Das unbekannte Gemälde im Schlafzimmer
Seit ich dieses Foto von Marcel Proust auf einem Schlafzimmerbett in dem FAZ-Aufsatz “Sein Leiden führte ihm die Feder” fand, treibt mich die Frage um, was das denn für ein Gemälde von einem lesenden Mädchen mit langen braunen Haaren und riesengroßem Buch ist, das oben links im goldenen Rahmen an der Wand hängt. Wahrscheinlich oute ich mich jetzt als Kunstbanause, aber ich bekomme es durch Google-Sucherei einfach nicht heraus. Eine Schwäche für Abbildungen von Leserinnen habe ich auch durch zwei Bildbände des Elisabeth Sandmann Verlages bekommen: “Frauen die lesen sind gefährlich” und “Frauen die lesen sind gefährlich und klug”:
Bei der Abbildung oben handelt es sich höchstwahrscheinlich nur um eine Fotografie, die in einem Wachsfigurenmuseum Grévin oder im Chateau de Breteuil irgendwann in Paris aufgenommen wurde. Mir geht es auch nicht um das Foto, nur das Gemälde des lesenden Mädchens hat mich nun schon zu lange über seine Herkunft im Unklaren gelassen. Pierre Auguste Renoir, Manet oder Monet sind mir schon in den Sinn gekommen, aber ohne Erfolg. Vielleicht gelingt es einem meiner Leser_innen mehr herauszufinden. Sachdienliche Hinweise geben Sie bitte nicht in jeder Polizeidienststelle ab, sondern kommentieren oder schicken mir eine Email.
Am Schluss möchte ich auch von dieser Stelle aus auf das nun erschienene Frage-Antwort-Selbstporträt von “Melusine Barby” mit ihrem literarischen Weblog „Gleisbauarbeiten” bei SteglitzMind hinweisen. Lesen Sie viel und bleiben Sie gefährlich!
Nachtrag und Lösung des Bilderrätsels:
Eine Fotografie von Proust als eine von fünfzig Wachsfiguren im Château de Breteuil, hergestellt vom Musée Grevin, da muss man erst einmal drauf kommen. Ich hatte das Foto im ersten Moment naiv für ein möglicherweise authentisches gehalten. Es handelt sich also nicht um sein eigenes Schlafzimmer in der rue Hamelin, sondern um das sogenannte “chambre de laque” des Marquis Henry de Bréteuil, von dem Proust einige Male eingeladen wurde und bei seinen Besuchen dort nächtigte. Folglich sind auch alle Gegenstände in dem Zimmer Erinnerungsstücke aus dem Familienbesitz der Bréteuils, einschließlich des Gemäldes von Lucien Levy-Dhurmer, das Françoise de la Rochefoucauld als lesendes Mädchen zeigen soll.
Interessant ist auch, dass der besagte Henry de Bréteuil zu einer Figur bei Proust mit den gleichen Initialen H. B. in “Die Welt der Guermantes” wurde, Graf Hannibal de Bréauté. In dem noch heute zu besichtigenden Schloss fand man wohl das Gemälde von Levy-Dhurmer irgendwie passend zu den “jeunes filles en fleurs” bei Proust und der Verfasser des FAZ-Artikels suchte vermutlich nur nach einer entsprechenden Illustration, die Proust als mondänen Kranken zeigte, “toujours au lit”. Über das Verhältnis von Proust und die Transposition seines adeligen Dunstkreises, den er einerseits so verehrte und gleichzeitig schonungslos analysierte, lassen sich hunderte Seiten füllen, wie man in Jean Yves-Tadiés Proust-Biographie nachlesen kann, über die ich gerade eine bemerkenswerte Rezension las. Soviel als Nachtrag heute am frühen Morgen.
Leider habe ich dieses Bild auch noch nie gesehen.
Aber die Bücher um die lesenden Frauen haben mir auch gefallen, ich habe sie in meinem Bücherregal zu stehen.
Ich habe auch beide Bände und blättere oft und gern durch die vielen Gemälde, denen immer eine gut erklärende Textseite gegenüber steht. Von diesen Leserinnen-Bildbänden einmal abgesehen ist mir aufgefallen, dass die Zahl der Abbildungen von lesenden Männern sehr viel geringer ist. Das liegt wahrscheinlich schlicht an der Faszination des Weiblichen und dem männlichen Blick in der Kunst.
Herzlichen Gruß
Der Buecherblogger
Das liegt sicher auch daran, dass es Frauen lange Zeit laut der Nürnberger Malerordnung verboten war, auf Leinwand zu malen und du hast natürlich recht, es werden heute auch von Frauen noch viel mehr Frauen als Männer gemalt
.
vllt sollte man erst einmal vom fotografen ausgehen, bei dieser suche.

wo hat dieser Marcel Proust fotografiert. oder wo hielt sich Marcel Proust hier auf?
ist das sein eigenes schlafzimmer oder ein hotelbett? vllt gibt es auch aussagen von Marcel Proust ueber diesen ort samt bild? mich erinnert das gemaelde an Berthe Morisot.
Liebe Irisnebel,
es freut mich, dass auch Sie nach längerer Zeit einmal wieder kommentieren. Wir haben uns anscheinend doch noch nicht ganz aus den Augen verloren. Ab und zu warf ich immer mal einen Blick zu Ihnen herüber und fand, dass Sie jetzt mehr auf Fotostrecken von Kunstbesuchen setzen. Die enzyklopädischen Texte müssen ja auch sehr viel Arbeit machen. Sie haben mit der von Ihnen reklamierten Vorgehensweise natürlich vollkommen recht. Man muss sich einem Rätsel systematisch nähern, Stochern ist da eher dilletantisch. Am Ende habe ich es ja noch selbst herausgefunden, mit ein wenig Hartnäckigkeit und Glück. Das Morisot-Gemälde landet in meiner Sammlung, Danke.
Herzliche Grüsse auch an Sie
Der Buecherblogger
Nur kurz, damit niemand mehr weiter sucht. Es handelt sich um ein Gemälde von Lucien Levy-Dhurmer, das Francoise de la Rochfoucauld zeigt im Château de Breteuil. Ich beantworte die beiden obigen Kommentare morgen und schreibe auch noch etwas zum Zusammenhang was Proust betrifft. Ich wünsche eine Gute Nacht, auch mir selbst nach ziemlich langer „Recherche“.
Was für eine faszinierende Faszination mit einem Bild.
Die Bücher habe ich noch nicht gelesen. Dafür habe ich „The Reading Woman – A book of postcards“ zu Hause. Auf dem Buchrücken steht ein passendes Zitat: „The reading woman… is a beautiful enigma: she is herself an untold tale, a moment in time set free of its long, complex story. Absorbed, content, perhaps quietly thrilled, she turns the page to discover a new perspective, finde a moment of comfort or transform her life.“
Durch dieses Absorbiertsein – dabei in einer leicht geneigten, beinahe demütigen, sehr regungslosen Haltung, durchaus konform mit dem Frauenideal der Zeiten, aus denen viele dieser Bilder entstammen – ist sie natürlich das ideale Objekt des Betrachters/ Künstlers/ Voyeurs, was vielleicht auch erklärt, warum es nicht so viele Bilder mit lesenden Männern gibt. Männer wurden/ werden seltener als Objekt wahrgenommen.
Und die demütige Haltung kombiniert mit der Freiheit der Gedanken bei der Lektüre – das macht einen ganz besonderen Reiz für den Betrachter (und die Betrachterin) aus.
Viele Grüße, Mila
Liebe Mila,
was für ein schöner Kommentar möchte ich spontan antworten. Nach dem Postkartenbuch habe ich sogleich gegoogelt und eine Liste der 30 Abbildungen darin gefunden, vielleicht Stoff für neue Suchobsessionen? Jedenfalls würde ich gern Postkarten dieser Art verschicken. Sie haben sicher recht mit allem was Sie sagen, aber nicht immer ist mit der Körperhaltung oder der des Buches Demut verbunden. Manchmal sind Frauen dabei auch stolz, unnahbar oder geheimnisvoll, manchmal ganz in sich selbst versunken. Männer müssten das ja eigentlich auch hinkriegen, aber Sie wollten auf den Gegensatz zwischen traditioneller männlicher Frauenrollenauffassung und der lesenden Selbstbestimmung hinaus, die sich gerade lesend vom Tradierten befreit. Es muss etwas vom Körper-Geist-Antagonismus in dieser Faszination stecken, also auch ein Schuß Erotik, der Frauenkörper und das Wissen. Meist sind es ja attraktive Frauen ganz im Sinne der Männer, die dargestellt werden. Ich muss ein ziemlich typischer Vertreter dieser Spezies sein, denn entziehen kann ich mich dieser Faszination nicht.
Herzlichen Dank für Ihren Kommentar und den Buchhinweis, vielleicht wird daraus ja ein Weihnachtsgeschenkwunsch.
Der Buecherblogger
Vielleicht schon bekannt? Aber ich bin gerade drüber gestolpert und musste an den Post hier denken…
http://womenreading.tumblr.com/
Kannte ich noch nicht und scheint eine wahre Fundgrube zu sein. Fotografien in dieser Richtung gibt es unendlich viele, Gemälde dagegen bringen, was den Bedeutungshorizont angeht, immer mehr mit als eine, wenn auch gelungene Momentaufnahme. Das reizt mich am meisten und manchmal reisst es mich sogar zu kleinen Erzähltexten hin.
Ganz herzlichen Dank dafür!