Leander Sukov: Warten auf Ahab. I Ein Zitat
Ungefähr bis zur Mitte dieses Romans bin ich jetzt gekommen. Er zeichnet ein Psychogramm der angehenden jungen Studentin Marie, die als Ich-Erzählerin in ihrem Tagebuchprotokoll alles verarbeitet, was ihr als einsame Nachtwanderin und Kneipenbedienung einen Monat lang, im Oktober 2009, in Berlin zustößt. Sie ist getrieben von dem sexuellen Bedürfnis nach körperlicher Nähe, das die eigentliche Liebessehnsucht der Seele jedoch nie befriedigen kann. Je länger man liest, desto intensiver ist die Identifikation mit Maries Innenleben, das ein sehr präzises Kaleidoskop ihrer Befindlichkeit nicht nur im heutigen Berlin, sondern auch zurück in die deutsche Geschichte entwirft, weit über ihr Geburtsjahr 1988, als sie in der DDR zur Welt kam, hinaus. Nicht umsonst ist der 9. Oktober der erste feste Tag einer Kapitelüberschrift zu Anfang, der wohl auf den Durchbruch der Montagsdemonstrationen in Leipzig 1989 verweist. Marie denkt politisch links, ist gesellschaftskritisch, kennt sich auch in Philosophie und Musik gut aus, aber sie ist selbst dabei zu erkennen, dass ihre Libido allein eher zu einem Störfall wird und sie vom gesuchten Glück abhält. Leander Sukov hat an vielen Stellen eine poetische und radikal ehrliche Sprache dazu gefunden, in der man sich oft wiedererkennen kann. Es ist ein Roman auf der Höhe der Zeit, der die Schmerzen beschreibt, mit denen man in der heutigen Verfassung unserer Gesellschaft, politisch und existentiell, in der Sehnsucht nach gesellschaftlicher Veränderung und der Hoffnung auf die Befreiung von der eigenen Liebesunfähigkeit, leben muss.
Den Anfang, die Seiten 7-13 und 79-87 des Buches gibt es als Leseprobe beim Kulturmaschinen-Verlag einschließlich zweier schwarz-weiß Illustrationen von Daniela Schreiter, die mich ein wenig an den Stil japanischer Manga-Zeichnungen erinnern, als Vorgeschmack. Bei der Beschränkung der erzählten Zeit auf einen Monat im Herbst, fiel mir auf, dass es “Deutschland im Herbst” schon in einem früheren Jahrzehnt als Film und bedrückende Realität gab.
Bei einem Absatz heute morgen fühlte ich mich stark an eigene Erfahrungen erinnert, aber nicht nur deshalb dieses Zitat:
“Es ist jetzt halb drei. Die Nacht ist zwar nicht mehr jung, aber vorüber ist sie nicht. Berlin schläft nicht, und mir ist es egal, wann ich schlafe. Hauptsache nicht jetzt – noch wach, will ich nicht den Rest der Nacht bis in den späten Morgen (ich kenne mich ja) vor dem Rechner verbringen, um in Social Networks mich mit gestörten Arschgesichtern zu streiten oder sinnlos durch YouTube zu streifen oder mich gar Rentnern aus Wanne-Eickel oder Suhl an den virtuellen Hals zu werfen, die von sich behaupten, sie seien fünfundzwanzig und Studenten der Sportwissenschaften in München. Solches Verhalten führt erstens zu Übermüdung und zweitens nicht zu angenehmen Träumen, sondern solchen von Palästen und Tod.” S. 138
Auf den Bedeutungshof der Paläste werde ich erst nach der kompletten Lektüre in einem weiteren Beitrag eingehen. So lange warte auch ich mit Marie und Melville gespannt, wer am Ende denn den Tod finden wird, auf den der Oder-Titel “Stadt Liebe Tod” vorausweist. Sie selbst, der gesuchte Ahab oder der weiße Wal. Der kann es aber eigentlich nicht sein, denn als Metapher für den Großstadtdschungel ist vermutlich gerade er es, der am Ende alle verschluckt haben wird.
„Meinen Koffer habe ich gepackt. Ich nehme nicht viel
mit. Nur das Nötigste. Mein Vater wird mich fahren und
meine Mutter wird uns begleiten. Wir fahren in die große
Stadt und zu meiner kleinen Wohnung. Wir werden sie
vermessen und dann Möbel kaufen. Auch in der Stadt gibt
es die Einen, mehr als hier in diesem Dorf und den umliegenden.
Aber wenige gleichwohl.“
Ich werf mein Vergil weg und les nur noch Schrott…Hurra!
Guten Morgen Herr Hilbig,
es fällt mir zugegeben schwer, Ihr morgendlich hingekotztes „Schrott“ freizuschalten. Ich erwarte von kreativ tätigen Wortakrobaten (Sie erhalten anscheinend sogar aktuelle Literaturpreise für Ihre Gedichte) qualifiziertere Kommentare, die ein Werturteil nicht hinrotzen, sondern auch zu begründen wissen. Aber schließlich decouvrieren Sie sich mit einer solchen Einlassung auch selbst und deshalb, nur deshalb, werden Sie hier bei mir nicht wegzensiert. Da Sie einen Vergleich mit Vergil, also einen römischen Kontext ansprechen, antworte ich mit einer anderen Textstelle aus dem Buch, die die schriftstellerischen Fähigkeiten Leander Sukovs demonstriert. Seine Protagonistin Marie träumt:
„Mich träumt, ich sei Zenobia. vor meinem Palmyra stehen die Legionäre Aurelians, und alles ist aus. Das Ende ist nicht mehr aufzuhalten.
Das Ende ist nicht mehr aufzuhalten. Zu schwach ist meine Armee, zu schwach sind die Mauern. Ich habe den Römern den Weizen Ägyptens geraubt, als ich mein Reich durch Krieg vergrößerte. Ihr Hunger hat sie bösegemacht. Jetzt bellen ihre Hunde vor der Stadt, bereit, losgelassen zu werden. Jetzt schlagen sie ihre Schwerter auf die Schilde. Und nicht lange mehr, da wird sich der Strom aus Legionären und Kampfhunden ergießen über die Straßen meiner prachtvollen Stadt.
Aurelian sieht aus wie Kevin, als er eindringt mit seinen hohen Militärs in meinen Palast. Verloren wie Kevin steht er dabei, als seine Männer meinen Ratgebern die Hälse abschneiden. die da fallen, sehen alle aus wie Lutz, und durch das Fenster schaut, unbeteiligt, der alterlose Silberhaarmann.
Ich wate im Blut meiner Männer. Und an einem Tisch, unsichtbar für die Römer, sitzt, ganz aus der Zeit gefallen, Geoffrey Chaucer und schreibt über mich Zeile für Zeile in seine Canterbury Tales.“
Wenn Sie also noch einmal schlecht schlafen sollten, öffnen sie ein Fenster, lassen sie die Frühlingsluft herein und rufen sie Ihr „Hurra“ doch besser dort hinaus und nicht bei mir.
Wenn die Wohnung so klein ist, kann man sie ja gar nicht vermessen, denn dazu ist die Wohnung viel zu klein, folglich ist es gar nicht möglich sie zu vermessen, natürlich könnte man sie vermessen wenn sie etwas größer wäre, da aber die Wohnung so klein ist, kann man die Wohnung gar nicht vermessen. Zumal Mutti auch noch dabei ist, wie soll man denn die Wohnung vermessen wenn Mutti auch noch da ist, warum ist sie eigentlich mit? Passt dann keiner auf die Katze auf und was wenn der Katze was passiert, wenn die Katze zum Beispiel von einem Ork aufgegessen wird?
Ach, Herr Hilbig,
sie hätten sechs Minuten später schon weiser sein können, aber wer den „Herrn der Ringe“ und etwas Katzen-Sadismus im Kopf hat, da gibt es eben in der Stube seines Gehirns auch nicht mehr allzu viel zu vermessen. Orken oder twittern Sie doch demnächst woanders. Orke passen gut zu Trollen.