150 Jahre Frank Wedekind

by Zeichensetzerin Alexa

„Man liebt sich – wenn man küsst“ (Wendla, Akt II)

Zum 150. Jubi­läum von Frank Wedekind

Früh­lings Erwa­chen han­delt von Liebe und von Lust, vom Leben Jugend­li­cher Ende des 19. Jahr­hun­derts und vom Erwach­sen­wer­den gene­rell. Das Thea­ter­stück war zu pro­vo­kant, so wurde es nach der Urauf­füh­rung 1891 ver­bo­ten. Das Broad­way-Musi­cal aus der Feder Ste­ven Saters hin­ge­gen fügte dem Broad­way einen neuen Aspekt der Ero­tik hinzu, glaubt man der Kri­tik der New York Times.

Eine Kindertra­gö­die

Auch wenn das Thea­ter­stück „Früh­lings Erwa­chen. Eine Kindertra­gö­die“ aus dem Jahr 1891 stammt, scheint es vie­len Jugend­li­chen auch heute noch aus dem Her­zen zu spre­chen. Es dreht sich um Leis­tungs­druck, um Stress, um sexu­el­les Erwachen.
Wendla Berg ist vier­zehn, genauso wie die ande­ren Haupt­per­so­nen des Stü­ckes. Sie ist naiv, doch sie bit­tet ihre Mut­ter darum, sie dar­über auf­zu­klä­ren, wo Kin­der her­kom­men, denn die Geschichte mit dem Storch will sie nicht mehr glau­ben. Ihre Mut­ter ant­wor­tet ihr, man müsse einen Mann – den Ehe­mann! – aus volls­tem Her­zen lie­ben. Wendla wird ihr Unwis­sen zum Ver­häng­nis, sie wird geschwän­gert und stirbt an den Fol­gen einer Abtreibung.
Moritz Stie­fel droht durch­zu­fal­len und lernt darum mit sei­nem bes­ten Freund Mel­chior. Dabei kom­men sie im Gespräch auf Sexua­li­tät. Moritz bit­tet sei­nen Freund, sein Wis­sen für ihn auf­zu­schrei­ben. Doch der ver­träumte Moritz ist durch diese ‚Auf­klä­rung‘ nur noch ver­un­si­cher­ter. Er fällt allen Ler­nens zum Trotz durch und begeht, weil er kei­nen Aus­weg mehr sieht, Selbst­mord. Im letz­ten Akt berat­schlagt das Leh­rer­kol­leg dar­über, wie Moritz Sui­zid umzu­ge­hen ist, und macht Mel­chior und seine Schrift „Der Bei­schlaf“ mit­ver­ant­wort­lich. Er muss in die Kor­rek­ti­ons­an­stalt, flüch­tet und lässt sich am Ende von einem ver­mumm­ten Mann in die Welt der Erwach­se­nen füh­ren. Statt sich das Leben zu neh­men ent­schließt er sich, das Erlebte mit sich zu tragen.
Die Sze­nen spie­len das ganze Stück hin­durch abwech­selnd in der Welt der Jun­gen und der der Mäd­chen. Die ein­zi­gen, die diese unsicht­bare Grenze zwi­schen den Geschlech­tern über­schrei­ten sind Mel­chior und Wendla am Ende der ers­ten bei­den Akte, ein­mal mit dem Tref­fen am Eichen­baum, zum zwei­ten Mal im Heu­bo­den, wo sie mit­ein­an­der schla­fen. Bloß das Freu­den­mäd­chen über­schrei­tet diese Grenze genauso leicht­fü­ßig, als sie Moritz kurz vor sei­nem Selbst­mord begegnet.

Spring Awa­ke­n­ing (2006)

Das Rock Musi­cal „Spring Awa­ke­n­ing“ ist eine Adap­tion von Dun­can Sheik (Musik) und Ste­ven Sater (Texte) des Thea­ter­stü­ckes. Es wurde im Dezem­ber 2006 am Eugene O‘Neill Theatre eröff­net und gewann 8 Tony Awards, dar­un­ter für das beste Musi­cal, die beste Lei­tung, Musik und Buch, außer­dem noch wei­tere Preise.
Das Musi­cal ist eine gekürzte Fas­sung des Thea­ter­stü­ckes, wobei die Lie­der einen musi­ka­li­schen Bogen um die Hand­lung span­nen, die sich vor allem auf die Lie­bes­ge­schichte zwi­schen Mel­chior und Wendla kon­zen­triert. Das Musi­cal ist eine gekürzte Fas­sung des Thea­ter­stü­ckes, wobei die Lie­der einen Bogen durch die Hand­lung zie­hen und zen­trale Momente auch musi­ka­lisch unter­ma­len. Moritz‘ Thema, „Don‘t Do Sad­ness“ etwa wird, je mehr er sich der Ver­zweif­lung nähert, immer dis­so­nan­ter, wäh­rend „I Believe“ bloß einen ruhi­gen Hin­ter­grund zu Wend­las und Mel­chi­ors Akt bil­det. Auch ver­schwimmt die unsicht­bare Tren­nung der Geschlech­ter durch die Ensemble-Gesangsnummern.
Der Schluss ist leicht abge­än­dert. Anstelle des ver­mumm­ten Man­nes, der Mel­chior in die Erwach­se­nen­welt führt, stei­gen Wendla und Moritz aus ihren Grä­bern und schi­cken ihn in die Welt hinaus.

Der Autor: Frank Wedekind

Frank Wede­kind (1864–1918) war deut­scher Schrift­stel­ler und Schau­spie­ler. Er wurde in Ham­burg gebo­ren, sein Vater wan­derte mit der Fami­lie jedoch bald nach Aarau in der Schweiz aus. Dort schreibt Wede­kind auch seine ers­ten Gedichte und sein ers­tes Drama „Der Schnell­ma­ler oder Kunst und Mam­mon“ 1889. Im sel­ben Jahr über­sie­delt er nach dem Tod sei­nes Vaters nach Mün­chen. Dort arbei­tet er auch an der illus­trier­ten Zeit­schrift „Sim­pli­cis­si­mus“ mit. Seine Dra­men, ins­be­son­dere „Früh­lings Erwa­chen“, wur­den wegen der anstö­ßi­gen The­men, die er behan­delt, lange zen­siert und unter­la­gen teil­weise auch dem Aufführungsverbot.

Erika

Kari­ka­tur zum Thema Aufklärung

In der Wochen­zeit­schrift Sim­pli­cis­si­mus, die von 1896 bis 1944 her­aus­ge­ge­ben wurde, wur­den The­men wie bür­ger­li­che Moral, die Kir­che, die wil­hel­mi­ni­sche Poli­tik, die Beam­ten, das Mili­tär und ver­schie­dene poli­ti­sche Grup­pie­run­gen bespro­chen. 1906 erschien eine Kari­ka­tur, die die Hal­tung der Gesell­schaft zur Auf­klä­rung zeigt.

Auf der Kari­ka­tur ist ein Ehe­paar abge­bil­det. Die Frau trägt ein lan­ges, brei­tes Kleid und eine Brille auf der Nase. Sie sitzt auf einem gro­ßen Stuhl und hält eine Strick­ar­beit in den Hän­den. Mit gerun­zel­ter Stirn schaut sie ein wenig hoch, jedoch ohne den Mann rich­tig erbli­cken zu kön­nen. Die Mund­win­kel sind nach unten gezogen.
Auch der Mann ver­mei­det Blick­kon­takt, schaut über die Frau hin­weg. Die Schul­tern hän­gen, die Hände sind in den Hosen­ta­schen. Er zieht sie ein wenig hoch, sodass auch die Hose hoch­rutscht. Geklei­det ist er in einem Anzug. Er trägt Schuhe und besitzt eine Brille. Auch seine Mund­win­kel sind leicht nach unten gezo­gen. Der Mund ist leicht geöff­net, da er gerade erzählt: „Unser Fritz wollte heute von mir sexu­ell auf­ge­klärt wer­den.“ – „Na, und wie hast du das gemacht?“ – „Ach, ich kam so in Ver­le­gen­heit, da habe ich ihm eine runtergehauen.“
Diese Szene ist in einem Raum, der auf­grund der Möbel das Gefühl ver­mit­telt, es han­dele sich hier­bei um ein wohl­ha­ben­des Ehepaar.

In der Zeit, in der diese Kari­ka­tur erschien, war die Gesell­schaft dem Thema „Sexua­li­tät“ nicht offen gegen­über. Es war ein Thema, über das man nicht sprach, das in Ver­le­gen­heit brachte. Des­halb sehen sich die Frau und der Mann auf der Kari­ka­tur nicht an. Sie mei­den den Blick­kon­takt, weil ihnen das Thema unan­ge­nehm ist. In nur weni­gen Sät­zen – was zeigt, dass sie das Thema schnell been­den wol­len – tau­schen sie sich aus. Der Mann berich­tet, was vor­ge­fal­len ist, die Frau inter­es­siert sich schein­bar nicht wei­ter dafür. Da das Schla­gen zu der Zeit üblich war, folgt von ihrer Seite kein Kom­men­tar darauf.
Die Ver­le­gen­heit sieht man dem Mann auch an: Er hat seine Hände in den Hosen­ta­schen, zieht sie mit der Hose hoch, als wüsste er nicht wie er sich ver­hal­ten sollte. Von der Frau wen­det er sich leicht ab. Diese tut des­in­ter­es­siert, mög­li­cher­weise, um ihre Ver­le­gen­heit zu über­spie­len. Zur Ablen­kung und zum „Halt“ hat sie das Strick­zeug in den Hän­den. So kann sie die Auf­merk­sam­keit auf ihre Arbeit len­ken, ohne ihre Ver­le­gen­heit zei­gen zu müs­sen. Auf­grund der Hal­tung und Mimik des Ehe­paa­res, wirkt es, als seien es strenge Eltern. Die Kon­se­quenz, das Tabu­thema mit Gewalt zu been­den, zeigt ihre Macht­po­si­tion und die Unter­drü­ckung der Inter­es­sen ihres Kindes.

Die Aus­sage der Kari­ka­tur ist ähn­lich der der Kindertra­gö­die. Beide zei­gen auf, dass „Sexua­li­tät“ ein ver­bo­te­nes Thema ist. Auf­klä­rung fin­det nicht statt, statt­des­sen wird geschla­gen (Kari­ka­tur) oder gelo­gen (Wendla und „der Storch“). Im Thea­ter­stück ver­sucht Moritz die ver­bale Kom­mu­ni­ka­tion zum Thema zu umge­hen, indem er Mel­chior bit­tet, ihm einen Auf­satz dar­über zu schrei­ben. Als er die­sen liest, ist er erschüt­tert, kann dar­über jedoch nicht reden, da es sich nicht gehörte. Auch das Ehe­paar auf der Kari­ka­tur kann nicht dar­über reden. Schließ­lich ist es diese Ver­le­gen­heit und die Moral­vor­stel­lung, die dazu füh­ren, dass die Nicht-Auf­ge­klär­ten dar­un­ter lei­den müs­sen, durch Gewalt, Selbst­mord und den töd­li­chen Fol­gen einer Abtreibung.

Alexa

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