Die Form des Gedächtnisses

Auge in Auge_Filmszene  Edgar Fernhout

So funktioniert das also anscheinend, das menschliche Gedächtnis, es merkt sich Formen und Markierungspunkte. Dann findet sich eine Entsprechung zweier Dinge in diesem unendlichen neuronalen Raum, den wir unser Gehirn zu nennen pflegen, und dann docken da drinnen zwei Sachen an und verschmelzen zu einem neuen Gedanken.  Obwohl kein direkter Zusammenhang besteht, schaffen wir eine Verknüpfung. Das passiert bei jedem millionenfach jeden Tag. Ob man da wirklich noch davon sprechen kann, in der immer gleichen Welt zu leben. Wo eine Decke oben und ein Boden unten ist und wenn man aus dem Fenster schaut, dass das da draußen die Welt ist?

Ein Mann, der mir nur seinen Rücken zeigt,  sieht für mich aus einem hohen Fenster, vielleicht ein melancholischer Blick in die Welt und erst beim zweiten Hinsehen nehme ich wahr, dass dieses Triptychon-Fenster in der Mitte eine geöffnete Tür hat, durch die er doch gehen könnte. Aber er sieht so aus, beziehungsweise sein Rücken, als zöge er die Betrachtung der Tat vor. Der Gehrock und das Ambiente strahlen etwas Vornehmes aus, das Mosaik der Säulen lässt das Turmzimmer eines Schlosses vermuten. Es ist eine Szene aus der Dokumentation über deutsche Filmgeschichte “Auge in Auge”, deren Intro ich schon veröffentlichte. Um welchen Film es sich handelt, weiß ich leider bis heute nicht.

Auf dem zweiten Bild wendet die liegende, lesende Frau nicht mir, dem Betrachter, sondern dem Fenster ihren Rücken zu. Es liegen so viele große Kissen davor, die sie gar nicht benutzt. Sie hat nur Augen für das Buch, das ist ihr Blick aus dem Fenster. Das Fenster hinter ihr, in ihrem Zimmer, ist auch dreigeteilt und man sieht ebenfalls durch die Scheiben draußen wiederum auf spitze, gotische Fenster, die bis in den Himmel hinaufragen wollen, genau wie in dem anderen. Der Mann steht, die Frau liegt, hohe Räume. Was wäre, wenn sie sich in einem davon begegnen würden? Aber das haben sie schon längst in meinem Kopf erledigt.