Die Frau die es nie gab (Teil 4)
Foto: Rainer Kirberg “Das schlafende Mädchen”
Jemand zeigt sein wahres Gesicht
Im Auto war es ziemlich eng (ich hatte bei der Ausstattung an den Liegesitzen gespart), aber mit dreiundvierzig denkt man auch, aus dem Alter für Autosex heraus zu sein. Valea war gerade mal achtundzwanzig geworden. Hoffnungen auf ein Abenteuer jedoch, darf man sich auch mit dreiundvierzig noch machen, obwohl ich die alten Säcke mit ihren Jahrzehnte jüngeren Frauen nicht ausstehen kann. Mir ist ein wenig unwohl bei der Beschreibung der nächsten Vorkommnisse. Die Liebesszene riecht jetzt schon ziemlich muffig, als handele sie vom schnellen Sex in einem Autokino. Werde ich zu explizit, drehen sich die Leser weg. Ich muss doch aber bei der Wahrheit bleiben, dass ich zwar sexuell erregt war und doch voll ehrlicher Zärtlichkeit, Galloways und Gelüste hin oder her. Ich merkte wie sich meine Hose über etwas Hartem zu spannen begann, wie sich Wünsche in meinem Kopf ausbreiteten, ihr Mund möge sich nicht nur auf das Küssen beschränken, sondern sich auch mit dem befassen, was ihr an anderer Stelle entgegenwuchs. Meine rechte Hand nestelte schon an dem Reißverschluss meiner Hose, während meine linke sanft und zaghaft den blauen Jeansstoff entlang immer höher zwischen Valeas Oberschenkel fuhr.
In jeder Geschichte kommt der Moment, wo man im wahrsten Sinne des Wortes die Hosen herunterlassen muss. Wie ich also voll innigster Zärtlichkeit (der kitschige Ausdruck ist an dieser Stelle absolut beabsichtigt) der empfindlichsten und intimsten Stelle ihres Körpers näher kam, traf ich nicht etwa auf einen weichen Hügel, der sich mir entgegen hob, sondern auf eine vergleichbare Härte, wie sie sich auch bei mir eingefunden hatte. Sie können sich vorstellen, mit welchem Schock und Entsetzen ich zurückwich, denn ein gestandener Mann wie ich erwartet anatomisch sicher kein Hervorbrechen eines Bizeps brachialis im weiblichen Bermudadreieck. Glauben Sie mir, die Früchte vom Baum der Erkenntnis können mitunter äußerst bitter schmecken. Ich stieß sie angewidert weg und starrte nur noch verstört vor mich hin. Sie machen sich gar keine Vorstellung davon, wie schnell sich aufbäumendes Fleisch wieder zu einer Winzigkeit in sein Versteck zurückziehen kann. Genau wie ich es jetzt in meiner polnischen Eremitage tun muss, als wäre ich von Außerirdischen verfolgt, die sprachlos mit aufgerissenen Mündern und deformierten Köpfen auf der Suche nach mir sind. Sie kennen das berühmte Bild mit dem stummen Schrei. Mir ist seitdem, als dröhnten und zählten nur noch die Gedanken in meinem Schädel. Die Worte sind seltsam wertlos geworden, als hätte ich nur noch Krümel von den drittklassigen Brötchen des polnischen Bäckers im Mund.
Ich hatte ihren weichen, warmen Körper spüren wollen, vielleicht eine verborgene Knospe in einem krausen Haarbusch vorzufinden gehofft, nicht aber dieses durch den Stoff hindurch fühlbar Unaussprechliche. Ich hätte am liebsten die Wälder um mich herum abgeholzt oder gleich zwei Tischler auf einmal ermordet. Auf einen zweiten John Thomas zu treffen, wer hätte das bei der Maskerade ahnen können. Diesen Moment werde ich nicht vergessen, er traf mich wie ein Hammerschlag. Mir war zum Heulen zumute. Jetzt wusste ich, warum ihr bereits die Erwähnung ihrer Brüste (die ich dennoch wunderbar echt in Erinnerung habe), in den Ausführungen ihres Schriftstellerkollegen so zuwider gewesen war. Man bekommt nicht gern vorgehalten, was man in Wirklichkeit nicht ist. Sie mahnte und forderte andere dazu auf, zumindest den Versuch zu machen, immer aufrecht zu gehen, an Liebe, Träume und vor allem an ihre Worte zu glauben (ihr Gang war so was von kerzengerade und überzeugend), und dann diese Situation: ein zusammenfallendes Kartenhaus ist nichts dagegen.
Ich befand mich womöglich in der schlechten Kopie eines Films, den ich vor langer Zeit im Kino sah, mit einem englischen Titel, übersetzt wohl “Spiel der Tränen” oder so ähnlich. Es gibt ja oft Momente im Leben, wo man sich vorkommt wie in einem schlechten Film, aber unsere Situation potenzierte sich quasi selbst, weil alles nur noch zur Kopie, zum Abbild eines Albtraums geworden war. Da glaubte ich nun, zwei Leiber im faradayschen Käfig des sich gegenseitigen Verführens zu haben, den man gemeinhin mit dem Wort Liebe umschreibt und hielt zwei mit Vakuum gefüllte Halbkugeln in der Hand. An wissenschaftliche Versuche hatte ich bei unserem so vertrauten Austausch von Gefühlen und Gedanken nicht gedacht. Ich saß also gar nicht in meinem Auto, sondern im Kino und neben mir nur noch ein klappriges Skelett aus einer Zahnarztpraxis. Fleischlose Knochen, blinde Augenhöhlen und eine hohle Wut, es möge auf der Stelle zu Staub zerfallen.
(To be continued)