Adventskalender 2016: Türchen 13

by Bücherstadt Kurier

Die Weihnachtsgaben

Es war ein­mal eine kleine Stadt, wie es viele andere gibt, doch für seine Bewoh­ner war es die schönste Stadt der Welt. Es gab arme und rei­che, gute und schlechte Men­schen. Es gab Bür­ger, die sich lieb­ten, und Bür­ger, die sich hass­ten. Das ist so in jeder Stadt der Welt und wenn wir Glück haben, sind die Geheim­nisse unse­rer eige­nen Stadt hell und lie­be­voll und nicht dunkel.
Das ein­zig Beson­dere an dem Ört­chen, von dem unsere Geschichte han­delt, war sein Weih­nachts­geist. Obschon in die­ser Stadt die Weih­nachts­zeit gern und schmuck­voll gefei­ert wurde, ist mit Weih­nachts­geist nicht die Stim­mung gemeint, die uns befällt, wenn wir Ker­zen­licht sehen und Gebäck rie­chen. Nein, hier gab es einen wirk­li­chen und wahr­haf­ti­gen Geist, der stets zur Weih­nachts­zeit erschien. Er hatte die Gestalt eines klei­nen Mäd­chens, so arm, dass es nur in ein zer­ris­se­nes Kleid­chen gehüllt war und mit dem Licht eines Ker­zen­stum­mels sei­nen Weg fand. Seine klei­nen Füße schweb­ten immerzu über dem Schnee.

In die­ser Art begab es sich zu jeder Advents­zeit zwi­schen die Men­schen, wel­che sich über die Jahre an die Erschei­nung gewöhnt hat­ten. Bemerkte der Weih­nachts­geist, dass unter den Men­schen einer war, den die Ärger­nisse der Vor­be­rei­tun­gen des Fes­tes auf­wühl­ten, der ob der Viel­zahl der Ein­drü­cke nicht mehr zu sich fin­den konnte, so nahm er alle Hek­tik von ihm und schenkte ihm innere Ruhe. Das Auf­ge­wühl­t­sein reichte er wei­ter an jeman­den, der nicht mehr die Kraft hatte, sich der Welt zu stel­len, der sich in sei­nem Haus ver­kroch. So fasste die­ser neuen Mut und er fand neue Momente unter ande­ren Menschen.
Und sah der Geist der Weih­nacht ein Herz, wel­ches ver­bit­tert war und keine Liebe in sich trug, so weckte er die Erin­ne­run­gen an ver­ges­sene teure Men­schen, an Stun­den unter den Ster­nen und den Blick durch das grüne Blät­ter­dach des Som­mer­wal­des. Somit ent­flammte der kleine Funke der Liebe, der sich in jedem Her­zen fin­det, zu neuem Feuer und ver­trieb die Finsternis.
Fie­len jedoch Trä­nen in den Schnee oder gefro­ren in der kal­ten Luft, war eine Seele zu voll mit Gefühl und Leid, so schenkte der Geist Trost und nahm die Trau­rig­keit von den Betrof­fe­nen. Diese Flut der Trä­nen reichte der Weih­nachts­geist an einen ande­ren, der sein Inne­res durch eine Mauer schüt­zen wollte, der keine Ver­letz­lich­keit zuließ und alte Wun­den mit Nar­ben der Ableh­nung geschlos­sen hatte. Die Trä­nen wuschen alle Befes­ti­gun­gen fort, sodass das Herz wie­der frei, vol­ler Mit­ge­fühl und geheilt schla­gen konnte – für sich selbst und für andere.

So ach­te­ten die Men­schen der Stadt ein­an­der immer mehr und fei­er­ten Weih­nach­ten vol­ler Liebe und gegen­sei­ti­ger Rück­sicht. Über die Jahre bemerk­ten sie, dass sie selbst die Macht hat­ten, Men­schen in ihre sor­gende Mitte zu holen und der Weih­nachts­geist ward immer sel­te­ner gese­hen. Allein die Liebe der Men­schen blieb.
Irgend­wann war der Geist des Mäd­chens nur noch Erin­ne­rung, bald Legende und es wurde gesagt, er würde an einem ande­ren Ort sei­nen freund­li­chen Dienst tun und den Men­schen alles Tren­nende neh­men, zu jeder Weihnachtszeit.

Fre­de­rik Elting

Über den Autor:
Ich wurde am 29.03.1980 in Bocholt gebo­ren. Nach der Arbeit in einem gro­ßen Indus­trie­un­ter­neh­men und der Bun­des­wehr­zeit als Sani­tä­ter stu­dierte ich Medi­zin und Geschichte in Müns­ter. 2015 begann ich, mich an lite­ra­ri­schen Aus­schrei­bun­gen zu betei­li­gen und habe mit Kurz­ge­schich­ten, Lyrik und Apho­ris­men Ver­öf­fent­li­chun­gen in Antho­lo­gien und gute Plat­zie­run­gen in Wett­be­wer­ben erreicht. Ich beschäf­tige mich in mei­ner Frei­zeit gern mit Kur­sen an einer Online-Uni und Rugby (lei­der nicht mehr als akti­ver Spieler).

Weiterlesen

Leave a Comment

Diese Seite verwendet Cookies. Mit der Nutzung unserer Website erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. OK Erfahre mehr