Erotisches Gipfeltreffen in Sibiu

(The two characters are intirely fictious and no animals nor humans were intended to be harmed by this publication)
 
GiulioRomanoGliAmanti
         Giulio Romano: Zwei Liebende

Ileana war zu Besuch in der Stadt, in der sie einmal auf eins der Gymnasien gegangen war. Die Stadt, das Land, das Dorf, aus dem sie stammte, die Heimat, lag ihr am Herzen und da lag sie gut. Sie hatte am Nachmittag ihren alten Mathematiklehrer wiedergetroffen und daraus war kurzerhand eine Einladung zum Essen entstanden, der sie ein wenig unsicher entgegen sah. Seine Wohnung lag nicht weit von der Schule in der Altstadt von Sibiu, über der nun die Dämmerung schon hereingebrochen war. Als sie durch die schmalen Seitengassen der Arkaden spazierte, sprang ihr plötzlich eine rot-weiß gescheckte Katze vor die Füße und maunzte fürchterlich. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als sich herunterzubeugen und ihr ein paarmal beruhigend über das Fell zu streichen. Bevor sie an der Wohnungstür klingelte, strich sie sich ihre langen, glatten Haare aus dem Gesicht.

Ich habe keine Ahnung, was er sich von dieser Einladung zum Essen bei ihm verspricht. Was will ich eigentlich? Er sieht gut aus, aber er kann doch nicht ernsthaft glauben, das reiche aus. Studentinnen verführen ist doch ein ziemlich alter Hut. Aber mal endlich wieder Sex, vielleicht brauche ich das. Ohne Liebe, ich weiß nicht. Sex ohne Liebe, das gibt es doch in dieser Gegend im Überfluss. Immer langsam, Ileana…

Als sie die Wohnung betrat, bestaunte sie die vielen Renaissancereproduktionen an den Wänden. Piero della Francesca und Andrea Mantegna, Andrea Palladio und Giulio Romano hingen mit Bauwerken und Gemälden an der Wand. Architektur hatte ja auch etwas mit Mathematik zu tun. Aber für einen Mathematiklehrer, der ihr zwar wie ein kräftiger Mann in den besten Jahren erschien, groß und mit vollem Haar, doch ungewöhnlich. Er empfing sie herzlich und höflich mit dieser Selbstsicherheit dem weiblichen Geschlecht gegenüber, die auf Erfahrung schließen ließ, und von der sie sich nicht sicher war, ob sie das nun anzog oder abstieß.
Er hatte extra für sie ein vegetarisches Gericht gekocht, Reis mit einem Ragout aus Paprika, Pilzen und gebratenem Tofu in einer Soße mit Currygeschmack. Sie tranken nicht ganz passend Rotwein dazu. Am Tisch saßen sie sich gegenüber und plauderten über eine beiden bemerkbare Anspannung hinweg. Seine Augen musterten sie während der Gesprächspausen und sein Blick verriet etwas, als würde er sich gerade eine Frau in weißer Spitzenunterwäsche vorstellen. Sex hatte etwas unerhört Anziehendes in der Eintönigkeit des Alltags. Honig, an dem man naschen musste, der das Gefühl gab, lebendig zu sein, Höhepunkte zu erleben, die möglicherweise gar keine waren.

Ich finde ihn doch attraktiv, die Einladung war nett gemeint, es knistert, obwohl er bestimmt mittlerweile zwanzig Jahre älter ist. Es knistert, aber ich will keine weitere Trophäe sein. Das kenne ich doch alles schon, wahrscheinlich stellt der Typ sich gerade vor mich zu vernaschen, mein Mund würde sein pralles Etwas umschließen und meine Augen ihn dabei anschauen, um ihn noch mehr zu erregen.  Sein Blick hat etwas Aufforderndes, meine Hand greift ihm zwischen die Beine, das passt zu der schummrigen Liebesszene, die da gegenüber an der Wand hängt. Dann diese Nässe zwischen der immer wieder vor und zurück geschobenen Haut, bis auf einmal dieser ganze glänzende Kopf freiliegt. Männerphantasien, Milch auf meinem Gesicht, langsame Tropfen über erschöpfte Lippen, etwas, das gegen meine Wangen schlägt. Ein männliches Abschlussritual, das man mehr oder weniger wohlwollend über sich ergehen lässt. Ich glaube mir steigt der Wein in den Kopf. Werde ich rot?

“Möchtest du noch etwas Rotwein, Ileana? Ich habe auch noch einen anderen da. Oder noch etwas Reis? Schmeckt es?”

“Ja, ausgezeichnet, keine Sorge.”

Ich hätte Lust, sie zu berühren. Wie sich das wohl anfühlt. Aber wahrscheinlich hält sie mich für einen Casanova, der es nur auf einen One-Night-Stand abgesehen hat. Andererseits macht sie auch nicht den Eindruck, als käme ihr ein Casanova ungelegen. Hat sie nur Hunger nach Zärtlichkeit? Sie sieht eine Spur traurig aus, aber auch sehr selbstbewusst und sie ist nicht nur intelligent, sie hat auch so eine gewisse Ausstrahlung. Das Schreiben ist ihr also das Wichtigste, aber so schlecht wie sie glaubt, war sie in Mathematik doch auch wieder nicht. Lehrer und Schülerin, das geht nicht. Aber Schülerin ist sie ja schon lange nicht mehr. Ob sie sich mittlerweile hier fremd fühlt? Als junge Frau, die in Deutschland lebt.

Sie hatten an einem kleinen Tisch gleich in der Küche gegessen, jetzt begaben sie sich mit den Weingläsern in der Hand ins Wohnzimmer. Das war nicht nur größer, sondern hatte auch eine stuckverzierte Decke. Vor dem großen, bogenförmigen Fenster stand sein Schreibtisch.

“Korrigierst du hier deine Klassenarbeiten?”

Meistens.Möchtest du noch einen Cappuccino?”

Gern!

“Ich wage es kaum zu sagen, Ileana, aber du siehst hinreißend aus.”

So ein plumpes Kompliment schüttelte sie sonst wie ein nass gewordener Hund von sich, aber ihr Körper reagierte anders, er ließ ihr Blut plötzlich schneller fließen, in den Kopf und unter die Gürtellinie.

Fehlt bloß noch, dass ich ihm auf die Hose schaue. Lächerlich, aber wie er das gesagt hat, fühlte sich warmherzig an und ehrlich gemeint. Können Mathematiklehrer berechnend sein? Was mache ich, wenn er mir weitere Avancen macht, stelle ich dann meine Vernunft in die Ecke? Vielleicht phantasiert er aber auch gerade, dass ich nach einer aufregenden Liebesnacht morgens neben ihm aufwache. Ich läge schlafend auf der Seite und er würde mit einigem Egoismus in meinen warmen Bauch eindringen. Würde sich mit noch langsamen, schläfrigen Bewegungen ganz leicht in mir bewegen. Aber vielleicht empfände ich ihn nicht als Eindringling, sondern wie die Erinnerung an die vergangene Nacht, wie etwas nie wieder Verlöschendes, wie einen neu gewonnen Teil meiner selbst. Immer langsam, Ileana…

Diese Anziehung zwischen den Menschen, gab es in diesem Spiel irgendetwas zu gewinnen? Jede Berührung enthielt die Chance, ein göttlicher Funke zu sein oder der Ankauf einer feilgebotenen Ware. Aber wenn man sich nicht mehr fallenlassen konnte, blieb man einsam, so einfach war das. Was aus einem Frosch wird, weiß man nie, bevor man ihn nicht geküsst hat.
Einen möglichen Gipfel beim Sex erreichte man nicht am Ende, wenn das Sperma floss oder während der willenlosen körperlichen Kontraktionen. Der Gipfel fand im Kopf statt, an irgendeiner Stelle, vielleicht in der Mitte, wenn sich da ein einverständliches Lächeln bei all der Anstrengung traf. Auch wenn dies Lächeln immer noch zweifelte, ob man die gleiche Nähe empfand. Dieses fragende Lächeln aber fiel für eine Sekunde aus der Zeit. Die heißen, glitschigen Bewegungen zweier ineinander steckender Körperteile, die der Empfindung die Illusion einer nunmehr geistigen Vereinigung schenkte. Dieser Augenblick war kostbar, das Weitere ein sexuelles Ritual. Das Joch des Körpers hatte etwas von der Freiheit der Träume gespürt.
Die Lust war ein Spiel, laut
Vargas Llosa war der Mensch auch ein erotischer Homo ludens, im Glasperlenspiel aber spielte mehr der Geist. Auch wenn es keinen Unterschied der Empfindungen gab, ob man nun zwei Finger an einer Stelle kreisen ließ oder eine Hand hoch und runter schob. Wenn man versuchte, diese Empfindungen in einer gemeinsamen Verrichtung zusammen zu führen, trafen sehr verschiedene Welten aufeinander.

Als er mit den beiden Tassen Cappuccino wieder ins Zimmer trat, schaute sie versonnen aus dem großen Fenster der Altbauwohnung in das diffuse Dunkel der Großstadtnacht. In ihrem Rücken spürte sie, wie er langsam näher kam.

(Literarische Begegnungen der dritten Art. 6)