10 Fragen an Nicole Seifert Blog: Nacht und Tag

by Worteweberin Annika

„Es gibt Lite­ra­tur von Autorin­nen, aber sie wird von der – immer noch über­wie­gend männ­li­chen – Lite­ra­tur­kri­tik scho­ckie­rend viel weni­ger bespro­chen als die von Männern.“

Auf „Nacht und Tag“ bloggt die Ham­bur­ge­rin Nicole Sei­fert über Lite­ra­tur. Im Inter­view hat sie mit Worte­we­be­rin Annika über Autorin­nen in der Lite­ra­tur­kri­tik, ihren All­tag als Über­set­ze­rin und Blog­ge­rin und ein paar wun­der­bare Bücher gesprochen.

1. Magst du dich und dei­nen Blog „Nacht und Tag“ kurz vorstellen?

Mein Name ist Nicole Sei­fert, ich bin Über­set­ze­rin, lebe mit mei­ner Toch­ter, mei­nem Mann und unse­rem Hund in Ham­burg und habe vor einem Jahr mei­nen Blog www​.nacht​und​tag​.blog gestar­tet, auf dem ich in ers­ter Linie zeit­ge­nös­si­sche Lite­ra­tur von Autorin­nen bespre­che, weil die im Feuil­le­ton lei­der immer noch zu kurz kommt.

2. Wie bist du zum Blog­gen gekommen?

Ich hatte ein­fach große Lust dazu, wie­der über Lite­ra­tur zu schrei­ben. Mich hat es nach mei­nem lite­ra­tur­wis­sen­schaft­li­chen Stu­dium in den Ver­lag gezo­gen, und das habe ich auch nie bereut, aber Lite­ra­tur­jour­na­lis­mus und Rezen­sie­ren hät­ten mich auch sehr gereizt. Dazu kam, dass ich mich ein­fach zu oft geär­gert habe, wenn ich die Süd­deut­sche oder die Frank­fur­ter All­ge­meine Zei­tung auf­ge­schla­gen habe, weil sich von drei Rezen­sio­nen mal wie­der zwei bis drei mit Büchern männ­li­cher Autoren befas­sen. Denn das bedeu­tet, dass sehr viele Autorin­nen über­haupt nicht bespro­chen wer­den und nicht die Auf­merk­sam­keit bekom­men, die sie verdienen.

3. Ist das tat­säch­lich so? In den Buch­hand­lun­gen hat man nicht unbe­dingt den Ein­druck, dass es wenig Bücher von Autorin­nen gibt.

Das ist genau der Punkt. Es gibt Lite­ra­tur von Autorin­nen, aber sie wird von der – immer noch über­wie­gend männ­li­chen – Lite­ra­tur­kri­tik scho­ckie­rend viel weni­ger bespro­chen als die von Män­nern. Die Uni­ver­si­tä­ten Ros­tock und Inns­bruck haben im letz­ten Jahr zu die­sem Thema Stu­dien in Auf­trag gege­ben, und beide erge­ben, dass nur ein Drit­tel der im Feuil­le­ton bespro­che­nen Bücher von Autorinnen stammt. Ich spre­che hier, wohl­ge­merkt, vom lite­ra­ri­schen Bereich, nicht von der Unter­hal­tung, wo es etwas anders aussieht.

Mir geht es aber genau um die ernst­hafte Lite­ra­tur, um den Bereich, in den viele Autorin­nen zu Unrecht nicht „vor­ge­las­sen“ wer­den. Das geht schon in der Schule los, wo bis heute sehr über­wie­gend männ­li­che Autoren gele­sen wer­den, was natür­lich nicht daran liegt, dass sie bes­ser wären oder es keine Autorinnen gäbe. Es ist ein­zig und allein eine Frage der Vor­ur­teile und der Aus­wahl, das wird sehr schnell deut­lich, wenn man sich damit beschäf­tigt. Das Thema ist kom­plex, und da ist viel Raum für Miss­ver­ständ­nisse, des­halb habe ich ihm auch einen eige­nen Blog-Arti­kel gewidmet.

4. Und wie kam es zum Namen „Nacht und Tag“?

Ich habe mich bei mei­nen Lieb­lings­au­torin­nen nach einem Namen für den Blog umge­se­hen und bin bei Vir­gi­nia Woolf fün­dig gewor­den – „Nacht und Tag“ ist der Titel von einem ihrer frü­hen Romane. Ich mag, was man sonst noch damit asso­zi­iert: hell und dun­kel, den Song „Night and Day“, Tag und Nacht lesen ...

5. Hast du Lust, ein biss­chen was aus dem All­tag des Über­set­zens zu erzäh­len? Wor­auf muss man zum Bei­spiel ach­ten, wenn man Lite­ra­tur übersetzt?

Ja, gerne. Ich über­setze Romane aus dem Eng­li­schen ins Deut­sche, und dabei ist das oberste Ziel, einen deut­schen Text zu ver­fas­sen, dem man nicht anmerkt, dass er über­setzt wurde. Das ist schwie­ri­ger, als man zunächst denkt – wer einen Text aus dem Stand zu über­set­zen ver­sucht, wird fast nie die­sen Effekt erzie­len, einen gewis­sen Anspruch an die Spra­che natür­lich vor­aus­ge­setzt. Der Text muss flüs­sig sein, also frei von Stör­fak­to­ren wie zum Bei­spiel Angli­zis­men, dabei aber immer dem Ori­gi­nal ent­spre­chen, vom Ton, von der Stil­höhe, mög­lichst auch vom Rhythmus.

Eine beson­dere Her­aus­for­de­rung sind für mich immer wie­der poe­ti­sche Land­schafts­be­schrei­bun­gen, weil die eng­li­sche Gram­ma­tik so viel öko­no­mi­scher struk­tu­riert ist als die deut­sche. Im Deut­schen geht es manch­mal nicht ohne meh­rere Rela­tiv­sätze, außer­dem ver­fügt es über weni­ger Voka­beln als das Eng­li­sche, sodass sich manch­mal Wort­wie­der­ho­lun­gen nicht ver­mei­den las­sen, wo im Ori­gi­nal keine sind. Eine Her­aus­for­de­rung jen­seits des Sprach­lich-Sti­lis­ti­schen sind beim Über­set­zen außer­dem Sach­ge­biete, auf denen man sich nicht aus­kennt. Wenn die Protagonist*innen bei­spiels­weise eine Sport­art oder ein Hand­werk aus­üben, die ich nicht gut kenne, die aber detail­liert beschrie­ben wer­den – und so etwas kommt prak­tisch in jedem Roman vor – muss ich viel recher­chie­ren. Denn von den Leser*innen merkt immer jemand, wenn etwas nicht stimmt.

6. Spielt dein Lite­ra­tur­wis­sen­schafts­stu­dium eine Rolle beim Schrei­ben für dei­nen Blog?

Ich greife beim Rezen­sie­ren natür­lich auto­ma­tisch auf das zurück, was ich im Stu­dium gelernt habe, und das ist ja auch sinn­voll, um aus den Büchern her­aus­zu­ho­len, was in ihnen steckt. Ich möchte nicht nur geschmäck­le­risch argu­men­tie­ren oder meine Lek­tü­re­er­fah­rung kom­men­tie­ren. Meine Erfah­rung ist auch, dass viele Leser*innen das inter­es­sant fin­den und zu schät­zen wissen.

7. Was ich wirk­lich toll finde, ist, dass du auf dei­nem Blog gerade auch einen Lese­kreis ent­wi­ckelst! Wie kamst du dar­auf und wie wird es damit weitergehen?

Eine der schöns­ten Über­ra­schun­gen für mich ist es, dass ich durchs Blog­gen mit so vie­len ande­ren Lite­ra­tur­be­geis­ter­ten ins Gespräch komme, die auch Neu­erschei­nun­gen lesen und sich zu ihnen ein Urteil bil­den – das fin­det weni­ger auf dem Blog selbst statt, mehr auf Face­book und vor allem auf Insta­gram. Ich hatte Lust, die­sen Aus­tausch zu inten­si­vie­ren, kon­kre­ter über die Texte zu spre­chen, eben wie in einem Lite­ra­tur­kreis, nur online. Den ers­ten Ver­such dazu habe ich mit Elena Fer­ran­tes Roman „Frau im Dun­keln“ gemacht. Das hat auch gut funk­tio­niert, es kamen ein paar sehr inter­es­sante Ein­schät­zun­gen, aber ich hätte mir eine regere Betei­li­gung gewünscht. Lag mög­li­cher­weise auch am Buch – ich ver­su­che es bei Gele­gen­heit noch mal mit einem anderen.

8. Wie schaffst du es, das Blog­gen mit dei­nem Arbeits­all­tag und dei­ner Fami­lie unter einen Hut zu bringen?

Ich habe mei­nen Schreib­tisch ja zu Hause ste­hen, kann mir meine unter­schied­li­chen Pro­jekte also so ein­tei­len, wie es die Umstände, Dead­lines und andere Ter­mine erlau­ben. Das Blog­gen ist für mich sehr über­wie­gend Spaß, das läuft neben­bei – und wenn mal nicht genug Zeit dafür ist, poste ich eben weni­ger. Die Arbeit im Haus­halt haben mein Mann und ich auf­ge­teilt, meine Toch­ter ist schon grö­ßer – es ist eigent­lich ziem­lich ideal.

9. Wel­che Bücher dür­fen dei­ner Mei­nung nach in kei­nem Bücher­re­gal feh­len? Hast du drei Buch­tipps für mich?

Ich mag bei Lese­emp­feh­lun­gen nicht so gern den päd­ago­gi­schen Zei­ge­fin­ger, ver­stehe die Frage also mal nicht in die­sem Sinne. Drei Bücher, die ich in letz­ter Zeit ein­fach groß­ar­tig fand und wirk­lich jedem und jeder emp­feh­len würde, sind „Die Ehe­frau“ von Meg Wolit­zer, „Die ein­zige Geschichte“ von Julian Bar­nes und das schmale Sach­buch „Frauen und Macht“ von Mary Beard.

„Die Ehe­frau“ ist ein sehr komi­scher, sehr wah­rer Roman über einen Schrift­stel­ler, der einen bedeu­ten­den Lite­ra­tur­preis ver­lie­hen bekommt und zu die­sem Anlass von sei­ner Frau nach Europa beglei­tet wird. Zu Beginn der Reise beschließt sie, ihren Mann end­lich zu ver­las­sen. Die Geschichte der Ehe, die erklärt, wie es dazu kam, wird par­al­lel zu dem bei­nahe sati­ri­schen Lite­ra­tur­preis-Hand­lungs­strang erzählt. Das ist sehr gelun­gen und sehr unterhaltsam.

„Die ein­zige Geschichte“ von Julian Bar­nes ist einer mei­ner abso­lu­ten Lieb­lings­ro­mane. Ich hätte keine Schwie­rig­kei­ten, zehn Zitate dar­aus zu brin­gen, die ich ein­fach groß­ar­tig finde. Bar­nes erzählt so klug und sen­si­bel, so trau­rig, schön und wahr vom Wer­den und Ver­ge­hen der Liebe, wie ich es sonst noch kaum gele­sen habe – neben­bei ist er auch noch ein Meis­ter der Dra­ma­tur­gie und war­tet immer wie­der mit Über­ra­schungs­ef­fek­ten auf.

„Frauen und Macht“ von Mary Beard war für mich ein wah­rer eye ope­ner , und ich ver­mute, dass es jedem so geht, der die­ses Büch­lein liest. Die bri­ti­sche His­to­ri­ke­rin zeich­net kurz, sach­lich und sehr gut ver­ständ­lich in zwei hoch­in­ter­es­san­ten Vor­trä­gen nach, dass und wie Frauen in der abend­län­di­schen Kul­tur seit den Grie­chen und Römern der Mund ver­bo­ten wurde. Das Fas­zi­nie­rende und Erschre­ckende daran: Die Art und Weise, wie Frauen, ihre Ansich­ten und Argu­mente lächer­lich gemacht wur­den, las­sen sich bis heute nach­ver­fol­gen. Wor­über Mary Beard hier auf­klärt, das sollte Schul­stoff sein. Drin­gende Lese­emp­feh­lung für abso­lut jede und jeden.

10. Nun noch unsere bücher­städ­ti­sche Frage zum Abschluss: Wenn du ein Buch wärst, wel­ches wäre das dann?

„Schlaf­los“ von Sarah Moss – ein Roman, den ich auch über­setzt habe – ist bestimmt das Buch, mit dem ich mich in den letz­ten Jah­ren am meis­ten iden­ti­fi­ziert habe. Die Erzäh­le­rin ist eben­falls Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­le­rin, hat zwei Kin­der und zieht mit ihrem Mann auf eine men­schen­leere schot­ti­sche Insel, weil er dort für ein wis­sen­schaft­li­ches Pro­jekt eine Popu­la­tion von Papa­gei­en­tau­chern beob­ach­tet. Die Prot­ago­nis­tin liebt ihre Kin­der sehr, aber sie hat eben auch ein Gehirn und sehnt sich nach auf­räu­men und Wäsche und kochen und dem x‑ten Vor­le­sen vom „Grüf­felo“ an ihren Schreib­tisch, um an ihrem eige­nen, wis­sen­schaft­li­chen Buch wei­ter­zu­schrei­ben. Die Scho­nungs­lo­sig­keit und Selbst­iro­nie, über­haupt der Humor, mit dem Sarah Moss diese Frau beschreibt, ent­spre­chen mir sehr.

Vie­len Dank für das Interview!

Foto: Sabrina Ade­line Nagel

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