#15. Türchen

by Bücherstadt Kurier

Und wieder war es Weihnachten

Und wie­der war es Weih­nach­ten. Es war immer Weih­nach­ten. Jedes ver­dammte Mal, wenn er aus dem Schlaf erwachte, war es Weih­nach­ten. Das ermü­dete ihn so schreck­lich. Schon kam jemand um die Ecke, klatschte geschäf­tig in die Hände und rief: „Guten Mor­gen, Chef, ich habe bereits alle Klei­der bereit­ge­legt. Sie müs­sen nur noch ange­zo­gen werden.“
Immer diese Arbeits­klei­dung, immer die­selbe, abge­tra­gene Uni­form. Er war so unend­lich müde. Wieso musste er jedes Mal die­ses alberne Kos­tüm tra­gen? Und dann diese furcht­bare Farbe. Die stand ihm über­haupt nicht. Über­haupt würde er viel lie­ber Grün tra­gen. Oder Petrol. Die­sen Farb­ton mochte er sehr.
Behä­big stand er vom knar­zen­den Bett auf und schlurfte zum Bade­zim­mer. Als er die Tür öff­nete, stieß ihm eine Dampf­wolke ent­ge­gen, denn man hatte ordent­lich geheizt. Das warme Bad tat ihm gut. Eines der weni­gen Dinge, die er nicht oft genug haben konnte.
„Chef! Das Früh­stück wird kalt!“
Er ver­drehte die Augen. Nicht mal in Ruhe baden konnte man hier. Schwer­fäl­lig erhob er sich aus dem Was­ser, tropfte beim Her­aus­stei­gen die flau­schige Fuß­matte voll und griff zur Zahn­bürste, auf der schon Zahn­pasta ver­teilt war. Mit sei­ner klo­bi­gen Hand wischte er den beschla­ge­nen Spie­gel ab und betrach­tete die dun­kel unter­lau­fe­nen Augen, die ihm trau­rig ent­ge­gen blickten.
Wie viele Jahre machte er das jetzt schon? Er konnte sie nicht mehr zäh­len, aber er wünschte sich, dass die Tage für ihn gezählt wären. Doch da hatte er sich den fal­schen Beruf aus­ge­sucht. Eigent­lich hatte er sich den gar nicht selbst aus­ge­sucht, son­dern war hin­ein­ge­bo­ren wor­den. So wie Ange­hö­rige einer Adels­fa­mi­lie. Ein ver­damm­ter Mist war das.
„Chef! Die Eier…“
Mehr hörte er nicht, denn er schrubbte nun so laut seine Zähne, dass alle Geräu­sche um ihn herum ver­blass­ten. Bald hatte er nicht nur den Belag run­ter, son­dern gefühlt auch den Zahn­schmelz. Es war ohne­hin beacht­lich, dass er noch seine Ori­gi­nal­zähne hatte. Bei­nahe ein Wun­der. So wie er selbst eines war. Ein übles Wun­der allerdings.
Mit einem tie­fen Seuf­zer schlüpfte er in seine Arbeits­klei­dung, trat aus dem Bade­zim­mer und lief dem Duft des Kaf­fees hin­ter­her ins Ess­zim­mer, setzte sich ans kleine, runde Fens­ter. Vor ihm war der Tisch reich­lich gedeckt. Frisch geba­ckene Bröt­chen, gekochte Eier, Honig­me­lone mit Parma-Schin­ken, Cous­cous-Salat, rote, gelbe und grüne Mar­me­lade, Lachs… es ging ewig so wei­ter. Er hatte jeg­li­che Bewun­de­rung dafür verloren.
Drau­ßen vor dem Fens­ter tanz­ten dicke Schnee­flo­cken. Sonst war es stock­fins­ter. Hier war es immer stock­fins­ter. Jeden­falls zu Weih­nach­ten, aber genau dann musste er raus. Oh, wie ermü­dend das alles war. Wer hatte eigent­lich die­sen Stand­ort aus­ge­sucht? Immer dun­kel, immer kalt. Diese Per­son ver­fluchte er jedes Mal auf‘s Neue. Wenigs­tens war es im Haus ordent­lich warm und ordent­lich gemütlich.
„Chef, wie schmeckt das Frühstück?“
Er sah auf den etwas zu kurz gera­te­nen Koch herab und machte eine krei­sende Hand­be­we­gung durch die Luft, denn er hatte den Mund voll.
„Hm… guter Kaf­fee“, sagte er schließ­lich und sah wie­der aus dem Fenster.
„Chef, die Inspek­tion wartet.“
Auch früh­stü­cken konnte man hier nicht in Ruhe. Er trat in die Pro­duk­ti­ons­halle. Geschäf­ti­ges Trei­ben, lau­tes Gehäm­mer, quiet­schende För­der­bän­der, wuselnde Mit­ar­bei­ter. Stich­pro­ben­ar­tig kon­trol­lierte er die Pro­dukte und nickte sie alle­samt ab. Noch nie hatte er einen Feh­ler ent­deckt. Eigent­lich war sie total über­flüs­sig, aber sie gehörte zum Ritual. Man wollte den Schein wah­ren. Dass das hier alles total beson­ders und total wich­tig war.

Die Stun­den zogen sich dahin. Dau­ernd Ter­mine, dau­ernd wollte irgend­wer irgend­was und dau­ernd war das Nächste noch wich­ti­ger als das Vor­he­rige. Schließ­lich wurde es Abend und man rief ihn in den Stall oder wie er zu sagen pflegte: Die Garage.
End­lich etwas Ruhe und Frieden.
Dort stan­den sie. Seine Zug- und Las­ten­tiere. Schnau­fend, kau­end und Fut­ter wie­der ausscheidend.
Er seufzte tief, strei­chelte jedes ein­zelne von ihnen, kon­trol­lierte die Arbeit der Ange­stell­ten und stellte erneut fest, wie sinn­frei das alles war. Was er eben­falls fest­stellte: Er war in die Hau­fen sei­ner Tiere getre­ten. Eigent­lich wäre er dar­über sehr ver­är­gert gewe­sen, doch es war ein klei­ner Aus­bruch aus der lang­wei­li­gen Mono­to­nie. So rich­tig freuen konnte er sich aller­dings nicht, denn sofort war jemand zur Stelle und wech­selte ihm die Stiefel.
Er stieg in sein Gefährt.
„Auf ein Neues“, sprach er schwer­mü­tig zu sich selbst, nahm die Zügel in die Hand, schmiss sie schnal­zend durch die Luft und schon hob der Schlit­ten ab.
Die Wich­tel wink­ten ihm fröh­lich hin­ter­her, er winkte gespielt fröh­lich zurück. Immer diese auf­ge­setzte Hei­ter­keit. Fast so schlimm wie Fasching.
Ein lau­tes „HOHOHO“ ver­ließ sei­nen Mund.
Und wie­der war es Weihnachten.

Text: Marco
Bild: Celina

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