Lose Gedanken 2
Heute ist ein schöner Tag. Die Sonne scheint auf die alte Mauer hinter meinem Fenster, das Licht spielt auf dem Rasen, das Moos in den Ritzen ist noch grün, ein warmer Tag im Herbst. Die Blätter werden bunter, bevor sie sterben. Bunt wie der Schmetterling an der Glasscheibe, den ich gleich hinaus fliegen lasse. In mir ist eine Mischung aus Schwermut, Ruhe und Besorgtheit. Ist die Zukunft wieder ein schwarzes Loch oder ein heller Morgen? Aus vielen Fenstern kannst du sehen, aber nur hinter wenigen fühlst du dich zu Haus. Dies Fenster, vor dem ich jetzt sitze, und durch das ich auf die steile Steintreppe, die den Hügel hinauf zum Garten führt, sehe, gibt mir das Gefühl, an meinem Platz zu sein. Hier könnte ich die Ruhe finden, um zu schreiben.
Aber ich muss auch über mich selbst lachen, wenn ich daran denke, dass mein ganzes Schreiben nur der Ausfluss einer Unfähigkeit sein sollte, das Leben einfach genießen zu können. Ständige Kompensation des als banal und unerträglich empfundenen Alltags. Wobei es letztlich interessant ist, ob die Welt und das Leben allgemein einfach unerträglich sind oder ich mich nur selbst nicht ertragen kann. Schreibversuche immer dann, wenn sich Gefühle und Gedanken aufstauen, wie in einem Gefäß, das ständig neue Flüssigkeit aufnimmt und irgendwann einmal überläuft. Schreiben aber kann nicht bedeuten, nur dann stattzufinden, wenn man unglücklich, verzweifelt oder verliebt ist. Gerade in letzterem Zustand gelingen sogar dem Unbegabten schnell mehrseitige Liebesbriefe. Ich selbst begann schon Erzählungen, in denen ich mich als Person von außen zu beschreiben versuchte, zu einer „Sie“ wurde und mich konsequent versteckte. Das veränderte mich aber nicht allzu sehr, da die gleiche Person nur in einer anderen Form über sich selbst schrieb, nur einen inszenierten, künstlichen Abstand zu sich selbst herstellte. Was mir zum Teil ein korrupter Trick zu sein scheint. Vielleicht sind alle Schriftsteller nur Trickbetrüger.
Denn abgesehen davon, dass auch ich mich manchmal weit von Menschen, Welt und Wirklichkeit entfernt fühle, indem ich mich immer mehr in mich selbst zurückziehe, und somit bewusst die Isolation und Einsamkeit suche und verschulde, unter der ich dann zu leiden meine, ist mir die scheinbare Objektivität und Tatsachennähe der Nachrichtenwelt in Zeitung, Funk und Fernsehen ein Gräuel. Von einer Wirklichkeit, die als Gemeinschaft empfunden wird, von einer gemeinsam gedachten und gestalteten Welt, von einem verständnisvollen Zusammenleben, ist sie ebenso meilenweit entfernt wie ich. So bin ich bereit, die Wirklichkeit des Traums und der Phantasie für oft realer zu halten als das, was wir nach dem Aufwachen als das Zuschlagen einer unentrinnbaren Realität empfinden, als ein traumtötendes Trauma. Denn wo sonst liegt in dieser Welt, die so vernünftig ist, Atombomben zu bauen und Millionen Menschen gleichzeitig verhungern zu lassen, die sich nur noch um Geld, Aktienkurse und Rationalisierungen dreht, die sich im Grunde selbst schon als sinnlos begriffen hat, es aber nicht wahrhaben will, die letzte Hoffnung, wenn nicht in der Phantasie und den Träumen, die sich einer solchen “Realität” verweigern?