#19. Türchen

by Bücherstadt Kurier

Lady Lulla und das Land in meiner Wand

Lady Lulla und das Land in meiner Wand

In den Schnee­näch­ten um die Weih­nachts­zeit herum, wenn Luna ihr Licht auf mei­nen Wand­spie­gel wirft, erscheint am Mau­er­werk gegen­über, zwi­schen Kom­mode und Zim­mer­palme, für Minu­ten ein Abglanz, der an eine Tür erinnert.
Eines Nachts stellte ich zwi­schen Fens­ter und Spie­gel eine Orchi­dee, die mir den Schat­ten einer Klinke warf. Und so ging ich und öff­nete die Pforte, sah nach, und fand in mei­ner Wand ein Jenseits.
Hin­ter der Tür befand sich das Wie­sen­land mit sei­nen sanf­ten Hügeln und dem See Her­beus, der nicht grö­ßer war als ein Gar­ten­teich, und in dem der Fisch Iubar wohnte. Und am Was­ser, unter einer jun­gen Birke, saß Lady Lulla, umklam­merte ihre Knie und sang trau­rige Lieder.

Ich kannte die Lady gut, denn sie war ein Teil von mir. Lady Lulla sang schön und dachte gern mit dem Bauch; sie mochte es, nackt in der Wiese zu lie­gen und dabei die Schen­kel fest zusam­men­zu­drü­cken. Sie liebte es, über die Liebe zu spre­chen und sie mochte den Duft von frisch geschla­ge­nem Holz, hatte eine Schwä­che für Kasch­mir auf der Haut und mochte das Gefühl, Bana­nen mit den Hän­den zu zermatschen.

Lady Lulla auf der Wiese. Sie und ich allein am See. Die Sonne lächelte und Lady Lulla lächelte zurück.
Im Traum ist alles erlaubt, dachte ich, und wir spaß­ten gemein­sam über Albern­hei­ten. Dann ging ich zu ihr und wollte sie berüh­ren, ihr Haar, ihre Lip­pen, aber Lady Lulla sprang auf und lief lachend davon; neckte mich, foppte mich.

Him­mel, was war ich ver­liebt! Lady Lulla hopste ins Was­ser und ich ihr nach. Ich mochte ein klein wenig mit ihr schwim­men. Ich wollte etwas in ihr schwim­men; aber das wünschte sie nicht. Sie spot­tete und zog mich aus und wollte ja nur spie­len, scher­zen. Aber ich musste sie unbe­dingt haben, wollte sie küs­sen und drü­cken und nim­mer loslassen.

Aus mei­ner Zunei­gung wurde Beses­sen­heit, aus mei­ner Zunge eine Lanze und die gelbe Gier stieg mir in die Augen. Aus ihrem Lachen wurde Wei­nen und sie wollte weg, schlug nach mir, trat nach mir. Aber ich konnte nicht zulas­sen, dass sie geht und mich allein lässt, und nach einer Reihe von Blit­zen in mei­nem Schä­del und Erschüt­te­run­gen in mei­nen Len­den, nach der­ben Stö­ßen in mei­nem Her­zen und Don­ner­schlä­gen in mei­nem Magen, sah ich Lady Lulla lang­sam unter­ge­hen. Sie sank hinab zum Grund des Sees und ver­schwand unter einem Tep­pich von Wasserpest.

Der Fisch Iubar hatte ein wider­li­ches Schie­fer­grau ange­nom­men, trieb auf der Seite und stank. Die Wie­sen­hü­gel bläh­ten sich plötz­lich auf, spuck­ten schwarze Spo­ren aus und sack­ten anschlie­ßend faul in sich zusammen.

In man­chen Mond­näch­ten um die Advents­zeit herum, wenn ich die Fens­ter­lä­den mei­nes Schlaf­zim­mers fest ver­schlos­sen habe, höre ich ein Krat­zen in der Wand; ein Krat­zen und ein Wim­mern. Ich möchte Lady Lulla nie, nie wiedersehen.

Text und Bild: Marko Stiebritz

Kurz­vita:

Gebo­ren in den Sieb­zi­gern in Jena, Thü­rin­gen. 1987 Aus­reise mit den Eltern nach Nie­der­bay­ern. Mein Ste­cken­pferd ist natür­lich das Schrei­ben. Ich schreibe gern deut­lich über­spitzt und ver­spritze dabei gern das eine oder andere Gift, da das mei­nem Natu­rell ent­spricht und ich meine, dass dies der zeit­ge­nös­si­schen Lite­ra­tur zuträg­lich ist.

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3 comments

Kleiner Alex 19. Dezember 2015 - 10:21

Bis­her das beste was ich in den 18 Toren davor Gele­sen hab.
Hat was^^ Obwohl der Schrei­ber einen (leichten)„Knall“ hat.

Reply
Zwischenzeilenverstecker Marco 19. Dezember 2015 - 22:49

Wo wären wir denn ohne die Künst­ler mit dem leich­tem Knall?

Mir gefällt die Geschichte eben­falls aus­neh­mend gut.

Reply
Adventskalender 2016: Türchen 8 – Bücherstadt Kurier 8. Dezember 2016 - 8:03

[…] #19. Türchen […]

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