich hatte unrecht. Heute, da diese lange, stumme Freundschaft vorbei ist für immer, frage ich mich, ob auch ich am Ende etwas konnte, was dir imponiert hat. Ich meine nicht deinen festen Glauben, daß ich es war, der die Gewitter hervorrief. Das war ein Wahn. Ich denke eher, mein sichres Gefühl dafür, daß der Ball vorhanden war, auch wenn er sich hinter dem Sofa versteckt hielt, hat dir eine Ahnung verschafft von meiner Welt. Fast alles in meiner Welt hält sich versteckt hinter etwas anderem. Ich nannte dich “Hund”. Ich frage mich ganz im Ernst: Hast du mich wohl für einen größern, lauteren “Hund” gehalten, oder für etwas anderes, etwas für immer Unbekanntes, das einfach ist, was es ist, und existiert auf seine Weise und damit basta: den Pfiff durch den nächtlichen Park, dem zu folgen man sich angewöhnt hat ohne so recht zu wissen, was das ist, dem man folgt. Und ich wußte ebensowenig von dir und davon, was du warst. Von diesem objektiveren Standpunkt aus waren wir zwei Organismen, zwei jener Orte, an denen das Universum sich in sich selber verknotet, verwickelt, kurzlebige, komplexe Strukturen aus Eiweiß, die sich immer weiter verheddern müssen, um zu überleben, bis das Ganze versagt und sich wieder vereinfacht, der Knoten sich löst, das Rätsel verschwindet. Du warst eine Frage, gerichtet an eine andere Frage, sonst nichts, und keine von beiden konnte der andern Antwort geben.
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