Die Frau, die es nie gab (letzter Teil)
Zwischen Baum und Budenzauber
“For the moon never beams, without bringing me dreams
Of the beautiful Annabel Lee”
Ich hoffe nicht, dass im nächsten Augenblick, den ich beschreiben muss, zufällig ein Blinder mit seiner Kamera dabei war und ein Foto geschossen hat. Dann hinge womöglich mein Konterfei mit der Überschrift: Wanted. Dead or alive oder V – Eine Stadt sucht einen virtuellen Mörder in einer Berliner Galerie. Wie hieß sie noch gleich, wo mit solchen Blindenfotografien eine weltweit beachtete Vernissage gefeiert wurde? Irgendwas mit Meer. Auch an einer Kreuzung muss man sich entscheiden, in welche Richtung man fährt. Ich hätte meine Schlagwaffe noch fallen lassen können in meiner Wut, hätte ihr den Rücken gekehrt und sie allein zurückgelassen können; wäre resigniert mit dem Entschluss, Valea für immer zu vergessen, wieder in den Wagen gestiegen und dem vermaledeiten Gehölz bei der Insel ohne Schuld entflohen. Im Affekt aber lässt man eine tiefe Kränkung nicht unbeantwortet. Tränen der Enttäuschung liefen über mein Gesicht, vermischten sich mit dem strömenden Regen, als ich mit dem knorrigen Stück Holz mehrmals heftig krachend auf ihren Kopf einschlug. Ich sehe noch den schweren, schwarzen Ast durch die Luft donnern. Der überraschende Schlag kam so rasend schnell und für sie völlig unbegründet, dass es nicht die geringste Gegenwehr gab. Mir war, als hätte sie mit ihren Worten ein Messer mitten in mein Herz gestochen. Sie fiel wie ein Sack zu Boden und bewegte sich überhaupt nicht mehr. Ich wickelte die halbnackte Leiche in meinen dunkelbraunen Wintermantel vom Rücksitz, band das Sisalabschleppseil aus dem Kofferraum um ihren schlanken, einst so wunderschönen Körper und rollte sie an einer schilfbestandenen Uferstelle ins Wasser. Alles um mich herum war in eine grelle Schwärze gehüllt, als hätte sich eine unendliche Traurigkeit über die Welt gelegt. Weder Worte noch Gedanken schienen in der Zukunft einen Wert zu haben, allein das völlige Verstummen, die grenzenlose Sprachlosigkeit würde übrig bleiben. Das Bündel versank so langsam, wie ich es aus Filmen kannte, in denen Gangster schwere amerikanische Chevrolets entsorgen. Wer weiß, wie viele Leichen in den Kanälen, unter Brücken oder den zahlreichen Berliner Gewässern vom Grunewaldsee bis zum Jungfernsee bereits vor sich hin modern. Mag sein, sprach ich als letzte Worte zu mir selbst, dass alles Kommende im Dunkeln vor uns liegt, aber für sie und mich währte es von nun an für immer.
Ich hoffe, sie hat sich am Boden des Sees einfach aufgelöst, ist ins Nirwana verschwunden, aus dem sie an jenem Silvesterabend in der Bar kam. Das wäre dann so, als ob es sie nie gegeben hätte. Manchmal verschwinden junge Frauen spurlos, werden vielleicht von der Securitate abgeholt, weil an ihnen sowieso nie etwas echt war. Sie waren nur ein selbstgestricktes Konstrukt von jemandem, der sich auch nur erfunden hatte. Die Erfindung eines erfundenen Erfinders. Was für ein Widerspruch liegt darin, dass jemand dem Wort unendliche Zauberkraft verleihen möchte, aber gleichzeitig ihm nur die begrenzte Enge seiner Buchstaben zugesteht, mit anderen Worten, nur ein Budenzauberer ist. Wo kämen wir denn hin, wenn die Literatur, Mutter Magdalena stehe mir bei, nur ein Budenzauber würde.
Normalerweise ist der Moment, in dem ein Blinder plötzlich wieder sehen kann, ein Grund zur Freude. Jetzt endlich kannte ich doch ihr Geheimnis. Nicht so damals bei mir. Ich fühlte mich hintergangen und betrogen. Nicht nur von ihr oder ihm, sondern auch von unserem gemeinsamen Bekanntenkreis. Die hatten mich doch wissentlich ins Messer laufen lassen, vermutlich ihren Spaß an der Camouflage gehabt. Meine Gefühlslage glich jemandem, der den Glauben an das Gute verloren hat und hinter jeder Mauerecke Heiratsschwindler oder Beischlafdiebe wittert, ja die ganze Welt, vor allem die der Druckerschwärze, für einen Schwindel hält.
Jetzt hocke ich in meinem polnischen Zwangsrefugium und höre ständig Schritte auf der Hoteltreppe. Manchmal stelle ich mir vor, dass sie es wieder wäre, aber sie ist jetzt vollständig ins Reich des spielerisch Virtuellen versunken, auf das der Anfangsbuchstabe ihres Vornamens schon hindeutete. Ob es nicht doch die männlichen Stiefelschritte eines Polizisten sind? Aber sie werden mich nicht finden, dafür habe ich gesorgt. Die Identität zu wechseln, ist gar nicht so schwer. Die Erinnerungen aber lasten wie Bleiklumpen auf mir. Ich sehe ständig eine Frau vor mir, die sich abwendet, ein unkenntlich gewordenes Gesicht, das immer kleiner wird. Leichen sollte man eben nicht in ein Schaufenster stellen oder an den Straßenrand und schon gar nicht ständig mit ins Bett nehmen. Die fangen nach kurzer Zeit schrecklich an zu stinken. Doch ab und zu sehe ich auch wieder eine junge Frau in Jeans und weißer Bluse auf den dicken Wurzeln eines Baumes im Wald sitzen und gedankenverloren und friedlich in einem Buch lesen. Was damals geschah, meine verhängnisvolle Vergangenheit, verfolgt mich bis in meine Träume; bis in meine Träume verfolgt mich, was damals geschah.
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To be continued nevermore!
Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind genauso zufällig, wie gewisse Autoren natürlich rein fiktiv sind.
Die ganze mörderische Persiflage als zehnseitige >>>>> PDF-Datei.
Lieber Bücherblogger,
ich hoffe, der Exorzismus ist damit abgeschlossen!
Es wäre schade, wenn Ihre Begeisterung für die Literatur noch länger unter der unglücklichen Erfahrung litte, die Sie mit „Valea“ gemacht haben. Es gibt noch so viel mehr zu lesen…
Lieber Thorsten Krämer,
dass sich noch einmal ein alter Bolaño-Begeisterter auf meine Seite verirrt. Ich weiß, dass Sie ein wenig Promotion für die Bücher von A. T. machen und kenne auch Ihre Besprechung von DGDW beim WDR. Die fand ich damals nicht schlecht, obwohl sie natürlich in keinster Weise auf die tatsächliche Autorenidentität einging. Aber das war auch nicht zu erwarten als Teil des „Gesamtkonzepts“. Vielleicht besprechen Sie ja auch den neuen Roman wieder genauso enthusiastisch, aber bei mir ist der erste Eindruck nach mehr als hundert Seiten sehr gedämpft. Ich habe mir das Buch natürlich aus Neugierde gekauft, um festzustellen, ob der Autor sprachliche und allgemein literarische Fortschritte gemacht hat. Bisher muss ich das leider verneinen. Der Stakkatosatzbau, die permanente Aneinanderreihung von gleichlang kurzen Sätzen, ging mir an vielen Stellen wieder auf die Nerven. Die geschilderten Liebesverhältnisse bewegen sich auch wieder oft am Rande des Zweisamkeitskitsches und die eingestreuten Landesinformationen über Rumänien wirken ziemlich pädagogisch. Überhaupt finde ich, dass der Leser potentiell unterfordert wird von diesem Text. Es kommt mir so vor, als imaginiere der Autor mit seiner weiblichen Hauptfigur immer an einer Handlungsschnur entlang und würde die einzelnen Szenen, die ihm dabei einfallen, mit ein wenig Sprachwitz aufwerten wollen. Sprachlich reicht das mir bei weitem nicht und ich fand die Point-of view-Erzählweise von DGDW insgesamt gelungener. Auch das Mittel der eingeschobenen anderen Erzählebene, hier nun die Blogbeiträge, in DGDW die Marijankapitel bringen eben stilistisch nichts Neues. Allerdings honoriere ich in beiden Büchern die horrende Arbeit, diese eigene Kunstwelt in einen erzählerisch logischen Zusammenhalt zu bringen. Da könnte ich etwas lernen, denn der lange Atem eines solchen Projekts und die Konsistenz der Erzählfäden immer aufrecht zu erhalten, schaffe ich bei meinen bescheidenen Erzählversuchen nicht. Trotzdem habe ich mir mit meiner „Exorzismusprosa“ Mühe gegeben, ein ironisches Niveau auch sprachlich durchzuhalten. Insofern hoffe ich, dass Sie sich bei der Lektüre, von dem Hintergrund eines Gekränktseins einmal abgesehen, nicht gelangweilt haben. Selbstverständlich lese ich das „aleatorische Ich“ zu Ende. Schreiben werde ich darüber allerdings nichts weiter. Insofern ist Ihre Bezeichnung und Ihr Wunsch durchaus zutreffend. Wie sie dem Foto der vier Neuerwerbungen entnehmen können, gibt es auch noch andere, z. B. eben Bolaño-Lektüre für mich. Ich empfinde Ihren Einwurf als angebracht und den in seiner Verletzlichkeit sich suhlenden Masochisten werde ich hier bestimmt nicht geben. Schade aber ist, dass eine solche Erfahrung den Glauben an das Schreiben an sich zerstören kann. Ich halte eben einen Blog als Fake nach wie vor für keine gute Sache. Die Welt muss doch auch in ihrem künstlerischen Ausdruck aus mehr bestehen, als nur eingebildeter Künstlichkeit. Dem das autobiographisch Faktische antipodisch gegenüberzustellen, halte ich ebenfalls für falsch. Nur da, wo sich Authentizität und Kunst gegenseitig durchdringen, hat Literatur etwas zu sagen. Bei Bolaño zum Beispiel sehe ich dies in höchstem Maße als erfüllt an.
Ich grüße Sie herzlich
Der Buecherblogger