Second sixpack on sunday

Viele Leser und Leserinnen haben einen Winkel im Bücherregal, wo die alten Kinder- und Jugendbücher ein zu recht mittlerweile vernachlässigtes Dasein fristen. Schließlich sind wir jetzt erwachsen und wollen auf keinen Fall mehr infantil erscheinen. Trennen will man sich aber doch nie endgültig von ihnen, denn mit diesen Geschichten tastete man sich ganz unbedarft in die Welt des Lesens. Oft waren es Geschenke und man las sie ohne Distanz, meist ohne Wahrnehmung welcher Wortwahl und Sprache sie sich bedienten, Hauptsache sie fesselten das junge Gemüt. Jungen lasen Abenteuergeschichten wie Lederstrumpf oder Märchen aus 1001 Nacht, die Mädchen verliebten sich unsterblich in edle Pferde oder verschlangen vielleicht einen ersten Roman über die unglückliche Liebe eines Arztsohnes. Identifikation, Spannung und Gefühl, in eine andere Welt versetzt, durch ein anderes Schicksal verzaubert werden, mehr verlangte man nicht. Ich bin in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts geboren und den hier abgebildeten Buchdeckeln sieht man ihre Entstehungszeit an, aber einige Bildmotive haben sich tief mit meinen Kindheitserinnerungen verwoben. Chingachgook und Falkenauge, Sindbads Reisen und Harun Arraschid, der Schimmel und Vollblut-Araber Siglavi, die romantische Sommerliebe Angelika, der mutige Ritter Ivanhoe mit seinem Knappen Wamba oder der junge Fähnrich Horatio Hornblower, alle waren sie Projektionsflächen einer ersten lesenden, noch kindlichen Phantasie.

Cooper_Der letzte Mohikaner     Sindbad der Seefahrer     Zeiner_Siglavi

Boerner_Gefaehrtin meines Sommers          Ivanhoe          Kapitaen_Hornblower

Das älteste Buch ist der 1938 geschriebene Liebesroman “Gefährtin meines Sommers” von Klaus Erich Boerner (untere Reihe links), fünf Jahre später kam er aus Stalingrad nicht mehr zurück. Kitschig verfilmt und schwülstig, aber mitreißend schreiben konnte er dennoch. Die Zeichnung dieser so romantisch sehnsüchtig schauenden Frau ist direkt auf den Leinenbuchdeckel geprägt. Über das unsägliche Frauenbild dieser Zeit muss man natürlich keine Worte verlieren.

Das zweitälteste von 1949 ist das Pferdebuch “Siglavi”. Bei der Recherche nach dem längst vergessenen Autor Ludwig Zeiner begann ich zu schmunzeln. Ein an der Spanischen Hofreitschule in Wien ausgebildeter Pferdenarr, gleichzeitig Millionär und Erfinder von beleuchteten Puderdosen und Amphibienautos, der den Titel Reitmeister trug und nach dem Krieg sich wohl ziemlich mittellos mit Gemälden und Büchern über Wasser hielt. Unter dem Namen befindet sich der Link auf einen witzigen Bericht von 1954 im Hamburger Abendblatt. Das Umschlaggemälde mit dem Pferdekopf stammt von ihm selbst. Wohin Buchumschläge doch alles führen können.

C. S. Foresters Kapitän Hornblower, Walter Scotts Ivanhoe und James Fenimore CoopersDer letzte Mohikaner” sind alle auch mehrfach verfilmt worden. Im Rückblick vermischt sich die eidetische Filmerinnerung mit der eigenen Phantasieleistung, die aus dem Gelesenen resultierte. Am Ende bleibt nur ein undurchschaubares Schimmern von Kindheitsmythen, Nährboden unserer Träume. Die entziehen sich jeder Rationalität, so als ob man fragen würde, warum die jüngere, entführte Tochter des Oberst Munro im “Mohikaner” auch schon Alice hieß, wie die Autorin meiner jetzigen Zubettgeh-Lektüre.

Bibliographische Angaben:

J. F. Cooper: Der letzte Mohikaner. Göttingen: W. Fischer-Verl. 1951 (Lederstrumpfgeschichten Bd. II)
Sindbad, der Seefahrer und zwei Abenteuer des Kalifen Harun Arraschid. Köln: Michael Winkler 1954.
Ludwig Zeiner: Siglavi ein Sohn der Steppe. Lengerich: Kleins Buch- und Kunstverlag 1949.
Klaus Erich Boerner: Gefährtin meines Sommers. Berlin: Holle & Co. Verlag 1938.
Walter Scott: Ivanhoe. Neue Ausgabe des Originals von 1820. dtv 2009
Cecil Scott Forester: Kapitän Hornblower auf allen Meeren. Wien: Tosa Verlag um 1960.