10 Fragen an Ilja Regier

by Zeichensetzerin Alexa

Älte­res ver­liert die Bedeu­tung. Lei­der. Dabei schu­len uns Klas­si­ker, sie sor­gen dafür, dass wir begrei­fen, was tat­säch­li­che Meis­ter­werke sind. Sie mögen uns manch­mal über­for­dern oder quä­len, ein Gewinn sind sie trotz alledem.

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Zei­chen­set­ze­rin Alexa hat Ilja Regier 10 Fra­gen rund um Klas­si­ker, Lite­ra­tur­kri­tik und sei­nen Lite­ra­tur­blog „Muro­mez“ gestellt.

1. Wer befin­det sich hin­ter dem Blog „Muro­mez“? Und was hat es mit dem Blo­gna­men „Muro­mez“ auf sich?

Dahin­ter ver­steckt sich ein empa­thi­scher, kul­tur­in­ter­es­sier­ter, genie­ße­ri­scher, kri­ti­scher und biblio­phi­ler Mas­ter-Stu­dent, der gerne liest und dar­über schreibt. Im Fokus ste­hen ins­be­son­dere Werke aus Ost­eu­ropa, prä­zi­ser aus­ge­drückt: so wel­che, die aus den ehe­ma­li­gen Sowjet­staa­ten oder dem rus­sisch­spra­chi­gen Raum stammen.
Was den Blo­gna­men betrifft: Ilja Muro­mez ist ein Teil der rus­si­schen Hel­den­saga, ein auf­rich­ti­ger Mann, der Boga­tyr schlecht­hin. Dadurch fin­det sich nicht nur ein Ver­weis zu mei­nem Vor­na­men, son­dern auch zur Aus­rich­tung des Blogs.

2. Du beschäf­tigst dich auf dei­nem Blog ins­be­son­dere mit Klas­si­kern und anspruchs­vol­ler Gegen­warts­li­te­ra­tur – warum?

Weil es in ers­ter Linie das ist, was ich bevor­zugt rezi­piere und weil diese ver­nach­läs­sigt wer­den, nicht auf den Best­sel­ler-Lis­ten ste­hen. Gegen den Strom schwim­men mag ich.

3. Nach wel­chen Kri­te­rien suchst du deine Lek­türe aus? Und wel­che lan­det als Buch­kri­tik auf dei­nem Blog?

Das ist ein Pro­zess, den man nicht genau beschrei­ben kann. Manch­mal erfolgt die Aus­wahl durch Inten­tion, durch Tipps im Netz, der gedruck­ten Zei­tun­gen, durch münd­li­che Emp­feh­lun­gen. Durch den Gang in eine Buch­hand­lung oder Biblio­thek. Letz­ten Endes stehe ich dann vor mei­nem Bücher­re­gal und über­lege minu­ten­lang, wel­ches Exem­plar sich als nächs­tes anbie­tet, was wie­derum abhän­gig von der Stim­mung ist. Grund­sätz­lich muss ich – selbst­ver­ständ­lich – ein Werk been­den, um dar­über schrei­ben zu kön­nen. Das setzt vor­aus, dass es etwas haben muss und mich per­sön­lich begeis­tert. Was mir nicht zusagt, kris­tal­li­siert sich fix nach ein paar Sei­ten oder Kapi­teln her­aus. Die Lebens- und Lese­zeit ist zu wert­voll, um sich mit Schrott zu beschäftigen.

4. Ist es über­haupt sinn­voll, Klas­si­ker zu rezensieren?

Natür­lich! Selbst wenn sie nach Anti­qua­riat oder Alt­pa­pier klin­gen, gar nicht mehr zeit­ge­mäß erschei­nen. Ich nehme zum Teil alte, ver­staubte Schin­ken in die Hand, die frei­wil­lig auf der Welt viel­leicht nur noch wenige in die Hand neh­men. Viel­leicht einige Pro­fes­so­ren, Wis­sen­schaft­ler, Ober­stu­di­en­räte. Oder Rent­ner mit Haar­kranz, Socken in den San­da­len, die dabei Jazz-Schall­plat­ten hören, einen teu­ren Rot­wein trin­ken, ihre Latz­hose anha­ben und am Kamin sitzen.
Das ist, ver­mute ich, etwas über­spitzt dar­ge­stellt, letzt­end­lich lesen mitt­ler­weile mei­ner Mei­nung nach viel zu wenig Men­schen noch Klas­si­ker, gerade durch die Masse an Neu­erschei­nun­gen. Älte­res ver­liert die Bedeu­tung. Lei­der. Dabei schu­len uns Klas­si­ker, sie sor­gen dafür, dass wir begrei­fen, was tat­säch­li­che Meis­ter­werke sind. Sie mögen uns manch­mal über­for­dern oder quä­len, ein Gewinn sind sie trotz alle­dem. Und da passt auch die Aus­sage von Sieg­linde Gei­sel, Lite­ra­tur­kri­ti­ke­rin u.a. für die NZZ, die mir im Gespräch sagte, dass man seine Maß­stäbe nur pfle­gen kann, indem man Klas­si­ker liest, was in ihrem Kol­le­gen­kreis zudem viel zu wenig getan werde.

5. Ab wann ist – dei­ner Mei­nung nach – ein Klas­si­ker ein Klassiker?

Klas­si­ker ist mitt­ler­weile ein Begriff, der nicht ein­deu­tig defi­niert wer­den kann und zu oft, auch in der Wer­bung von Ver­la­gen, benutzt wird. Ein Buch kann ein Klas­si­ker einer bestimm­ten Epo­che sein, eines Gen­res, Lan­des oder einer Region. Mög­li­cher­weise wäre da „Welt­li­te­ra­tur“ kon­kre­ter und zu die­ser las­sen sich Werke zäh­len, die über einen län­ge­ren Zeit­raum Rele­vanz, Ein­fluss auf die Gesell­schaft sowie Kul­tur und die nach­hal­tige Maß­stäbe gesetzt haben. Die für Inspi­ra­tion sor­gen und zu einem Kanon gehö­ren, wobei auch das dis­kus­si­ons­wür­dig ist. Wer hat die Macht zu ent­schei­den, was zu einem Kanon gehört und was ein Klas­si­ker ist? Die Lite­ra­tur­kri­tik? Die Literaturwissenschaft?

6. Gibt es denn Bücher, von denen du meinst, dass sie das Poten­zial haben, Klas­si­ker zu werden?

Nein, ich kann lei­der keine Kaf­fee­sätze lesen oder fest­le­gen, was warum über­dau­ern wird. So schön es doch wäre, denn dann hätte ich eine Bera­ter-Tätig­keit bei Ver­la­gen und in unse­ren Geld­beu­teln würde es klingeln.

7. Was hältst du von Lis­ten à la „Bücher, die man gele­sen haben sollte“?

Hierzu gibt es nicht nur Lis­ten, son­dern ganze Bücher und ich halte nicht viel davon. Nie­mand hat mir zu dik­tie­ren, was ich unbe­dingt zu lesen habe! Warum? Ich bin weder ein Groß­kri­ti­ker noch Wis­sen­schaft­ler. Aber sicher­lich gibt es eine ganze Reihe an Büchern, die man irgend­wann mal zumin­dest auf­ge­schla­gen haben sollte, wenn man sich zu gewis­sen Din­gen öffent­lich äußert. Ob sie dann zusa­gen, ist eine andere Sache. Und den­noch habe ich in die­sem Bereich noch große Lücken, die gestopft wer­den müs­sen, mir bei­nahe pein­lich sind. Aber man lernt bekannt­lich nie aus, das macht Hoff­nung und ent­fernt die Schamesröte.

8. Die „klas­si­sche“ Lite­ra­tur­kri­tik stirbt aus, sagt man. Was denkst du darüber?

Könnte man fast durch die Zei­tungs­krise mei­nen. Die Lite­ra­tur­kri­tik wird auf eine harte Probe gestellt, muss sich viel­leicht durch die Digi­ta­li­sie­rung und die zurück­ge­hen­den Auf­la­gen neu defi­nie­ren. Text­wüs­ten wer­den unat­trak­ti­ver und damit die Königs­dis­zi­plin in Form der Rezen­sio­nen mit all den Facet­ten. Aus­ster­ben wird sie trotz­al­lem nicht, weil sie gebraucht wird – wie nie zuvor – und falls sie gelingt, uner­setz­bar durch die Exper­tise oder kom­ple­xen Gedan­ken ist. Blog­ger zum Bei­spiel erwei­tern ledig­lich das Gespräch über die Lite­ra­tur, kön­nen jedoch sel­ten in diese gro­ßen Fuß­stap­fen tre­ten. Ergo, sie wol­len dies auch gar nicht.

9. Ste­hen in nähe­rer Zukunft irgend­wel­che Blog­pro­jekte an?

Auf mei­nem Blog gibt es, so gese­hen, stän­dig Pro­jekte. Ein ehe­ma­li­ger Klas­sen­ka­me­rad, der hin und wie­der das Nie­der­ge­schrie­bene ver­folgt, schrieb mir neu­lich: „Warum liest du eigent­lich so viele Kriegs­bü­cher? Depri­miert dich das nicht? Lies doch mal was Posi­ti­ves!“ Ich ant­wor­tete ihm dar­auf­hin, dass ich selbst gar nicht wisse, warum ich das tue, jeden­falls stets Abstand hal­ten kann. Tat­säch­lich, ein Zurück­blät­tern bestä­tigt, dass der Gegen­stand Krieg ein häu­fi­ger Bestand­teil mei­ner Bücher­aus­wahl ist. Ich glaube, es basiert auf Intui­tion. Der Drang, zu begrei­fen, hat sich fest­ge­setzt. Der Holo­caust, Sta­lins Ter­ror, der Erste und Zweite Welt­krieg usw.; Geschichte darf nicht unter den Tep­pich gekehrt wer­den. Sie dient, zu erfah­ren, wer wir sind, wer wir waren, woher wir stam­men und wohin wir gehen, uns ent­wi­ckeln. Nur Ver­gan­ge­nes kann leh­ren! Lang­wei­lig wird es also, was die Pro­jekte betrifft, nie!

10. Und zum Abschluss: Stell dir vor, du wärst ein Buch. Wel­ches wärst du?

Hm, kein offe­nes zumindest.

www​.muro​mez​.wor​d​press​.com

Foto: pri­vat
Die­ses In­ter­view er­schien erst­mals in der 21. Aus­gabe des Bü­cher­stadt Ku­riers.

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