Roberto Bolaño: Mexikanisches Manifest Teil IV

Das Zischen des Dampfes erschwerte es gelegentlich, die allzu leisen Stimmen auseinander zu halten. Lauras Körper, den Rücken an die Wand gelehnt, die Knie angezogen, war von Schweißperlen bedeckt. Tropfen glitten ihre Nase herunter, in ihren Nacken, sickerten in Kanälen zwischen ihren Brüsten entlang und hingen sogar von ihren Schamhaaren herab, bevor sie auf die heißen Fliesen fielen. Wir zerfließen, murmelte ich, und fühlte mich augenblicklich traurig. Laura nickte zustimmend. Wie süß sie mir in jenem Moment erschien. Wo sind wir, dachte ich. Mit dem Handrücken wischte ich mir die Tröpfchen weg, die von meinen Augenbrauen in meine Augen rutschten und mich am Sehen hinderten. Einer der Jungen seufzte. Ich bin so müde, sagte er. Schlaf, empfahl Laura. Es war sonderbar: ich glaubte, das Licht würde abnehmen, an Intensität verlieren und ich befürchtete ohnmächtig zu werden; dann nahm ich an, dass der übermäßige Dampf die Veränderung der Farben und Töne verursachte, die jetzt so viel dunkler waren. Als ob wir die Abenddämmerung hereinbrechen sehen würden, hier, eingeschlossen, ohne Fenster, dachte ich. Whiskey und Dope passen schlecht zusammen. Laura sagte, meine Gedanken lesend, ich solle mir keine Sorgen machen, alles wäre in Ordnung. Und dann begann sie wieder zu lächeln, kein höhnisches Lächeln, keins das ihr Vergnügen bereitete, sondern ein letztes Lächeln, ein Lächeln verknüpft mit Schönheit und Unglück, aber nicht einmal einigermaßen normale Schönheit und Unglück, sondern eine klitzekleine Schönheit und ein klitzekleines Unglück, wie paradoxe, unbegreifliche Zwerge, die zu Fuß laufen.
     Entspann dich, es ist nur Dampf, sagte Laura. Die Jungen, bereit alles was Laura ihnen sagte für unwiderleglich zu halten, nickten mehrmals. Dann ließ sich einer von ihnen auf die Fliesen fallen, den Kopf auf den Arm gelehnt, und schlief ein. Ich stand auf, gab darauf acht, den Alten nicht zu wecken, und rückte näher an Laura heran. Neben ihr hockend, vergrub ich mein Gesicht in ihrem feuchten und duftenden Haar. Ich fühlte, wie Lauras Finger meine Schulter streichelten. Nach einer Weile begriff ich, dass Laura spielte, sehr zärtlich, aber es war ein Spiel: ihr kleiner Finger sonnte sich auf meiner Schulter, dann kam der Ringfinger vorbei und sie begrüßten sich mit einem Kuss, nun erschien der Daumen und beide, kleiner Finger und Ringfinger, flüchteten den Arm hinunter. Dem Daumen gehörte jetzt die Schulter und er legte sich schlafen, was sogar den Verzehr von gewissem Grünzeug einschloss, das dort wuchs, denn der Nagel grub sich in mein Fleisch, bis dass der kleine Finger und der Ringfinger begleitet vom Mittel- und Zeigefinger zurückkamen und alle zusammen den Daumen verscheuchten, der sich hinter dem Ohr verkroch und von da aus die anderen Finger bespitzelte, ohne zu verstehen, warum sie ihn verjagt hatten. In der Zwischenzeit tanzten die anderen auf der Schulter, tranken und liebten sich, und verloren aus reiner Betrunkenheit das Gleichgewicht, sodass sie den Rücken hinabstürzten, ein Unfall, den Laura ausnutzte, mich zu umarmen und ihre Lippen ganz leicht meine Lippen berührten, derweil die vier Finger, fürchterlich zusammengequetscht, und sich an meinen Rückenwirbeln festhaltend, wieder zurück kletterten. Der Daumen beobachtete sie, ohne dass ihm einen einzigen Moment lang in den Sinn kam, sein Ohr zu verlassen.
     Dein Gesicht glänzt, flüsterte ich. Deine Augen. Die Spitzen deiner Brustwarzen. Du auch, sagte Laura, ein bisschen blasser vielleicht, aber du glänzt. Das ist Dampf vermischt mit Schweiß. Einer der Jungen beobachtete uns schweigend. Liebst du ihn wirklich?, fragte er Laura. Seine Pupillen waren groß und schwarz. Ich setzte mich auf den Boden. Ja, sagte Laura. Er muss dich wahnsinnig lieben, sagte der Junge. Laura lachte wie eine Hausfrau. Ja, sage ich dir doch. Nichts weniger als das, sagte der Junge. Nein, nichts weniger als das, sagte ich. Weißt du welchen Geschmack Dampf mit Schweiß vermischt hat? Das hängt davon ab, wie jeder einzelne schmeckt.
     Der Junge legte sich neben seinen Kollegen, auf seiner Seite die Schläfe direkt auf den Boden gedrückt, ohne die Augen zu schließen. Sein Schwanz war jetzt hart. Mit seinen Knien berührte er Lauras Beine. Er blinzelte einige Male, bevor er sprach. Lass uns ein bisschen vögeln, sagte er. Laura gab keine Antwort. Der Junge schien nur für sich selbst zu sprechen. Weißt du wie Dampf mit Schweiß vermischt schmeckt? Wie er wirklich schmeckt? Wie sich sein Geschmack anfühlt? Die Hitze schläferte uns ein. Der Alte rutschte weg, bis er der Länge nach schlafend auf der Bank lag. Der Körper des schlafenden Jungen hatte sich zusammengerollt und einer seiner Arme war um die Taille des wach gebliebenen gelegt. Laura betrachtete uns stehend ausgiebig von oben. Ich dachte sie wollte die Duschen aufdrehen, mit schrecklichem Ausgang für die Schlafenden.
     Es ist heiß, sagte sie. Unerträglich heiß. Wenn sie nicht da wären (sie bezog sich auf das Trio), würde ich darum bitten, mir eine Erfrischung von der Bar zu bringen. Das kannst du doch, sagte ich, niemand wird hier ganz herein kommen. Nein, sagte Laura, das ist es nicht. Soll ich den Dampf abstellen? Nein, sagte Laura. Der Junge starrte mit geneigtem Kopf fest auf meine Füße. Vielleicht will er mit dir Liebe machen, sagte Laura. Bevor ich antworten konnte, brachte der Junge, beinahe ohne die Lippen zu bewegen, ein lakonisches Nein hervor. Ich mache Witze, sagte Laura. Dann kniete sie sich neben ihn und streichelte mit einer Hand seinen Hintern. In einer fließenden und verstörenden Vision sah ich, wie die Schweißtropfen des Jungen zu Lauras Körper wechselten und wieder zurück. Die großen Finger an der Hand meiner Freundin und der Hintern des Jungen glänzten feucht und übereinstimmend. 

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(Nichtkommerzielle, nur  für den Privatgebrauch angefertigte Übersetzung der Erzählung „Manifiesto Mexicano“ von Roberto Bolaño, mithilfe der englischen Übersetzung von Laura Healy in “The New Yorker, April 2013 und dem spanischen Originaltext.)