#5. Türchen

by Bücherstadt Kurier

Der Geist der Weihnacht

Seit ich etwa fünf Jahre alt war, hatte ich nur einen Traum: Ich wollte ein­mal den Weih­nachts­mann sehen. Wer Kin­der in die­sem Alter kennt, weiß, wie hart­nä­ckig diese sein kön­nen. Warum ich damals grade die­sen Wunsch so stur ver­folgte, kann ich heute nicht mehr sagen, doch für mich war das in die­sem Moment eindeutig.
Ich galt in den Augen mei­ner Eltern immer als ziem­lich hart­nä­ckig und ihre Ver­su­che mich in der Nacht vor Hei­lig­abend vor acht ins Bett zu schi­cken, gaben sie irgend­wann auf. So saß ich noch lange, nach­dem sie ein­ge­schla­fen waren, auf dem Sofa im Wohn­zim­mer und war­tete auf die Ankunft des Weihnachtsmannes.
Ich glaube, ihr könnt euch vor­stel­len, wie diese Geschichte damals für mich aus­ge­gan­gen war. Trotz größ­ter Anstren­gung und der Bitte an meine Eltern, mir ihr Geheim­nis zu ver­ra­ten, um nicht ein­schla­fen zu müs­sen, wel­ches sie stets mit der Ant­wort „Das ist eine geheime Kraft eines Erwach­se­nen“ belie­ßen, fie­len mir noch vor der Geis­ter­stunde die Augen zu. Wie erwar­tet bekam ich den Weih­nachts­mann nie zu Gesicht.
Bis ich zwölf Jahre alt war, hielt ich an mei­nem Ver­such fest. Meine Eltern sahen es schon fast als weih­nacht­li­ches Ritual an. Schon mit acht oder neun Jah­ren hat­ten die ande­ren Kin­der ver­stan­den, dass der Weih­nachts­mann eine reine Erfin­dung der Eltern war und diese die Geschenke unter den Baum leg­ten. Doch ich erwähnte, dass ich als ziem­lich hart­nä­ckig galt. Ich konnte es nicht erklä­ren, doch irgend­wie schien sich mein Kör­per an die­sem Aber­glau­ben festzuhalten.

Die Ernüch­te­rung kam dann schließ­lich nicht durch die Tat­sa­che, dass ich meine Eltern dabei erwischte wie sie selbst die Geschenke unter den Weih­nachts­baum leg­ten, oder durch die Witze mei­ner Klas­sen­ka­me­ra­den, die mein Ver­hal­ten als Kin­de­rei abta­ten. Noch nicht ein­mal, dass meine selbst­ge­baute Weih­nachts­mann­falle fehl­schlug, war der Auslöser.
Viel­leicht hatte der Weih­nachts­mann meine Fal­len ein­fach umgan­gen, denn Geschenke gab es trotz­dem. Der Punkt war schließ­lich: obwohl der alte Mann wusste, wel­che Kin­der gut und wel­che böse gewe­sen waren – und Stol­per­drähte auf­zu­stel­len, wel­che jeman­den hät­ten ver­let­zen kön­nen, war doch eine ziem­lich unar­tige Tat – bekam ich den­noch Geschenke.
So endete mein Glau­ben an den Weih­nachts­mann jedoch nicht, nur hatte er ziem­lich von sei­nem Zau­ber ein­ge­büßt. Nach die­sem Weih­nachts­fest endete meine nächt­li­che Wacht und ich ging wie meine Geschwis­ter um 22 Uhr schla­fen, denn schließ­lich war am nächs­ten mor­gen ein ziem­lich auf­re­gen­der Tag.

Obwohl mein Inter­esse an Weih­nach­ten mit den Jah­ren abge­nom­men hatte, konnte ich dem Fei­er­tag schwer aus dem Weg gehen. Hier auf Arbeit leb­ten wir zu dritt auf engs­tem Raum zusam­men und man konnte kaum irgendwo hin­ge­hen, ohne dass einem die kom­men­den „Fest­tage“ ins Gesicht sprangen.
Ange­fan­gen beim mit rotem Edding dick im Kalen­der ein­ge­kreis­ten 25ten Dezem­ber, wel­cher genau über der Kaf­fee­ma­schine im Gemein­schafts­raum hing. Zum Frie­den aller hat­ten wir den 25ten für die Besche­rung gewählt.
Hinzu kam ein ziem­lich kit­schi­ger Advents­ka­len­der, der eine Win­ter­land­schaft mit einem ver­schnei­ten Dorf zeigte, über dem ein dicker Mann in roten Kla­mot­ten mit sei­nem Schlit­ten kreiste. Wenigs­tens war die Scho­ko­lade lecker, dachte ich jedes Mal, wenn er mir ins Auge fiel.
Natür­lich durfte auch ein Advents­kranz nicht feh­len. Es brann­ten bereits drei Lich­ter und heute würde auch die vierte Kerze ange­zün­det wer­den. Die­ser Anblick machte mir eben­falls bewusst, dass es über­mor­gen soweit sein würde.
Zu guter Letzt wäre da noch der kleine, hüft­hohe Plas­tik­weih­nachts­baum zu erwäh­nen, wel­cher in einer Ecke des Gemein­schafts­rau­mes stand. Da eine mei­ner Kol­le­gin­nen eine Nadel­all­er­gie hatte, war dies die beste Mög­lich­keit, um einen Weih­nachts­baum zu simu­lie­ren und mit den paar Christ­baum­ku­geln und Lich­ter­ket­ten, wel­che wir in einer alten Kiste im Vor­rats­raum gefun­den hat­ten, fiel es kaum auf, dass er aus Plas­tik war. Bis auf die feh­len­den Nadeln, wel­che sich sonst mit der Zeit auf dem Boden dar­un­ter ver­teil­ten, war die Illu­sion per­fekt. Jedoch schien das Nadeln­las­sen kei­nen von uns wirk­lich zu stö­ren, da es uns Arbeit ersparte.
Jetzt fragt ihr euch natür­lich, was ich nun tat, wenn ich erwähne, dass wir zu dritt auf engs­tem Raum arbei­te­ten. Schließ­lich war meine dama­lige Resi­gna­tion schon fast 20 Jahre her. Ich weiß, einige von euch wer­den jetzt lachen, doch ich war Tech­ni­ker eines For­schungs­teams, wel­ches am Nord­pol Eis­boh­run­gen durch­führte und ich musste dafür sor­gen, dass die Maschi­nen ihren Dienst taten. Ja, ich erkenne die Iro­nie dahin­ter, denn wie heißt es in dem Sprich­wort: „Wenn der Pro­phet nicht zum Berg kommt, muss der Berg halt zum Pro­phe­ten“. Jedoch kann ich euch ver­si­chern: damit hatte es nichts zu tun. Für mich war dies hier ein­fach Arbeit.

Die Tage ver­gin­gen mit der übli­chen Rou­tine und so saß ich am 24ten Dezem­ber schließ­lich alleine in unse­rer Unter­kunft und schraubte an einem Boh­rer­teil herum, wel­ches sich ver­hakt hatte. Meine bei­den Kol­le­gen waren die 18 Kilo­me­ter run­ter ins nächste Dorf gefah­ren, um dort irgend­et­was Lecke­res für die Fei­er­tage zu besor­gen und so wun­derte es mich, als ich eine halbe Stunde nach ihrer Abreise etwas an der Ein­gangs­tür hörte. Hat­ten sie viel­leicht etwas ver­ges­sen und waren umgekehrt?
Zuerst dachte ich, es wäre ein Eis­bär, der das Licht gese­hen hatte und nun nach Nah­rung suchte, was hier drau­ßen nichts Unge­wöhn­li­ches war. Jedoch klang es nicht wie das Krat­zen von Kral­len. Ich ver­harrte kom­plett starr in mei­ner Posi­tion. In die­sem Moment hätte ich schwö­ren kön­nen, dass es ein Schlüs­sel war, der ins Schloss gesteckt wurde. Mit einem Kli­cken schob sich der Rie­gel zurück. Viel­leicht doch meine Kollegen?
Die Tür öff­nete sich mit einem vor­sich­ti­gen Quiet­schen und ich war­tete meh­rere Sekun­den dar­auf, dass eine ver­traute Stimme mir zurief. Es blieb still, bis auf die Tür, die zurück ins Schloss fiel.

Ange­spannt stand ich auf. Wer könnte das sein? Ein Ein­sied­ler hatte doch kei­nen Schlüs­sel für diese Hütte und sol­che Scherze spiel­ten wir ein­an­der nicht.
Ich war froh, dass ich meine dicken Woll­so­cken trug, wel­che meine Schritte kom­plett dämpf­ten. So schlich ich zur Zim­mer­tür und schaute vor­sich­tig hin­aus auf den Gang, von dem aus ich die Ein­gangs­tür genau im Blick­feld hatte.
Zuerst war sie nur sche­men­haft zu erken­nen, doch als ich genauer hin­schaute, erblickte ich eine breite Per­son, wel­che mit Dau­nen­ja­cke und Woll­mütze im Gang stand und mir den Rücken zukehrte, wäh­rend sie seine Schnee­schuhe auszog.
„Hallo?“, rief ich und fragte mich schnell, warum ich das gemacht hatte. Irgend­et­was Ver­trau­tes ging von die­ser rund­li­chen Per­son aus, was mir jeg­li­che Angst nahm, obwohl er ein­fach „ein­ge­bro­chen“ war.
Die Per­son zuckte zusam­men und fuhr herum. Als sie mich sah, beru­higte sie sich schnell wie­der und lächelte mir zu. Das über­rum­pelte mich etwas. „Oje, du darfst mich doch nicht so erschre­cken, jun­ger Mann. Schließ­lich bin ich nicht mehr der Jüngste.“
Die­ser rund­li­che Mann, viel­leicht lag es auch an sei­ner Klei­dung, strahlte eine wär­mende Ruhe und Fröh­lich­keit aus. Fast war es so, als ob ich ihn schon seit mei­ner Kind­heit her kannte und er nur ein Ver­wand­ter zu Besuch wäre.
„Du bist der Weih­nachts­mann“, platzte es aus mir her­aus, mit solch einer Sicher­heit in mei­ner Aus­sage. Obwohl er nicht aus­sah wie der­je­nige, der einem immer beschrie­ben wurde, war ich mir 100-pro­zen­tig sicher, dass er es war.
Der Mann nickte, immer noch die­ses fröh­li­che Schmun­zeln auf sei­nen Lip­pen. Er zog nun auch den zwei­ten Schnee­schuh aus, schul­terte sei­nen Sack und kam lang­sam auf mich zu. Ein leich­ter Duft von Glüh­wein und Spe­ku­la­tius stieg mir in die Nase.
„Ich dachte, du kommst durch den Kamin.“
Der alte Mann lachte und hielt sich dabei den Bauch. „Frü­her, Junge, frü­her ging das noch.“ Es folgte ein nach­denk­li­ches Schweigen.
„Weißt du, dass ich dich immer schon mal sehen wollte? Als Kind…“ Ich konnte den Satz gar nicht mehr been­den, denn erneut nickte der Weih­nachts­mann lächelnd. „Warum bist du nie vorbeigekommen?“
„Viel­leicht bin ich es und du bist ein­fach nur vor­her ein­ge­schla­fen“, erwi­derte der fröh­li­che Mann.

Zusam­men gin­gen wir in den Gemein­schafts­raum und wäh­rend ich mich zurück an den Tisch vor das ver­klemmte Boh­rer­teil setzte, begann der Weih­nachts­mann damit die Geschenke unter dem klei­nen Plas­tik­weih­nachts­baum zu verteilen.
„Ich glaube nicht. Ich kann es dir nicht genau sagen, doch irgend­wie weiß ich, dass du nie da warst“, erklärte ich nach­denk­lich und beob­ach­tete den alten Mann dabei wie er seine Arbeit verrichtete.
„Hör zu, Junge“, er unter­brach sein Tun und schaute mich ernst an. „Zwar habe ich meine Mög­lich­kei­ten schnell von einem Ort zum nächs­ten zu kom­men, doch ich habe dafür nur zwei Tage zeit. Ich kann nicht über­all gleich­zei­tig sein. Deine Eltern haben mir da sehr gehol­fen.“ Er sagte das so, als wäre es das nor­malste der Welt. Als wäre mei­nen Eltern klar, dass sie für den alten Mann arbeiteten.
Ich nickte ein­fach nur.
„Gibt es denn irgend­et­was, wie ich es wie­der gut machen kann?“, fragte der Weih­nachts­mann und schenkte mir erneut die­ses fried­li­che Lächeln.
Ich über­legte. Eigent­lich fiel mir grade nichts ein. Wün­sche wie unend­li­cher Reich­tum, ewige Gesund­heit oder solch ein Zeug erschien mir irgend­wie witz­los und unbe­deu­tend in die­ser Situa­tion. Wahr­schein­lich über­stieg das auch die Fähig­kei­ten des alten Mannes.
„Weißt du, obwohl ich damals unar­tig war, habe ich trotz­dem Geschenke bekom­men und so ging für mich die Fas­zi­na­tion für dich verloren.“
„Oh, so ist das“, meinte der Weih­nachts­mann wie­der lächelnd nickend, als könne er Gedan­ken lesen. „Na gut.“
Als er meine Geschenke wie­der ein­steckte, emp­fand ich keine Trauer über den Ver­lust. Eher war es eine innere Zufrie­den­heit, dass ich end­lich das bekom­men hatte, was ich mir die letz­ten zwan­zig Jahre gewünscht hatte. Auch wenn es nun selt­sam klingt, so hatte er mir durch diese Geste den Zau­ber wie­der­ge­ge­ben, wel­cher mich als Kind so fas­zi­niert hatte. So ließ ich den alten Mann wie­der zie­hen. Er hatte, wie ich, schließ­lich noch zu arbeiten.

Adrian Leo­nardo Winkowski
Bild: Celina

Kurz­vita:

Mein Name ist Adrian Leo­nardo Win­kow­ski. Ich bin 24 Jahre alt und komme aus Ber­lin. Seit mei­nem 13. Lebens­jahr schreibe ich und meine Vor­liebe umfasst kurze Aben­teuer und Kurz­ge­schich­ten. Für mich ist Schrei­ben ein Hobby, wel­ches hilft Kopf und Seele auf­zu­räu­men und ande­ren eine Freude macht. Außer­dem ist es bil­li­ger als ein Psych­ia­ter. Ich hoffe, euch mit die­ser Geschichte eine Freude zu machen. Viel Spaß beim Lesen und hineinträumen.

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