16. Türchen

by Bücherstadt Kurier

Meine treu­este Seele
von Chris­tina Pretis

Und wie­der beginnt die erdrü­ckendste und schreck­lichste Zeit im Jahr. Pfah… man sehe sich nur ein­mal um, die ganze sinn­lose Deko, wel­che Unmen­gen an Geld ver­schlingt wie ein gie­ri­ges, hung­ri­ges Mons­ter. Den­noch ver­mit­telt gerade diese Deko eini­gen Träu­mern eine heile Welt, vol­ler Roman­tik, Liebe und Frie­den. Nie­mand öff­net die Augen und sieht die nackte Wahr­heit. Die Macht der Ver­drän­gung ist anschei­nend zu groß und lässt alle in einem Traum leben, in Watte ein­ge­packt und alles andere als real!

„Die besinn­lichste Zeit im Jahr vol­ler Ver­ge­bung und Nächs­ten­liebe!“ – „ Wir müs­sen uns ver­tra­gen! Es ist doch Weih­nach­ten!“ … VONWEGEN!

Wenn ich mich umsehe, sehe ich nur gezwun­gene Freund­lich­keit, Stress, unter­drück­ten Ärger, Angst und Betrug. Jeder stresst, um seine Geschenke recht­zei­tig zu besor­gen, die dann ent­we­der sowieso umge­tauscht wer­den oder im Müll lan­den… bei den meis­ten zumin­dest. Auch die alten Wun­den rei­ßen um diese Jah­res­zeit wie­der beson­ders weit auf und sind anfäl­lig für alles.

Der ganze Schmerz, die ganze Wut der ver­gan­ge­nen 365 Tage, drängt nach außen, ver­sucht sich durch die Men­schen nach außen zu fres­sen, wie ein klei­ner Dämon, der nur den rich­ti­gen Zeit­punkt abwar­tet bis er zuschlägt. Die­ser innere Druck, dem alle aus­ge­setzt sind, ist bei­nahe nicht aus­zu­hal­ten und den­noch bemüht sich nie­mand darum, seine Seele zu hei­len, zu ver­ar­bei­ten was war. Nie­mand will sein ima­gi­nä­res Fake-Win­ter­wun­der­land auf­ge­ben. Ist doch auch ver­ständ­lich irgend­wie. Warum sich mit der Rea­li­tät aus­ein­an­der­setz­ten, wenn sich doch alle „lie­ben“ und alles OK ist?

Da kann man nur hof­fen, dass nicht einer kommt und den fal­schen Satz zum fal­schen Zeit­punkt sagt, der Satz, der dann unauf­halt­sam und mit unkon­trol­lier­ba­rer Wucht eine hef­tige Explo­sion an Gefüh­len aus­löst. Ein Inferno, das alles in sei­nem Umfeld mit sich reißt, bis nur noch die ver­drängt geglaub­ten Gefühle übrig blei­ben. Keine Roman­tik, keine Liebe, kein fro­hes Fest mehr… nichts!

Da stellt sich doch die Frage: Was ist pas­siert? Was lief falsch? Viele haben den Sinn die­ses Fests, aber auch den des Lebens ver­ges­sen. Warum soll denn ein ein­zi­ger Tag im Kalen­der etwas ändern? Wer unterm Jahr keine Nächs­ten­liebe zeigt, nicht lie­ben kann und sich nicht an den klei­nen Din­gen erfreuen kann, soll das dann genau an die­sem Datum kön­nen? Ja!? Rea­li­täts­fer­ner geht es nicht mehr.

Die Men­schen ändern sich nicht. Selbst die sowieso schon gespielte Nächs­ten­liebe wird aus­ge­nutzt und Spen­den­gel­der wer­den unter­gra­ben. Die Men­schen, denen es wirk­lich an Hilfe bedürfte, bekom­men kei­nen Cent zu sehen. Alles nur Fas­sade und Blen­de­rei. Danke ein­fach! Ja danke an alle, die es „gut“ mei­nen und doch nicht wirk­lich hel­fen. Eine warme Jacke ist oft mehr wert als Geld… und ich weiß, wovon ich rede!

Jedes Jahr um diese Zeit wird mir schmerz­lich bewusst, dass die wirk­li­che Liebe zum Leben und zu sei­nen Mit­men­schen kaum mehr exis­tiert. Sie ist nur noch ein klei­ner ver­glü­hen­der Punkt am unend­li­chen Him­mel des Ego­is­mus und des Mate­ria­lis­mus. Doch sie exis­tiert noch, des­sen bin ich mir bewusst. Meine treu­este Seele zeigt mir diese bedin­gungs­lose Liebe jeden Tag, den er an mei­ner Seite ver­bringt. Ohne ihn wäre mein Leben nur halb so lebens­wert. Man braucht doch nicht viel, damit es sich lohnt zu leben. Das Leben kann so schön sein, wenn man nur die Augen öffnet.

So eine feuchte Schnauze an mei­ner Hand zu spü­ren unter der alten zer­fetz­ten Decke, die uns am Leben hält, uns vor dem Erfrie­ren bewahrt, genügt doch um zu wis­sen, dass man nicht alleine ist. Dass es noch eine Liebe gibt, die nicht for­dert, die keine Geschenke braucht und keine fal­sche Freund­lich­keit, um wahr und rein zu sein. Das ist Weih­nacht, nur weiß das die ego­is­ti­sche Welt von heute nicht mehr. Unser Umfeld ist erblin­det für die wirk­lich wich­ti­gen Sachen im Leben. Der kleine Funke exis­tiert hof­fent­lich noch lange genug, bis diese grau­same Welt aus ihrem Win­ter­schlaf erwacht und end­lich die Augen öffnet.

Bis es jedoch soweit ist, kön­nen wir nur hier auf der Straße war­ten und über­le­ben und uns auf die Gut­mü­tig­keit eini­ger weni­ger ver­las­sen, die unser Leben in der Hand haben in die­ser furcht­bar nas­sen und kal­ten Welt.

Diese Weih­nacht war beson­ders ver­schneit und kalt. Die Decke des Bett­lers und sei­nes treuen Hun­des reichte nicht mehr aus, um ihre Kör­per warm genug zu hal­ten. Sie erfro­ren. Ein ruhi­ger Tod, ganz sanft, sie schlie­fen ein­fach ein und star­ben, doch ihre Hoff­nung blieb und so soll­ten auch wir unsere Gedan­ken dem zuwen­den, was wirk­lich wich­tig ist!

Wei­tere Geschich­ten unter: www​.fan​fik​tion​.de/​u​/​M​i​s​s​H​y​d​e13

Bild: Lara

Weiterlesen

4 comments

stefanini 16. Dezember 2014 - 8:38

So nega­tiv sehe ich dies aber nicht. Nicht in mei­nem Umfeld zumindest.

Reply
sebastianmeisel 16. Dezember 2014 - 9:34

Lei­der erle­ben viele Men­schen die Welt genau so. Ich glaube nicht, dass es keine Nächs­ten­liebe gibt, aber es gibt nicht genug davon. Das ist aller­dings nichts neues. Ich glaube manch­mal, dass es frü­her noch schlim­mer war. Jeden­falls wäre Jesus nicht in einem Stall gebo­ren wor­den, wenn die Men­schen damals ein­an­der gehol­fen hät­ten. Genau­ge­nom­men hätte er gar nicht zur Welt kom­men müs­sen, wenn die Nächs­ten­liebe damals selbst­ver­ständ­lich gewe­sen wäre.

Reply
Literarischer Adventskalender 2014 | Bücherstadt Kurier 16. Dezember 2014 - 23:16

[…] sebas­tian­mei­sel zu 16. Türchen […]

Reply
magico 17. Dezember 2014 - 8:58

Glück­wunsch dazu, ein­fach mal die Mei­nung zu sagen, auch wenn es sicher nicht jeder­manns Mei­nung sein wird. Einige möch­ten die Augen ver­schlie­ßen und wie­derum andere leben tat­säch­lich eine andere Realität.

Weih­nach­ten ist, was jeder für sich dar­aus macht.

Aller­dings den­ken viel zu wenige Men­schen nach. (nicht nur über Weih­nach­ten, son­dern gene­rell – was ja genau der sprin­gende Punkt ist, wie du schon erwähnt hast)
Sie las­sen sich lie­ber berie­seln, blen­den und len­ken. Ist auch viel beque­mer, als den eige­nen Kopf anzustrengen.
Aber, es sind nicht alle so. Auch das hast du (zum Glück) noch ein­mal hervorgehoben.

Vie­len Dank, für diese etwas andere Weihnachtsepisode.

magico

(Wenn auch nicht ganz so dras­tisch, passt mein aktu­el­ler Blog-Ein­trag genau zu die­sem Thema.)

Reply

Leave a Comment

Diese Seite verwendet Cookies. Mit der Nutzung unserer Website erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. OK Erfahre mehr