Adventskalender 2016: Türchen 10

by Bücherstadt Kurier

Advent, Advent, ein Triebwerk brennt!

„Was um alles in der Gala­xis …?“, schrie Natala, als sie von dem Ruck nahezu von ihren Füs­sen geris­sen wurde. Mit eini­ger Mühe stol­perte die stäm­mige, dun­kel­häu­tige Welt­raum­schmugg­le­rin auf die Brü­cke des alten Frach­ters und liess sich auf den Kom­man­do­ses­sel fal­len. „Dan, wieso stür­zen wir ab?“
Der Pilot, ein chi­ne­sisch-euro­päisch­stäm­mi­ger Mann mit zum Pfer­de­schwanz gebun­de­nem Haar, hielt den Joy­stick fest umklam­mert, er kämpfte ver­bis­sen mit der manu­el­len Steue­rung. „Wegen der Gra­vi­ta­tion, Cap­tain, es ist immer die ver­dammte Gra­vi­ta­tion schuld!“
„Das habe ich nicht gemeint und das weisst du, ver­dammt noch­mal!“ Natala warf einen Blick durch das Brü­cken­fens­ter und konnte erken­nen, wie die Wol­ken­de­cke rasch näher­kam. „Bei dem Tempo schla­gen wir in zwei Minu­ten auf der Pla­ne­ten­ober­flä­che auf, kannst du uns bis dahin stabilisieren?“
„Fifty-fifty“, stiess Dan her­aus, wei­ter mit dem Schiff um Kon­trolle ran­gelnd, das eben durch die Wol­ken brach und nun damit begann, um sich selbst zu rotie­ren. Natala konnte nun unter ihnen einen ver­schnei­ten, bewal­de­ten Land­strich erken­nen, der rasch näher­kam. Sie wollte sich eben erkun­di­gen, ob sie sich mit ihrem und dem Tod ihrer Crew abfin­den sollte, als Dan hin­zu­fügte: „Wenn ich die Lade­rampe öffne, krie­gen wir genug Luft­wi­der­stand. Dann sollte es reichen!“
„Die Fracht ist schlecht gesi­chert, du weisst, was das heisst, oder? Wenn wir dabei die Ladung ver­lie­ren, wer­den wir nicht bezahlt und ein wei­te­rer Kunde will uns umbringen!“
„Wenn wir abstür­zen, wer­den wir genauso wenig bezahlt, weil uns der Unfall umge­bracht hat“, gab Dan zurück wäh­rend Natala die Lade­rampe öff­nete. Sie wusste, er hatte Recht, nur musste es ihr des­we­gen noch lange nicht gefal­len. Unter ihnen erklang aus dem Fracht­raum gedämpft das hydrau­li­sche Quiet­schen der sich öff­nen­den Rampe und Natala seufzte erleich­tert auf, als die wahn­sin­nige Rota­tion tat­säch­lich auf­hörte. Sie wür­den es ver­mut­lich auch dies­mal überleben.

adventskalender_2016-10„Was für eine Scheiss­kälte!“, schmollte Stan­ley und ver­suchte, seine Hände in den Ärmeln der dicken Win­ter­ja­cke ver­schwin­den zu las­sen. Der blonde, braun­ge­brannte erste Maat des Schif­fes wirkte von der Aus­sicht auf den ver­schnei­ten Wald wenig begeis­tert, nervte sich aber noch mehr über die Per­son, die neben ihm stand: „Zieh dir ver­dammt noch­mal was an, Mädchen!“
Anaata mus­terte irri­tiert ihren gepunk­te­ten Pyjama sowie ihre nack­ten Füsse auf dem eis­kal­ten Metall­bo­den, ehe sie trot­zig mit ihrer Kaf­fee­tasse ges­ti­ku­lie­rend ent­geg­nete: „Ich bin Pas­sa­gie­rin und gerade erst wegen eurer Luft­akro­ba­tik auf­ge­wacht, also habe ich sicher nicht auf Befehle von dir zu hören.“ Die Korea­ne­rin ver­stummte, zün­dete sich umständ­lich eine Ziga­rette an und wandte sich dann ruck­ar­tig zurück ins Innere des Schif­fes. „Ande­rer­seits frie­ren meine Zehen gerade ab, ich glaube, ich ziehe mir was an.“ Damit huschte sie von dan­nen und Stan­ley fasste sich die Augen ver­dre­hend zur Stirn. „Echt jetzt, ein Frach­ter vol­ler Wahnsinniger.“
„Beschwerst du dich mal wie­der über die Pro­mise?“, erklang hin­ter ihm Nata­las Stimme. Auch der Cap­tain hatte einen war­men Parka ange­zo­gen, was ange­sichts der schnee­be­deck­ten Tan­nen vor der geöff­ne­ten Lade­rampe kaum zu ver­wun­dern ver­mochte. „Sie ist ein gutes Schiff. Nun ja, wenn aus­nahms­weise kein Trieb­werk brennt.“
„Also, was ist unser Sta­tus?“, wollte Stan­ley wis­sen und deu­tete mit einer vagen Hand­be­we­gung in den Lade­raum hin­ter ihnen. „Offen­bar wurde unsere ganze Ladung Feen­staub herausgerissen.“
„Dass wir die Dro­gen ver­lo­ren haben, ist noch der beste Teil“, murrte Natala. „Das Steu­er­bord­treib­werk hat ziem­li­chen Scha­den genom­men und ein paar vir­tu­elle Relais sind explo­diert, die unser Mecha­ni­ker nicht als Ersatz­teil hat. Ich schlage vor, wir mar­schie­ren ins nächste Dorf und ver­su­chen da, die nöti­gen Teile zu kaufen.“

Erschöpft stapfte Natala der Gruppe voran durch den Wald auf die kleine, ein­ge­schneite Sied­lung zu. Wie auf nahezu jeder Rand­welt sah auch die­ses Kaff ärm­lich, alt­mo­disch und sehr schlicht aus: Rauch quoll aus den Schorn­stei­nen der Block­hüt­ten, nur waren wider Erwar­ten dut­zende Anwoh­ner auf dem Dorf­platz ver­sam­melt und starr­ten in den Abend­him­mel, aus dem Schnee­flo­cken nach unten tanz­ten. Die Schmugg­le­rin wandte sich zu ihren bei­den Beglei­tern um: Die Leute hier ver­hal­ten sich komisch, viel­leicht gehö­ren sie zu irgend­ei­nem reli­giö­sen Kult oder so. Über­lasst mir das Reden, ja?“
„Als ob das klap­pen würde, wenn Anaata dabei ist – sie stellt sicher­lich irgend­wel­chen Blöd­sinn an“, meinte Stan­ley tro­cken. „Viel­leicht wer­den wir gelyncht, weil sie Relais fin­det und klaut, wer weiss!“
„Ich hätte sie ja nicht mit­ge­nom­men, doch sie läuft mir blö­der­weise hin­ter­her!“, beschwerte sich Natala. „Als ob der Tag nicht noch müh­sa­mer wer­den könnte.“
Die Ein­bre­che­rin, die eigent­lich nur als Pas­sa­gie­rin mit der Crew reiste, gab sogleich ein pro­tes­tie­ren­des Geräusch von sich: „Ich brau­che manch­mal auch etwas Bewe­gung. Ich werde schwei­gen, versprochen.“
„Das glaube ich erst, wenn ich es sehe“, warf Stan­ley ein, als sie bei den Dorf­be­woh­nern anlang­ten und Natala sogleich grüsste. „Guten Abend, werte Bür­ger. Könnt ihr uns weiterhelfen?“
Meh­rere in glück­se­li­ger Ekstase ver­zückte Gesich­ter wand­ten sich ihnen zugleich zu: „Hei­li­gen Abend, edle Rei­sende. Habt ihr die frohe Kunde bereits erfahren?“
„Die Kunde von was?“, wollte Natala skep­tisch wissen.
„Heute ist uns der Leit­stern zu Mitt­win­ter erschie­nen und wir wur­den alle mit gött­li­cher Glück­se­lig­keit erfüllt“, rief der Dorf­äl­teste und wir­belte dazu um die eigene Achse, als wäre er ein klei­ner Junge. „Der Aus­er­wählte wird diese Welt besuchen.“
„Leit­stern?“, wollte Stan­ley ver­wirrt wis­sen. „Bis eben war Tag und es ist bewölkt.“
„Ja, er stieg gelb glü­hend zur Erde hinab, schoss über den Him­mel und dann … Ihr spürt es selbst sicher­lich genauso, eine solch gött­li­che Prä­senz kann man nicht missen!“
Natala sparte sich die Ent­geg­nung, dass ihre der­zeit ein­zi­gen Gefühle Hun­ger sowie Kälte waren und wollte statt­des­sen wis­sen: „Habt ihr zufäl­li­ger­weise ein Rack vir­tu­elle Relais, das ihr uns ver­kau­fen wür­det? Ohne die Ersatz­teile sind wir auf die­ser Welt gestrandet.“
„Spä­ter“, ent­geg­nete der Alte. „Vor­erst müsst ihr mit uns auf die Ankunft des Erlö­sers war­ten, so, wie es in den alten Schrif­ten aus der Früh­zeit der Mensch­heit steht.“
Stan­ley knuffte Natala in die Seite und flüs­terte dumm grin­send: „Viel­leicht hat die­ser Erlö­ser ganz beson­dere Fea­tures, die alle total high machen? Würde vie­les erklären.“
„Halt die Klappe, ich möchte aus­nahms­weise nicht mit Fackeln aus einem Kaff gejagt wer­den“, zischte Natala zurück und fügte dann sogleich beun­ru­higt hinzu: „Hey, wo ist Anaata?“
„Ver­dammt!“ Stan­ley sah sich hek­tisch nach ihrer klep­to­ma­ni­schen Pas­sa­gie­rin um, konnte sie jedoch nir­gends aus­ma­chen. Nach eini­gem Suchen deu­tete er auf den Weg zurück zum Schiff und fügte hinzu: „Da ist sie, die Wahn­sin­nige hat die Relais geklaut!“ Tat­säch­lich stand dort die blonde Korea­ne­rin und winkte ihnen mit dem pas­sen­den Ersatz­teil zu.
Natala und Stan­ley eil­ten zu der Kame­ra­din, der Cap­tain fuhr sie an: „Was soll der Scheiss? Habe ich dir nicht gesagt, du sollst kei­nen Blöd­sinn anstel­len, wäh­rend wir hier sind? Schnell, lass uns verschwinden.“
„Eigent­lich hast du gesagt, sie solle schwei­gen und das hat sie getan“, warf Stan­ley ein, als sich die Schmugg­ler mit ihrer Die­bes­beute auf den Rück­weg machten.
Kaum waren sie aus­ser Hör­weite der Dorf­be­woh­ner, brach Anaata in unkon­trol­lier­tes Kichern aus. „Leute, Leute, Leute – habt ihr gewusst, wie lecker der Schnee hier schmeckt?“
„Was?“, erkun­digte sich Stan­ley und ver­suchte, in der her­ein­bre­chen­den Dun­kel­heit die Pupil­len der ande­ren zu sehen. „Natala, ich glaube, sie ist high! Ver­mut­lich ist die ganze ver­dammte Sied­lung auf Drogen!“
„High? Wie sollte sie …?“, begann der Cap­tain, nur um von Anaata unter­bro­chen zu wer­den. „Ich hatte Durst und habe Schnee geges­sen! Musst du auch mal probieren.“
Plötz­lich däm­merte es Stan­ley. „Unsere Fracht – wir haben den Feen­staub ver­lo­ren, als wir abge­stürzt sind und das bren­nende Treib­werk war der Stern, den die Leute zu sehen glaubten …“
Natala starrte ihre Kame­ra­den mit offe­nem Mund an: „Das heisst dann wohl, wir sind die Erlöser!“
„Ich glaube, es ist bes­ser, wir ver­schwin­den von hier, bevor uns jemand sucht, weil wir gestoh­len oder eine Pro­phe­zei­ung erfüllt haben.“

Mit einem Rum­peln hob der alte Frach­ter von der Ober­flä­che der Rand­welt ab, was Stan­ley zum Anlass nahm, sich ent­spannt zurück­zu­leh­nen. „Wie­der einen Bei­nahe-Absturz über­stan­den und sogar noch einen Tan­nen­baum gefällt.“
„Dies­mal habt ihr es echt auf die Spitze getrie­ben mit der gan­zen Erlö­ser-Sache“, lachte Dan, der nun wesent­lich ent­spann­ter als bei ihrer dra­ma­ti­schen Lan­dung die Steue­rung umfasste. Natala war nicht ganz so glück­lich wie ihre Kame­ra­den, sie wusste, wie wütend ihr Kunde sein würde, weil sie die Ladung ver­lo­ren hat­ten. Noch einen Tod­feind konn­ten sie nun wirk­lich zual­ler­letzt gebrau­chen. Bevor sie Gele­gen­heit bekam, ihre Beden­ken zu äus­sern, drängte sich Anaata an ihr vor­bei und ges­ti­ku­lierte vage auf einige Lich­ter unter ihnen: „Ist das dort das Dorf von vorhin?“
„Ja“, setzte Dan an, kam aber nicht wei­ter, denn eilig öff­nete die Die­bin eines der Brü­cken­fens­ter, kramte eine Leucht­pis­tole aus einem Not­fall­schränk­chen und feu­erte meh­rere gelb glü­hende Leucht­spur­ge­schosse in den Himmel.
„Bist du wahn­sin­nig gewor­den?“, fuhr Dan sie über das Rau­schen des eisi­gen Win­des an und bremste das Schiff ab, sodass sie wie­der eini­ger­mas­sen atmen konn­ten. Sie igno­rierte ihn, tippte auf die Taste der Aus­sen­laut­spre­cher und don­nerte mit der tiefs­ten Stimme ihres Reper­toires: „Sagt Gott zu mir, ihr klei­nen Wichte!“ Damit schloss sie das Fens­ter wie­der, wandte sich um und huschte fei­xend von der Brü­cke. Für einen Moment herrschte ver­wirr­tes Schwei­gen, das Dan schliess­lich unter­brach, als er das Schiff erneut auf­stei­gen liess: „Sagt mal … könnte es sein, dass sie noch high ist?“
„Offen­bar“, kom­men­tierte Stan­ley tro­cken. „Wenigs­tens eine, die etwas von die­ser Fracht hatte. Ich hoffe stark, wir müs­sen sie jetzt nicht jeden Mitt­win­ter auf den Tan­nen­baum set­zen und anbeten.“

Sarah L. R. Schneiter

Sarah L. R. Schnei­ter ist eine beken­nende Wort­lieb­ha­be­rin mit kaum zu stil­len­der Neu­gier. Sie inter­es­siert sich für Kunst genauso wie für Wis­sen­schaft und Tech­nik und ist der Über­zeu­gung, dass diese Welt zu span­nend und unter­halt­sam ist, um sich zu lang­wei­len. Nebst ihrem ernst­haf­ten Lese- und Video­spiel-Pro­blem und ihrem manch­mal etwas schrä­gen Humor ist Sarah vor allem für ihren Kaf­fee­kon­sum bekannt. Die Wahl­zür­che­rin stu­diert unter ande­rem Kunst­ge­schichte und ver­bringt einen erstaun­lich gros­sen Teil ihrer Frei- und Arbeits­zeit in öffent­li­chen Verkehrsmitteln.

Sarah schreibt bereits seit ihrer Jugend, ihre Texte sind vor­wie­gend Kurz­ge­schich­ten sowie län­gere Geschich­ten im Genre Sci­ence Fic­tion und Essays. Einige kür­zere Texte von ihr sind in ver­schie­de­nen Publi­ka­tio­nen erschie­nen. Zudem betreibt sie zusam­men mit ihrer bes­ten Freun­din seit August 2012 die Seite „Clue Wri­ting“, auf der wöchent­lich Kurz­ge­schich­ten sowie Pod­cast-Epi­so­den erschei­nen. Diese Geschich­ten müs­sen jeweils fünf Stich­worte ent­hal­ten und an einem vor­ge­ge­ben Hand­lungs­ort spie­len. So sind auf der Seite bereits weit über drei­hun­dert Geschich­ten ver­öf­fent­licht wor­den, die jeder­zeit abge­ru­fen und gele­sen wer­den können.

Mehr von Clue Wri­ting im Bücher­stadt Kurier:

#22. Tür­chen

Irgendwo hier ver­steckt sich der Nukleus eines locki­gen Canis

11. Tür­chen

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3 comments

S07E23: Bonus-Episode: Advent, Advent, der Himmel brennt | Clue Writing 31. Dezember 2016 - 22:01

[…] erschie­nen, eine Text-Fas­sung aus einer ande­ren Per­spek­tive fin­det sich im Advents­ka­len­der des Bücher­stadt Kurier. Die Autorin die­ser Epi­sode ist Sarah, die Spre­che­rin Rahel. Nie und nim­mer wür­den wir die­ses Jahr […]

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News: Wir haben Winterferien und schauen zurück | Clue Writing 15. Januar 2017 - 20:42

[…] wir einige Extras zu bie­ten. Ein Gast­bei­trag von Sarah ist im Advents­ka­len­der unse­rer Freunde beim Bücher­stadt Kurier erschie­nen und will gele­sen wer­den. Genau die­selbe Story aus einer ande­ren Per­spek­tive ist bei der […]

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Adventskalender 2017: Türchen 20 – Bücherstadt Kurier 20. Dezember 2017 - 8:01

[…] Ad­vents­ka­len­der 2016: Tür­chen 10 […]

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