10. Türchen

by Bücherstadt Kurier

Wege

Seit ich den­ken kann, war Musik in mei­nem Kopf.
Die ganze Welt um mich herum sang und ich sang mit.
Laut und vol­ler Inbrunst.
Manch­mal leise und allein.
Ich sang zu Lie­dern, zur Musik, zu den Geräu­schen um mich herum oder ein­fach so.
Bis sie eines Tages kamen und sag­ten: „Du kannst nicht singen!“
Oh, ich ver­suchte es! Wei­ter und weiter.
Und wie­der kamen sie und sag­ten: „Es tut uns Leid, aber Du kannst es nicht, Du hast ein­fach kein Talent!“
Sie woll­ten mich immer nur beschüt­zen, keine Frage, woll­ten mir keine Illu­sio­nen machen und meine fal­schen Hoff­nun­gen im Keim ersti­cken, auf dass ich etwas Ande­res fände:
„Was willst Du ein­mal wer­den, wenn Du groß bist? Oh, das geht nicht: Dafür bist Du zu groß, zu klein, zu dick (zu dünn war ich nie!). Das ist eine Chance von 1 zu 1 Mil­lion. Das schafft kaum jemand in 100 Jah­ren viel­leicht einer. Einer aus dem gan­zen Land viel­leicht – denkst Du wirk­lich, das könn­test Du sein? Dafür fehlt Dir das Talent, das Geschick, die Beharr­lich­keit, die Dis­zi­plin. Es tut uns Leid.“
Und so hörte ich auf zu sin­gen und so hörte ich auf zu träumen.
Und ich ver­suchte, aus mei­nem Leben wenigs­tens etwas zu machen.
Und ging hin­aus in die Welt, auf einem Weg, den ich gehen konnte.
Und erkannte eines Tages, dass all die ande­ren Men­schen nach ande­ren Regeln spiel­ten: Die Welt war vol­ler Men­schen, die etwas nicht konn­ten – und es den­noch taten.
Zum Ver­zwei­feln, zum Ver­rückt­wer­den schlecht manch­mal. Aber sie taten es.
Und sie waren so froh.
Und sie waren so frei.
Und jedes Schei­tern war vol­ler Leidenschaft.
Und nicht alle ver­sag­ten: Man­che lern­ten es.
Und Man­che gin­gen sogar erfolg­reich durchs Leben, indem sie ein­fach vor­ga­ben, etwas zu kön­nen. Dabei konn­ten sie noch weni­ger als ich.
Dann eines Tages stell­ten sie mir die Frage: „Bist Du glücklich?“
Die Ant­wort war klar: „Nein!“
Denn ich hatte stets einen Weg gewählt, von dem ich dachte, er würde mei­nen Fähig­kei­ten ent­spre­chen. Nie habe ich es gewagt, mir ein Ziel zu setz­ten, auf das ich hin­ar­bei­ten kann.
Nie mir eine Auf­gabe gesucht, in die ich hin­ein­wach­sen kann.
Habe nie einen gro­ßen Sieg errun­gen, weil ich stets nur das tat, was ich konnte.
Wofür ich Talent hatte.
Für das ich nicht zu dies oder zu das war.
Jetzt sitze ich hier und frage mich, was ich hätte schaf­fen kön­nen, wenn ich nur den Mut gehabt hätte. Oder wenn sie mich nur ein paar Jahre hät­ten wei­ter­sin­gen lassen.
Kann man all dies nach­ho­len? All diese Jahre vol­ler Selbst­zwei­fel? In denen man hin­ge­nom­men hat, was einem vol­ler Liebe und Sorge gesagt wurde?
Ich kann immer noch nicht sin­gen, nicht nach kon­ven­tio­nel­len Maß­stä­ben. Aber Eines weiß ich jetzt: Das heißt nicht, dass ich es nicht tun darf.
Ich schließe die Augen und blende die Welt um mich herum aus.
Und hor­che in mich hin­ein. Und da, ganz tief in mei­ner Seele spielt immer noch eine leise Melodie.
Ich lächele und beginne, sie zu summen.

Dezem­ber­abend in der Stadt

Er: „Schau, wir steh‚n im Lichtermeer:
Häu­ser, Läden, Menschenmassen,
Lich­ter­flut in allen Gassen!
Ich liebe Dich so sehr!“
Sie: „Wir steh‚n hier unten, oben Sterne,
leuch­ten, fun­keln aus der Ferne,
schauen auf uns nieder...“
Er: „Hörst Du die Weihnachtslieder?
Siehst Du die Men­schen überall?
Den war­men Schein der Lichter,
die glück­li­chen Gesichter?“
Sie: „Kein Frie­den: Glück im freien Fall!
All dies Eilen, Has­ten, Laufen!“
Er: „All die Men­schen, all das Lachen!“
Sie: „Keine Ruhe, nur noch kaufen!
Ver­schul­den sich für Sachen...“
Er: „Was bist Du denn so zynisch?“
Sie: „Das ist ja wie­der typisch!
Was ist Dein Pro­blem mit mir?“
Er: „Das sag ich Dir: Wir ste­hen hier,
doch Du schaust zu den Ster­nen rauf…“
Sie: „... und wünsch mich manch­mal weg...“
Er: „Mit Dir hat‚s manch­mal kei­nen Zweck!
Hör doch mal damit auf!
Liebste: Deine Augen sind die schöns­ten Sterne!
Dein Lächeln ist mein Weihnachtslied!
Doch Du starrst wei­ter in die Ferne,
über­siehst das Glück, das HIER geschieht!“
Sie: „Ach Du!
Küß mich, komm her:
Ertrink mit mir im Lichtermeer!“

Über die Autorin:
Auf Mol­lys Blog von​der​u​ni​an​den​herd​.wor​d​press​.com geht es manch­mal ernst, manch­mal sar­kas­tisch, meis­tens aber lus­tig zu! Über Besuch würde sie sich ganz sicher freuen!

Bild: Lara

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6 comments

Monika-Maria Ehliah 10. Dezember 2014 - 7:57

Danke – Segen....
M.M.

Reply
Molly L. 10. Dezember 2014 - 12:25

Dir auch, liebe Monika-Maria! 🙂

Reply
GOOD WORD for BAD WORLD 10. Dezember 2014 - 9:33

Sehr gut! 🙂

Reply
Molly L. 10. Dezember 2014 - 12:24

Dan­ke­schön, liebe Anke! 🙂

Reply
Dorothea Ender 10. Dezember 2014 - 12:48

Zu der heu­ti­gen Geschichte fällt mir ein Lied aus mei­ner JUgend­zeit ein, das gut zum Thema passt :
„Mich brennt´s in mei­nen Reiseschuh´n, fort mit der Zeit zu schreiten...............

Reply
Molly L. 10. Dezember 2014 - 20:36

Oh! Gleich mal guggeln! 🙂

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