Adieu Rollenklischees … oder doch nicht?

by Satzhüterin Pia

Der Aus­tra­lier Scott Stuart schrieb „Mein Schat­ten ist pink“ für sei­nen Sohn, der lei­den­schaft­li­cher Elsa-Fan ist und des­sen Umfeld ihm schnell klar gemacht hat: Das ist was für Mäd­chen! Stuart hat dar­auf­hin ein Buch geschaf­fen, das Mut machen soll, sein eige­nes Selbst auch zu leben. Satz­hü­te­rin Pia hat eine ent­schei­dende Sache daran den­noch gestört.

Die Schat­ten des Papas, des Opas und der Brü­der sind groß und blau. Nur der vom klei­nen Jun­gen nicht – sein Schat­ten ist pink und trägt gerne Klei­der. Der kleine Junge weiß darum und er möchte es eigent­lich gar nicht, aber er kann auch nichts dage­gen machen. Das Bil­der­buch erzählt aus sei­ner Sicht:

„Ich möchte so gern wie die ande­ren sein,
nur mein Schat­ten und ich, wir pas­sen nicht rein.“

Es steht der erste Schul­tag an und auch wenn er sich nicht voll­ends sicher ist, folgt der kleine Junge dem Hin­weis auf dem Zet­tel, was er für die­sen ers­ten Tag braucht und zieht sich sein Lieb­lings­out­fit an: ein Kleid! Als er die Klasse betritt, wünscht er sich Mut. Doch als ihn alle nur anstar­ren, flieht er sofort zurück nach Hause und in sein Zim­mer. Sein Papa – vor­her noch besorgt ob der Vor­lie­ben sei­nes Soh­nes – eilt ihm unter­stüt­zend hin­ter­her: im Kleid und mit ermu­ti­gen­den Wor­ten. So bekommt sein klei­ner Sohn aus­rei­chend Zuver­sicht, denn: „Ich trage mein Kleid jetzt stolz und froh. Sie wer­den begrei­fen: Ich mag mich so.“

Die Illus­tra­tio­nen sind kraft­voll, sowohl durch den Zei­chen­stil als auch durch die decken­den und inten­si­ven Far­ben. Es macht Freude, sie zu betrach­ten, zu sehen, wie jeder sei­nen Schat­ten bei sich trägt und wie sehr sie sich oft­mals von den nach außen getra­ge­nen Rol­len der Per­so­nen unter­schei­den. Der fins­ter drein­bli­ckende Mann im Anzug, des­sen Schat­ten die Kunst und Male­rei liebt. Oder das tan­zende Cheer­lea­der-Mäd­chen, des­sen Schat­ten viel lie­ber Autos inspi­ziert. Auch der Papa in dem Buch macht es deut­lich: Wir sind unsere Schat­ten und diese sind genau rich­tig für uns.

Die Rosa-Hell­blau-Falle

Beim ers­ten Lesen war da nur ein Gefühl, dass irgend­et­was nicht stim­mig ist. Dann kam ich end­lich dahin­ter: Die Far­ben pas­sen nicht. „Mein Schat­ten ist pink“ möchte Geschlech­ter­rol­len auf­bre­chen und Diver­si­tät zele­brie­ren. Und den­noch sind die Schat­ten der männ­lich gele­se­nen Figu­ren alle­samt blau (mit Aus­nahme des Prot­ago­nis­ten), die der weib­lich gele­se­nen pink. Im Klap­pen­text heißt es: „Ein Junge, der gern Klei­der trägt und mit ‚Mäd­chen­sa­chen‘ spielt, ist für man­che Men­schen ‚anders‘. Aber wer bestimmt eigent­lich, was ‚nor­mal‘ oder ‚anders‘ ist?“ Ich würde noch hin­zu­fü­gen, wer denn bestimmt, was „Mäd­chen­sa­chen“ sind und das so unter­schrei­ben. Im Buch selbst wird aber genau in die­sen Schub­la­den gela­belt: pink für die Mäd­chen, blau für die Jungen.

„Viel­leicht bin ich anders, doch anders ist gut!“

Klei­dung und Far­ben sind für alle da. Ein Satz, der sich sehr ein­fach sagt und in der Rea­li­tät viel zu sel­ten gelebt wird. Mein Kind zum Bei­spiel wird über­wie­gend als Junge ange­spro­chen – außer es trägt ein Kleid oder die Farbe Rosa. Im „ech­ten Leben“ sind wir ganz offen­sicht­lich noch weit davon ent­fernt, frei von fes­ten Geschlech­ter­rol­len sowie Far­ben und Spiel­zeu­gen für Jun­gen oder für Mäd­chen zu sein (ich meine, ernst­haft, lasst es euch auf der Zunge zer­ge­hen! Spiel­zeuge haben keine Geschlech­ter). Beson­ders im Erwach­se­nen­al­ter zeigt sich, dass Gleich­be­rech­ti­gung noch lange nicht über­all gelebt wird und das beginnt schon bei den Kleins­ten, denn mit den Geschlech­tern wer­den auch Attri­bute zuge­ord­net: Der wilde Junge und das ver­träumte Mäd­chen. Aber gut, ich schweife ab.

Durch die Farb­ge­bung mit genau die­sen Kate­go­rien – blau und pink – macht das Buch viel von dem kaputt, was es eigent­lich rich­tig machen will. Und auch tut. Denn zum Glück blei­ben die Schat­ten in ihren Far­ben, auch wenn das Mäd­chen am Auto schraubt. Oder der Schat­ten des Gewicht­he­bers tanzt. Ein­zig auf der Dop­pel­seite mit den ver­schie­de­nen Per­so­nen wird die Zuord­nung von „Mäd­chen­kram und pink“ und „Jun­gen­kram und blau“ auf­ge­bro­chen. Pro­ble­ma­tisch bleibt damit aber wei­ter­hin die unter­schwel­lige Kate­go­ri­sie­rung in „Mäd­chen­sa­chen“ und „Jun­gen­sa­chen“. Und: Wir haben mehr als zwei Far­ben: Warum ist Viel­falt hier nicht bunt?

Sim­pel und emotional

Dass ich ein gro­ßer Fan von (Kinder-)Literatur bin, die gesell­schaft­lich vor­ge­ge­bene Geschlech­ter­rol­len sprengt und mut­ma­chend Diver­si­tät fei­ert, dürfte regel­mä­ßi­gen Lese­rin­nen und Lesern hier viel­leicht schon auf­ge­fal­len sein. Ob es die emp­feh­lens­wer­ten Bücher um Julian sind oder die ange­nehm unauf­dring­li­che Geschichte um „Emi und den Süßig­kei­ten­räu­ber“ (mit der Autorin Sara Mro­zek habe ich auch ein inspi­rie­ren­des Gespräch über Geschlech­terkli­schees und Frau­en­power geführt), ich sammle so ziem­lich alles an, was das Bücher­re­gal mei­ner Toch­ter diver­ser und offe­ner gestaltet.

Die Geschichte von „Mein Schat­ten ist pink“ hat mich dabei durch­aus berührt – beson­ders die letzte Dop­pel­seite mit Fotos der Fami­lie Stuart und einem strah­len­den Colin im Elsa-Kleid stim­men mich glück­lich. Schade nur, dass Stuart mit sei­nem Bil­der­buch selbst in die Rosa-Hell­blau-Falle getappt ist. Damit bie­tet sich das Buch für kri­tisch hin­ter­fra­gende Gesprä­che zu genau die­sem Thema an und darf auch in unse­rem Regal ste­hen bleiben.

Mein Schat­ten ist pink. Scott Stuart. Über­set­zung: Kris­tina Schae­fer. Cop­pen­rath. 2021. BK-Alters­emp­feh­lung: ab 5 Jahren.

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