10 Fragen an Prosathek

by Bücherstadt Kurier

Einer unse­rer Leit­sätze ist „Wir könn­ten auch ohne ein­an­der – wol­len aber nicht.“ Und genau so sehe ich das. Als Gruppe sind wir ein­fach stärker.

Ein Mal Lite­ra­tur, bitte! Hin­ter der Pro­s­a­thek steht eine Gruppe jun­ger Autoren, die Leser und Lese­rin­nen regel­mä­ßig mit Lite­ra­tur ver­sorgt. Ver­gan­ge­nes Jahr ist deren Antho­lo­gie „Nichts Dra­ma­ti­sches“ erschie­nen. Zei­chen­set­ze­rin Alexa und Worte­we­be­rin Annika haben 10 Fra­gen for­mu­liert, denen sich Annika Kem­me­ter, Arina Mol­chan, Lydia Wünsch, Vic­to­ria B. und Verena Ull­mann gestellt haben.

1. Eure Antho­lo­gie heißt „Nichts Dra­ma­ti­sches“, trotz­dem pas­siert ja so eini­ges Dra­ma­ti­sches darin. Warum die­ser Titel?

Annika Kem­me­ter: Den Titel „Nichts Dra­ma­ti­sches“ haben wir aus vie­len Grün­den gewählt. Zum einen, ja, ist es iro­nisch gemeint, denn tat­säch­lich sind die meis­ten Geschich­ten ziem­lich dra­ma­tisch. „Nichts Dra­ma­ti­sches“ ist aber auch ein Zitat aus unse­rer Inspi­ra­ti­ons­quelle, dem Drama „Enigma“ von Éric-Emma­nuel Schmitt. Es ist der neunte Satz aus dem Drama. Zwi­schen die ers­ten neun Sätze aus dem Drama haben wir jeweils unsere Geschich­ten ein­ge­bet­tet. Und schließ­lich ist es im gat­tungs­theo­re­ti­schen Sinne natür­lich eine ein­fa­che Fest­stel­lung: In den Hän­den hal­ten Sie nichts Dra­ma­ti­sches, son­dern reine Prosa.

Arina Mol­chan: Natür­lich soll es auch das lite­ra­ri­sche Trio ver­voll­stän­di­gen: PRO­S­A­thek – wir kön­nen auch LYRIK, aber (bis­her) eben nichts DRAMAtisches.

2. Cover und Klap­pen­text signa­li­sie­ren bereits, dass die Geschich­ten mit­ein­an­der „ver­ket­tet“ sind, und den­noch kön­nen alle für sich ste­hen. Könnte man diese Ver­ket­tung auch auf die Autoren projizieren?

Arina Mol­chan: Auf jeden Fall!

Annika Kem­me­ter: Wir sind eigen­stän­dige Autoren, mit eige­nen Pro­jek­ten und vor allem ganz unter­schied­li­chen Sti­len. Als Autoren­gruppe sehen wir uns aber weni­ger als eine Kette, eher als ein Satz Gehirn­zel­len: Alle Mit­glie­der sind mit­ein­an­der ver­knüpft. Ideen, Texte und Pro­jekt­vor­schläge wer­den von allen Sei­ten in die Manège gewor­fen, und dann auch von allen Sei­ten kom­men­tiert, gelobt und kri­ti­siert und vorangetrieben.

Lydia Wünsch: Einer unse­rer Leit­sätze ist „Wir könn­ten auch ohne ein­an­der – wol­len aber nicht.“ Und genau so sehe ich das. Als Gruppe sind wir ein­fach stär­ker. Wir unter­stüt­zen uns gegen­sei­tig, kri­ti­sie­ren unsere Texte, damit sie bes­ser wer­den und wir uns als Schrift­stel­ler wei­ter­ent­wi­ckeln. Ich, für mei­nen Teil, könnte mir das Autoren­da­sein ohne den Aus­tausch mit Gleich­ge­sinn­ten gar nicht vor­stel­len. Es macht Spaß, gemein­sam Pro­jekte zu ent­wi­ckeln und sich gegen­sei­tig zu pushen. Wir fah­ren auch zusam­men auf Lesun­gen in andere Städte und haben auf sol­chen Wochen­end­trips immer viel Spaß. Das gehört für mich auch dazu!

3. Die ers­ten Sätze eurer Antho­lo­gie stam­men aus Éric-Emma­nuel Schmitts Drama „Enigma“ – hat es eine beson­dere Bedeu­tung für euch?

Annika Kem­me­ter: Wir woll­ten für unsere aktu­elle Kurz­ge­schich­ten­samm­lung nicht ein­fach unver­bun­dene Geschich­ten neben­ein­an­der­stel­len. Wir woll­ten eine etwas außer­ge­wöhn­li­chere Ver­knüp­fung, die gleich­zei­tig eine Inspi­ra­ti­ons­quelle sein sollte. So kamen wir dar­auf, eigent­lich zusam­men­hän­gende Sätze aus einem bestehen­den Text aus­ein­an­der­zu­rei­ßen und die Lücken mit Kurz­ge­schich­ten zu fül­len. Das Anspruchs­volle daran war nicht, dass der Anfangs­satz vor­ge­ge­ben war, son­dern vor allem, dass man auf einen End­satz hin­ar­bei­ten musste, der viel­leicht gar nicht so gut als Pointe funktioniert.

Arina Mol­chan: Da wir die Idee hat­ten, einem ande­ren Werk zwi­schen die Zei­len zu schrei­ben, kris­tal­li­sierte es sich recht schnell her­aus, dass wir dazu am bes­ten ein Drama her­neh­men soll­ten, da hier die Ein­schrän­kun­gen bezüg­lich Set­ting, Zeit und Per­so­nen klei­ner wären als in der Epik. Und um sprach­lich freier zu sein, musste es etwas Zeit­ge­nös­si­sches sein. So kam es zu „Enigma“. Dass das Drama bei einem von uns im Regal steht, deu­tet aber natür­lich auch dar­auf, dass es für jeman­den bedeut­sam ist.

4. Seid ihr auf dem Weg von der Idee bis zur Ver­öf­fent­li­chung der Antho­lo­gie auf Stol­per­steine gestoßen?

Annika Kem­me­ter: Eigent­lich lief es über­ra­schend rei­bungs­los. Man muss natür­lich dis­zi­pli­niert sein und sich an die Dead­lines hal­ten. Aber von der Idee über die Text­ar­beit, das Buch­co­ver und die Ver­öf­fent­li­chung ver­lief der Weg eigent­lich gera­de­wegs und ohne große Stolpersteine.

Arina Mol­chan: Doch, mei­ner Mei­nung nach gab es Stol­per­steine! Alleine die Her­aus­for­de­rung, eine Geschichte mit einem vor­ge­ge­be­nen Satz zu star­ten und dann auch noch sinn­voll mit einem vor­ge­ge­be­nen Satz zu enden, war groß. Man­che hat­ten „Glück“ mit ihren Sät­zen, andere weni­ger. Und dann natür­lich die sehr opti­mis­tisch selbst­ge­setz­ten Deadlines …

Lydia Wünsch: Eine große Her­aus­for­de­rung war auch die Cover­ge­stal­tung. Arina hat eine Menge schö­ner Cover für unser Buch gestal­tet und dann hieß es, sich zu ent­schei­den. Gar nicht so leicht, in so einer gro­ßen Gruppe. Darum wer­den bei uns sol­che Sachen ganz demo­kra­tisch mit einer 2/3‑Mehrheit ent­schie­den. Zwei Tage lang ging die Abstim­mung, bis wir uns für das jet­zige Cover ent­schie­den hat­ten. Und wir sind alle sehr glück­lich damit. Mir gefällt beson­ders der Kon­trast zwi­schen der schwe­ren Eisen­kette und dem hel­len Pink. So ist es nicht zu düs­ter und deu­tet den­noch an, dass in dem Buch eini­ges pas­sie­ren wird.

Vic­to­ria B.: Natür­lich ist es nicht immer ein­fach, alle Mei­nun­gen glei­cher­ma­ßen umzu­set­zen. Aber an genau sol­chen Din­gen wach­sen wir, als Gruppe und auch individuell.

5. Neun Autoren set­zen sich zusam­men und dis­ku­tie­ren bis spät in die Nacht über den Inhalt der Antho­lo­gie – oder wie kann man sich eure Zusam­men­ar­beit vorstellen?

Arina Mol­chan: Da einige von uns etwas wei­ter weg woh­nen, kom­mu­ni­zie­ren wir sehr viel über Mes­sen­ger­dienste und Mails mit­ein­an­der. Die Auf­tei­lung der Sätze fand auf jeden Fall per Mail statt und dann hatte jeder Zeit, sich etwas aus­zu­den­ken. Wir waren selbst gespannt, was bei die­sem Expe­ri­ment her­aus­kommt, wes­halb wir bis zur ers­ten Text­fas­sung einer Geschichte nie­man­dem ver­rie­ten, was wir uns aus­ge­dacht hat­ten. Über die Texte dis­ku­tier­ten wir dann auf unse­rem inter­nen Blog, der unsere eigent­li­che Arbeits­platt­form, unsere Werk­statt, bil­det. Und dann gab es noch zwei Wochen­en­den, an denen wir uns zusam­men­ge­setzt haben und bis spät in die Nacht über die Texte dis­ku­tiert haben.

Lydia Wünsch: Dar­über hin­aus tref­fen wir Münch­ner Mit­glie­der uns aber auch zu regel­mä­ßi­gen Stamm­ti­schen und vier Mal im Jahr hal­ten wir einen Work­shop ab. Die­ser geht meist über das ganze Wochen­ende und fin­det immer bei einem der Mit­glie­der zu Hause statt. Dafür rei­sen auch die Mit­glie­der an, die in einer ande­ren Stadt woh­nen. Es ist mei­ner Mei­nung nach wich­tig, dass der Kon­takt nicht nur vir­tu­ell statt­fin­det. Unsere krea­tivs­ten Ideen haben wir bei ange­reg­ten Dis­kus­sio­nen oder auch bei Schreibexperimenten.

6. Was ist die „Pro­s­a­thek“ eigent­lich? Und was hat es mit die­sem „sprin­gen­den Punkt“ auf sich?

Annika Kem­me­ter: Die Pro­s­a­thek ist eine Autoren­gruppe, die einen Lite­ra­tur­blog betreibt, www​.pro​s​a​thek​.de, die regel­mä­ßig Antho­lo­gien her­aus­gibt und Lesun­gen orga­ni­siert. Der Name ist eine freie Asso­zia­tion zwi­schen Prosa und Theke – nur, dass über unse­ren „Laden­tisch“ Lite­ra­tur geht.
Der sprin­gende Punkt ist der rote Fleck in unse­rem Logo. Für alle von uns hat er eine unter­schied­li­che Bedeu­tung: vom Tin­ten­fleck über das Satz­zei­chen, das Herz, bis zum Blut­fleck, der bleibt, wenn man gerade eine Stech­mü­cke an die Wand geklatscht hat. Er haucht unse­rem Logo Leben ein und inspi­riert zu Interpretationen.

Arina Mol­chan: Der hüpft halt. 😉 Ursprüng­lich war der sprin­gende Punkt eine zer­quetschte Stech­mü­cke – aber von die­ser Inter­pre­ta­tion sind wir irgend­wann weg­ge­kom­men. Das hatte uns zu wenig mit Inter­punk­tion und Meta­ebe­nen zu tun.

Lydia Wünsch: Der Aus­druck „sprin­gen­der Punkt“ geht angeb­lich auf Aris­to­te­les zurück. Die­ser erforschte die embryo­nale Ent­wick­lung von Hüh­nern und fand dabei einen pochen­den roten Punkt im befruch­te­ten Ei, der sich als das Herz her­aus­stellte. Das ist für mich die schönste Inter­pre­ta­tion. Denn Lite­ra­tur ist für uns alle eine Her­zens­an­ge­le­gen­heit, die wir mit Lei­den­schaft ver­fol­gen. Die Lite­ra­tur ist unser pochen­des Herz sozu­sa­gen. Die zer­quetschte Stech­mü­cke finde ich aber auch gut. 😉

7. Sind Lesun­gen geplant? Wann und wo kann man euren Geschich­ten lauschen?

Annika Kem­me­ter: Wir haben unsere Antho­lo­gie „Nichts Dra­ma­ti­sches“ auf Lesun­gen in der Seidl-Villa in Mün­chen und im Hugen­du­bel in Mainz vor­ge­stellt. Zu die­sem Buch sind vor­erst keine wei­te­ren Lesun­gen geplant, weil wir mit­ten in den Vor­be­rei­tun­gen für unser nächs­tes Pro­jekt ste­cken. Und damit wer­den wir dann auch wie­der Lesun­gen ver­an­stal­ten. Infos zu unse­ren Lesun­gen gibt es auf www​.pro​s​a​thek​.de/​a​k​t​u​e​l​les und in den sozia­len Netzwerken.

Vic­to­ria B.: Die junge Münch­ner Lite­ra­tur­szene ent­wi­ckelt sich erst seit Kur­zem und defi­niert sich gerade im Moment – wir dür­fen sozu­sa­gen am Netz­werk mit­wir­ken und mit Kon­zep­ten und Loca­ti­ons expe­ri­men­tie­ren. Also, falls es Inter­es­sierte gibt, sind wir offen für alle mög­li­chen künst­le­ri­schen Fusio­nie­run­gen und Räum­lich­kei­ten! Es sind im Früh­jahr auch Lesun­gen mit musi­ka­li­scher Unter­ma­lung in Pla­nung. Dazu gibt es dann bald auch Konkretes.

8. Schaut man sich eure Vitas an, fällt auf, wie viel­fäl­tig eure Inter­es­sen sind. Kul­tu­relle Tätig­kei­ten und Stu­dium sind wie­der­keh­rende Berei­che. Inwie­weit haben diese Ein­fluss auf euer Schrei­ben genommen?

Annika Kem­me­ter: Auch Mün­chen ist ein wie­der­keh­ren­des Ele­ment in unse­ren Lebens­läu­fen. Ein Ort, mit dem wir alle ver­wur­zelt sind, ein­fach des­halb, weil wir uns in einem Kurs für Krea­ti­ves Schrei­ben an der Lud­wig-Maxi­mi­li­ans-Uni­ver­si­tät Mün­chen ken­nen­ge­lernt haben. Von dort aus haben wir uns dann ver­selbst­stän­digt und eine eigene Autoren­gruppe gegrün­det. Daher sind viele Geschich­ten in Mün­chen ver­or­tet, auch wenn gar nicht mehr alle in Mün­chen leben. Wenn man nach Stoff für seine Geschich­ten gräbt, greift man mit­un­ter auf eigene Erfah­run­gen zurück, daher fin­den Stu­dium, unser Inter­esse an Kul­tur und auch die Ver­or­tung in Mün­chen hin und wie­der ihren Weg in unsere Texte.

Arina Mol­chan: Viel­leicht könnte man sagen, dass das Stu­dium unsere Texte direkt beein­flusst. Weil sich immer wie­der Aspekte, Ideen, Gedan­ken aus dem uni­ver­si­tä­ren Kon­text in die Texte ein­schlei­chen. Die Uni ist ein­fach ein Ort mit einem hohen Poten­zial für neue Gedankengänge …

Lydia Wünsch: Viele von uns haben Lite­ra­tur und Spra­chen stu­diert. Da liegt es nahe, sich auch selbst im Schrei­ben zu ver­su­chen. Wenn man tag­täg­lich von Büchern umge­ben ist und sie sogar zu sei­nem Stu­di­en­in­halt gemacht hat, kommt die Frage auf, wie man da nicht auch selbst schrei­ben will?

9. Mehr Geschich­ten kann man auf eurer Web­site ent­de­cken. Wie oft erschei­nen die Texte und ver­folgt ihr hier­bei ein bestimm­tes Ziel?

Annika Kem­me­ter: Jeden Frei­tag um 14 Uhr erscheint ein neuer, unver­öf­fent­lich­ter Text auf unse­rem Lite­ra­tur­blog. Diese soge­nann­ten Frei­tags­texte hel­fen uns Autoren, das regel­mä­ßige Schrei­ben in den All­tag ein­zu­bet­ten. Jeder Frei­tags­text wird aber auch erst mal von den ande­ren Autoren begut­ach­tet und dann häu­fig noch umge­ar­bei­tet. Nur die „guten“ Texte wer­den ver­öf­fent­licht. Dadurch ver­bes­sern wir uns als Autoren auch mit jedem Text. Frei­tags­texte sind oft kür­zere Geschich­ten, hin und wie­der auch Lyrik, die die Fol­lower unse­res Blogs gut zwi­schen­durch lesen kön­nen. Sie geben Denk­an­stöße, erzäh­len Lus­ti­ges, Span­nen­des, Trau­ri­ges – die ganze Bandbreite.

Arina Mol­chan: Die Texte (Prosa und manch­mal auch Lyrik) sind meis­tens recht kurz – so, dass man sie auf dem Weg zur Arbeit in der Bahn lesen könnte. Einer­seits hilft es uns, regel­mä­ßig zu schrei­ben und an unse­ren Wer­ken zu arbei­ten; neue, kleine Ideen aus­zu­pro­bie­ren (die bei­spiels­weise nicht genug Stoff für einen Roman geben oder für die man nicht so viel Sitz­fleisch bewei­sen muss); und um letzt­end­lich auch eine Mappe an Tex­ten zu haben, die vor­zeig­bar sind, an denen man schon geschlif­fen hat.

10. Auch ihr müsst euch unse­rer bücher­städ­ti­schen Frage stel­len: Wenn ihr ein Buch wärt, wel­ches wäre es?

Verena Ull­mann: An die­sem Buch wird gerade noch geschrie­ben: Es ist unser ers­ter gemein­sa­mer Roman, der nächs­tes Jahr erschei­nen wird und in dem wir alle auf die ein oder andere Weise auftauchen.

Lydia Wünsch: Finde ich eine schöne Ant­wort. Für mich ist es auch immer die Geschichte, an der ich gerade arbeite. Denn da steckt dann meine ganze Seele drin!

Annika Kem­me­ter: Herr der Ringe – Die Gefährten.

Vic­to­ria B.: (lacht) Ich glaube, wir wären doch eher ein Bücherregal!

Bild: Pro­s­a­thek

Weiterlesen

1 comment

Adventskalender 2017: Türchen 22 – Bücherstadt Kurier 22. Dezember 2017 - 8:00

[…] 10 Fra­gen an Prosathek […]

Reply

Leave a Comment

Diese Seite verwendet Cookies. Mit der Nutzung unserer Website erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. OK Erfahre mehr