3. Türchen

by Bücherstadt Kurier

Mein lie­bes Kind,

ich danke Dir. Als ich mich heute Mor­gen an mei­nen Schreib­tisch setzte, der vom silb­ri­gen Mor­gen­licht in ein unwirk­li­ches Licht getaucht wurde, fand ich deine kleine Auf­merk­sam­keit. Ein­fach so... ohne Grund, so schien es mir.
Die Blü­ten leuch­te­ten auf dem hel­len Unter­grund des Per­ga­ments. Rot und Blau. So albern es auch klin­gen mag, ich musste unwill­kür­lich an Dich und dei­nen Bru­der den­ken. Rot – ein Mäd­chen. Blau – ein Junge. Eigent­lich mag ich die­ses Schub­la­den­den­ken über­haupt nicht, wie du weißt. Doch die Gesell­schaft lässt einem keine eigene Mei­nung. Man ist umge­ben von den Mei­nun­gen der Masse. Das färbt ab. Doch las­sen wir das. Die gelbe, ver­welkte Blüte… das musste ich sein.
Ich habe die Blu­men lange betrach­tet. Ihnen fehlte das Was­ser, die Erde, die Nah­rung und somit alles, was sie zum Leben benö­ti­gen. Lang­sam aber sicht­bar ver­lo­ren sie ihre äußere Schön­heit. Es geht ihnen nicht anders als uns. Allein mit dem Unter­schied, dass sie es schnel­ler hin­ter sich haben.
Mein Kaf­fee war bereits erkal­tet, ebenso wie meine Füße, wel­che bar über dem alten Par­kett bau­mel­ten. Es war zu spät für diese Exem­plare. Hätte ich ihnen Was­ser und eine Vase geholt, so wäre ihr Leben künst­lich ver­län­gert wor­den. Doch stellte ich mir die Frage, ob es über­haupt noch als Leben bezeich­net wer­den konnte. Schließ­lich lag ein wesent­li­cher Teil ihrer selbst begra­ben unter der Erde. Gerade erst gepflückte Pflan­zen befin­den sich in einer Art Wach­koma, wel­ches stets töd­lich endet. Keine ange­nehme Aussicht.
Ich möchte dein Geschenk weiß Gott nicht schlecht­re­den oder gar ver­ur­tei­len. Du han­del­test aus guter Absicht, woll­test mir eine Freude berei­ten. Dies ist Dir auch gelun­gen. Zunächst...
Lei­der bli­cke ich viel zu weit hin­ter die Sze­ne­rie einer jeden Klei­nig­keit. Du weißt das und den­noch schenkst du mir ohne zu zögern die­ses Kleinod. Des­halb danke ich Dir nicht für die Blu­men, son­dern für deine unbe­dingte Liebe, wel­che Du dei­nem altern­den Vater entgegenbringst.

Die Kaf­fee­tasse ist nun leer. Der letzte Schluck schmeckte scheuß­lich. Meine Füße sind Eis­klum­pen. Ich werde sie auf den vier­ecki­gen Son­nen­fleck legen, der den Umriss des gro­ßen Fens­ters wie­der­gibt. Doch erst nach­dem ich die­sen Brief been­det habe.

Woher hast du die Blu­men zu solch frü­her Stunde bekom­men? Warst du unten am Fluss? Im Mor­gen­grauen? Für mich opferst du dei­nen kost­ba­ren Schlaf, der dir sonst so hei­lig ist? Völ­lig ohne Eigennutz?
Was habe ich getan, dass ich ein so auf­merk­sa­mes und selbst­lo­ses Kind ver­dient habe. Was es auch sei, es geschah intui­tiv. Nie war mir etwas wich­ti­ger als dein Wohl­erge­hen und das dei­nes Bru­ders. Ich hoffe, ihr konn­tet es spü­ren, doch wenn ich erneut auf die bei­den Blu­men bli­cke (meine lasse ich außen vor)... die rote und die blaue... so weiß ich, dass mein Weg nicht die völ­lig ver­kehrte Rich­tung nahm. Dafür bin ich dank­bar, denn so hat wenigs­ten ein Aspekt in mei­nem Leben ein vor­läu­fig gutes Ende genom­men. Es trös­tet mich, dass es mit Euch sogar der wich­tigste Teil mei­nes Lebens ist.
Sicher wirst du dich fra­gen: Was soll das? Ich habe dir doch ein­fach nur drei Blu­men geschenkt.
Ins­ge­heim wuss­test du jedoch, dass es mir viel mehr bedeu­ten würde als das. Es sind nicht ein­fach nur drei Blu­men. Es ist der Aus­druck eines Kin­des, wel­ches sei­nen Herrn Papa selbst­los liebt, akzep­tiert und so nimmt, wie er ist. Mit all sei­nen Macken, Son­der­bar­kei­ten und sei­ner trüb­sin­ni­gen Sentimentalität.

Aus den Baum­kro­nen wei­chen die letz­ten Nebel­schwa­den und flie­hen zur Sonne. Es wird ein schö­ner Tag.
Ich habe eben nach­ge­se­hen. Du schläfst noch immer.

War es nur ein nächt­li­cher Aus­flug oder bist du erst zu frü­her Mor­gen­stun­den nach Hause gekom­men? Egal... du hast mich selbst zu die­ser Tages- oder Nacht­zeit nicht ver­ges­sen. Im Gegen­teil, du bedach­test mich mit einer beson­de­ren Aufmerksamkeit.

Ich nehme die aus­ge­trock­ne­ten Blu­men in meine wel­ken Hände. Eine ver­blüf­fende Ähn­lich­keit offen­bart sich mir. Die Blu­men zer­fal­len, meine Hände ver­lie­ren ihre Kraft. Die Blü­ten wer­den ver­blas­sen, genau wie meine Träume, Gedan­ken und Ideale. Aber ein Teil davon wird wei­ter­le­ben. In Euch. So, wie die Über­reste der Blu­men ein näh­ren­der Boden für ihre Nach­kom­men sein können.
Sie sind mir gar nicht so unähn­lich... diese Blu­men. Hast Du sie des­halb aus­ge­wählt? Hast du das alles mit vol­lem Bewusst­sein getan? Wahr­schein­lich sind wir alle viel weni­ger das, was wir zu sein glau­ben. Schon gar nicht die Krone der Schöpfung.

Bevor ich mich nun, wie so oft, in wei­te­ren aus­schwei­fen­den Wor­ten ver­liere, möchte ich mit einem Zitat enden.
Ich danke Dir für die Blu­men oder viel mehr für das, was sie in mir her­vor­ge­ru­fen haben. Und den­noch gebe ich dir die­sen Satz mit auf den Weg:

Ich habe heute ein paar Blu­men nicht gepflückt, um Dir ihr Leben zu schen­ken. Chris­tian Morgenstern

Ich liebe Euch dafür, dass ihr seid.

Marco Haber­mann

Über den Autor:
Ich schreibe, foto­gra­fiere, male, zeichne und mache Musik (ich war 10 Jahre auf den Büh­nen Euro­pas unter­wegs). Kurzum: Die Kunst bestimmt meine Frei­zeit und zu gro­ßen Tei­len mein Leben. Mehr über mich kann man hier erfah­ren: laterno​-magico​.blog​spot​.de.

Bild: Aaron

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9 comments

Monika-Maria Ehliah 3. Dezember 2014 - 7:05

... wun­der­schön ...
Mit Herz & Segen!
M.M.

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Dorothea Ender 3. Dezember 2014 - 9:28

Lie­ber Marco Haber­mann, wie leicht man sei­nen Mit­men­schen eine Freude machen kann, hast Du uns in Dei­ner Geschichte anrüh­rend erzählt. Es sind die Gedanken,die uns wohl alle hin und wie­der über­fal­len, spe­zi­ell beim Anblick von schö­nen Din­gen. Das Zitat von Chr. Mor­gen­stern passt ganz aus­ge­zeich­net hier hin: alles gesagt in einem ein­zi­gen Satz, —das ist Kunst ! Danke und besinn­li­che Adventszeit !

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B. Dura 3. Dezember 2014 - 9:56

Wun­der­schön und sehr berüh­rend. Vie­len Dank für die­sen stil­len Moment am Morgen.

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engelwerkstatt 3. Dezember 2014 - 10:01

sehr berüh­rend, vie­len Dank!

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Literarischer Adventskalender 2014 | Bücherstadt Kurier 3. Dezember 2014 - 13:25

[…] engel­werk­statt zu 3. Türchen […]

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Molly L. 3. Dezember 2014 - 18:44

Ohhhh! Wirk­lich wunder-wunderschön!!!! 🙂

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M.Habermann 4. Dezember 2014 - 9:27

Vie­len Dank für die posi­ti­ven Rückmeldungen.

Even­tu­ell fällt dem/der ein oder ande­ren ein hüb­scher Text zum aktu­el­len Bild der Aus­schrei­bung „100 Bil­der – 100 Geschich­ten“ ein. Das Bild für Aus­gabe 15 (also Bild Nr.16) durfte meine Wenig­keit zur Ver­fü­gung stel­len. Momen­tan ist es aber nur im Maga­zin (noch nicht auf der Home­page) zu sehen.

Grüße an alle – M.Habermann

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Bücherstadt Kurier 5. Dezember 2014 - 16:41

Lie­ber Marco, wir wer­den das Bild nächste Woche auf der Web­site veröffentlichen. 🙂

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100 Bilder – 100 Geschichten: Bild Nr. 16 | Bücherstadt Kurier 10. Dezember 2014 - 15:03

[…] Foto © Marco Haber­mann Eine Geschichte von M. Haber­mann fin­det sich im lite­ra­ri­schen Adventskalender! […]

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