20. Türchen

by Bücherstadt Kurier

Die Seele Chris­tel und der Holzfäller

Es lebte ein­mal vor lan­ger Zeit eine ganz wun­der­volle Seele auf der Erde mit Namen Chris­tel. Diese gute Seele wollte so gern, dass alle Men­schen in Har­mo­nie und Frie­den mit­ein­an­der leb­ten und sie tat dafür, was sie nur konnte.
Eines Tages ging die Seele, Chris­tel, so vor sich hin und aß dabei von einem schö­nen Laib Brot. Da begeg­nete sie einem Holz­fäl­ler, der war gar grob und unge­schlacht. Der redete sie gleich an: „He da, Frau, ich sehe wie du von die­sem Brote isst, wäh­rend sich mir der Magen vor Hun­ger ver­krampft, gib mir etwas von dei­nem Brot.“ Bei die­ser Anspra­che war Chris­tel gleich sehr erschro­cken und sie dachte bei sich: „Wie kann ich ein­fach hier von mei­nem Brot essen, wäh­rend andere neben mir Hun­ger lei­den?“ Sie brach ein gro­ßes Stück ihres Bro­tes ab und reichte es dem Mann und behielt für sich das klei­nere Stück. Der Mann aß es hung­rig auf und pol­terte dann erneut auf die gute Seele ein: „Du Frau, ich sehe, du hast neue Schuhe. Aber meine Frau besitzt gar keine Schuhe und ist vom bar­fuss Lau­fen krank gewor­den, dass sie im Bette lie­gen muss. Willst du ihr nicht deine Schuhe schen­ken?“ Das machte der guten Seele ein wenig Angst, denn sie dachte bei sich: „Aber ich brau­che doch meine Schuhe“ Sogleich aber schämte sie sich die­ses Gedan­kens und erin­nerte sich daran, dass sie ja noch ein wei­te­res Paar Schuhe besaß. Da zog sie ihre neuen Schuhe aus und gab sie dem Mann. Der aber blickte sie ver­wun­dert an und sprach: „Du bist eine wahr­haft gute Seele, das erkenne ich jetzt. Ich glaube, dich hat der Him­mel geschickt. Ich bin kein guter Mensch, aber deine Art beein­druckt mich. Willst du nicht mit mir kom­men und eine Weile bei mei­ner Fami­lie leben und mich leh­ren auch ein guter Mensch zu werden?“

Da wurde Chris­tel ganz rot über die­ses Kom­pli­ment, freute sich aber auch und beschloss mit dem Manne zu gehen und ihn zu leh­ren. Der Mann aber schritt so rüs­tig drauf los, dass die gute Seele kaum mit ihm Schritt hal­ten konnte. Bald kamen sie an sein Häus­chen tief im Walde. Da lebte er mit sei­ner kran­ken Frau und sei­nen drei Kin­dern. Als sie in sei­nem Hause ange­kom­men waren, da wollte die gute Seele mit dem Unter­richt begin­nen, der Mann aber sagte: „Ich habe noch zu arbei­ten. Willst du nicht für uns das Essen zube­rei­ten. Die Kin­der lei­den Hun­ger.“ Er griff sich seine Axt und schritt in dem Wald. Chris­tel aber dachte: „Am bes­ten ler­nen die Men­schen durch gutes Vor­bild.“ Sie suchte sich alles zusam­men und berei­tete der Fami­lie ein gutes Abend­essen zu und weil es noch so viel Zeit gab, wäh­rend die Suppe auf dem Herd köchelte, putzte und räumte sie und machte das ganze Häus­chen sau­ber in der Zeit. Zum Abend­essen kehrte der Mann zurück. Er aß mit der Fami­lie und war des Lobes voll über die gute Seele. Dann aber sprach er: „Ich habe noch Geschäfte zu erle­di­gen“, setzte seine Mütze auf und ging ins Dorf. Da war wie­der keine Zeit für sei­nen Unterricht.

Die drei Kin­der toll­ten im Hause herum und machen große Unord­nung und dach­ten gar nicht daran, ins Bett zu gehen. „Nie­mand küm­mert sich um sie“, dachte Chris­tel und nahm sich der Kin­der an, wusch ein jedes, klei­dete es in sein Schlaf­ge­wand und brachte es in sein Bett­chen. Dann ging sie zu der kran­ken Frau, zog ihr Bett ab, gab ihr ein fri­sches Bett­la­ken, klei­dete auch sie in ein sau­be­res Gewand, reichte ihr die Medi­zin und fand freund­li­che Worte, bis die arme Frau ein­ge­schla­fen war. Dann wusch sie die ganze Wäsche und hängte sie zum Trock­nen vor den Kamin. „Wir wer­den mor­gen mit dem Unter­richt begin­nen“, so sagte sie sich und schlief erschöpft ein. Aber am andern Tag war es auch nicht anders. Der Holz­fäl­ler hatte nie Zeit für sei­nen Unter­richt. Immer gab es etwas zu tun und zu arbei­ten. Er war stets des Lobes voll, aber Chris­tel hatte viel Arbeit mit den Kin­dern, dem Haus und der kran­ken Frau. Und sie fühlte sich jeden Tag immer mehr erschöpft und müde und so man­ches Mal hätte sie sich am liebs­ten gleich neben die kranke Frau gelegt. Und so geschah es, dass die gute Seele eines Tages ein­fach keine Kraft mehr hatte, lieb und freund­lich zu sein und als der Holz­fäl­ler sie wie­der ein­mal über den grü­nen Klee lobte, da beschimpfte sie ihn: „Du dum­mer, ego­is­ti­scher Gro­bian. Du sag­test, du woll­test ler­nen, ein guter Mensch zu sein, aber du lernst gar nichts. Du benutzt mich nur als Haus­wirt­schaf­te­rin und Erzie­he­rin für deine Kin­der, weil deine Frau krank ist und die Arbeit nicht sel­ber tun kann. Du sprichst mir gute Worte, die aber nicht ehr­lich sind. Du willst nur nicht, dass ich gehe und du deine Arbeit wie­der sel­ber tun musst. Es ist deine Arbeit, deine Auf­gabe und deine Pflicht, dich um die dei­nen zu küm­mern. Du fau­ler Lump.“

Da war der Holz­fäl­ler sehr erschro­cken und sagte: „Aber so spricht doch keine gute Seele. Habe ich mich in dir getäuscht?“
Das war zuviel. Die gute Seele Chris­tel konnte dies nicht mehr tra­gen. Sie gab dem Holz­fäl­ler eine schal­lende Ohr­feige, drehte sich um und ver­ließ das Haus, nicht ohne auch die Tür so hef­tig zuzu­knal­len, dass das ganze Häus­chen in sei­nen Grund­fes­ten wackelte.
Nach­dem aber ihre Wut ver­raucht war, da war die gute Seele sehr trau­rig. Ihr Herz wurde ihr so schwer und sie weinte viele Trä­nen über sich selbst. Voll tiefs­tem Kum­mer setzte sie sich unter einen Baum und sprach mit Gott: „Lie­ber Gott, es tut mir so leid. Ich ver­stehe jetzt, warum diese Welt kein bes­se­rer Ort ist, warum es hier so viel Leid und Kum­mer gibt. Wir Men­schen kön­nen ein­fach nicht fried­lich mit­ein­an­der leben. Der Mann war in gro­ßer Not, ich aber habe nur mich und meine Pro­bleme gese­hen. Ich dachte nur an mich und behan­delte ihn schlecht. Ich fühle mich so elend des­we­gen. Wie konnte ich nur so schlecht sein?“

Schließ­lich fiel sie in einen sehr tie­fen, erschöpf­ten Schlaf. Im Traum erschien ihr ein Engel und fragte, warum sie so trau­rig sei. Sie beschrieb ihm ihre Taten und ließ nichts aus. „Die­ser Mann wird nie ein bes­se­rer Mensch wer­den, weil ich ihn im Stich gelas­sen habe“, sagte sie. Der Engel schüt­telte ein ums andere Mal ver­wun­dert den Kopf. Als sie geen­det hatte, da sprach er: „Aber du irrst dich so sehr! Lass es mich dir zei­gen.“ Er ergriff ihre Seele und führte sie zu dem Häus­chen. Dort konnte sie den Holz­fäl­ler und seine Fami­lie sehen, aber sie wurde nicht gese­hen. Der Holz­fäl­ler weinte bit­tere Trä­nen. Er bat seine Frau um Ver­ge­bung. Und die Frau lächelte und schien auf ein­mal nicht mehr so krank. Dann sah sie, wie der Holz­fäl­ler seine Kin­der badete, mit ihnen fröh­lich spielte und sie ins Bett brachte. Dort erzählte er ihnen noch eine Geschichte und die Kin­der schlie­fen glück­lich ein. Dann berei­tete der Mann alles für das kom­mende Früh­stück vor und legte sich schließ­lich zu sei­ner Frau. „Ich will kein solch schlech­ter Mann mehr sein“, sagte er zu ihr. Ich will meine Pflicht an euch erfül­len und meine Arbeit tun. Die Ohr­feige hat mich auf­ge­weckt. Nun werde ich wach blei­ben, das ver­spre­che ich“.

Über die Autorin:
Mein Name ist Kim Bark­mann. Ich arbeite und lebe unter der Bezeich­nung De Wise Fru sehr erfolg­reich als weise Frau und Scha­ma­nin in Alten­salz­we­del in Sach­sen-Anhalt. Ich habe bereits einige Sach­bü­cher ver­öf­fent­licht, aber keine von mei­nen Geschich­ten. Ich wurde 1957 in Ham­burg gebo­ren, stu­dierte Ger­ma­nis­tik, Phi­lo­so­phie und Erzie­hungs­wis­sen­schaf­ten und absol­vierte beide Staats­examina mit Aus­zeich­nung. Spä­ter machte ich eine drei­ein­halb jäh­rige Aus­bil­dung zur wei­sen Frau bei einem aus Hei­del­berg stam­men­den Scha­ma­nen. Mitt­ler­weile lebe ich in einem klei­nen Dorf in Sach­sen-Anhalt, wo ich ein Semi­nar­haus besitze und die „Aka­de­mie für Scha­ma­nen und weise Frauen“ gegrün­det habe und leite. Hier geht es zu mei­nem Blog.

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