Adventskalender 2017: Türchen 20

by Bücherstadt Kurier

Interstellarer Zimt

„Hüb­sche Tanne“, kom­men­tierte Stan­ley tro­cken, auf eine große, geschmückte Fichte deu­tend, die mit­ten auf dem Platz stand. Natala, die neben ihm her­ge­gan­gen war, sah vom Dis­play ihres Coms auf und mus­terte den Baum skep­tisch, ehe sie ent­geg­nete: „Mich würde ja eher inter­es­sie­ren, wie sie das Ding in die Raum­sta­tion bekom­men haben, das ist min­des­tens zwei Stock­werke hoch.“
„Aus­ein­an­der­schnei­den und wie­der zusam­men­kleis­tern?“, schlug er vor, ohne ver­heh­len zu kön­nen, dass ihm der Baum gefiel, über dem durch eine glä­serne Kup­pel die Sterne zu erken­nen waren. „Trotz­dem ziem­lich hübsch, vor allem für einen so schä­bi­gen Ort.“
„Ich ver­stehe ein­fach nicht ganz, wieso es ein Fest gibt, bloß weil auf der nörd­li­chen Hemi­sphäre der Erde Win­ter­son­nen­wende ist. Eines Tages werde ich das nachschlagen.“
„Das sagst du jedes Jahr und wir ver­ges­sen es immer wie­der“, lachte Stan­ley, bevor er sich zwang, ernst zu wer­den. „Wir haben ein Meeting.“
„M‑hm.“ Natala zog ihre abge­tra­gene Leder­ja­cke an, um beide Hände frei zu haben, wenn etwas schief­lau­fen sollte. Stan­ley reiste bereits lange genug mit der erfah­re­nen Schmugg­le­rin, um ihre Tak­ti­ken zu ken­nen – zwar ver­lie­fen die meis­ten Tref­fen mit loka­len Gangs­tern gut, trotz­dem konnte es nie scha­den, gewapp­net zu sein. „Bereit?“, erkun­digte sich Natala.
„Klar. Mar­ten wird uns zwar wie jedes Mal über den Tisch zu zie­hen ver­su­chen, aber bis­her hat er noch nie auf uns geschos­sen, wird schon klappen.“
Das Duo schlen­derte auf eine Bar am ande­ren Ende des Plat­zes zu, vor der sich meh­rere Grup­pen ange­hei­ter­ter Rei­sen­der, Gau­ner und Glücks­rit­ter laut­stark unter­hiel­ten. Stan­ley kannte sol­che Raum­ha­fen­spe­lun­ken zur Genüge, hatte sie bereits auf unzäh­li­gen Pla­ne­ten gese­hen und trotz ihrem schä­bi­gen Ambi­ente zu schät­zen gelernt. Bereits um her­ein­zu­kom­men muss­ten sie sich durch die Men­schen­menge bug­sie­ren, was ihnen erst nach eini­ger Müh­sal gelang.
Als die bei­den Freunde den rauch­ge­schwän­ger­ten Raum betra­ten, ver­biss sich Stan­ley einen bösen Kom­men­tar über die grau­en­hafte Musik, die aus alten Laut­spre­chern plärrte und sah sich um. Erst nach eini­gem Suchen konnte er Mar­ten, ihren Kon­takt, an einem der Tische am ande­ren Ende des Lokals aus­ma­chen und stupste Natala an. Gemein­sam schrit­ten sie durchs Getüm­mel, wobei Stan­ley ver­suchte, dabei nicht allzu vie­len Mit­bür­gern auf die Füße zu stehen.
„Natala, Stan­ley, lange nicht gese­hen“, begrüßte sie Mar­ten etwas gar eupho­risch, als sie an sei­nem Tisch ange­langt waren. Wäh­rend sie den Gruß erwi­derte, mus­terte Stan­ley skep­tisch den gro­ßen Krug auf dem Tisch, der bereits halb­leer war – ver­mut­lich der Grund für Mar­tens gute Laune. Kaum hat­ten sie sich gesetzt, wollte Stan­ley wis­sen: „Was ist denn das für ein Gesöff?“
„Eier­punsch“, gluckste Mar­ten ange­hei­tert und goss sei­nen Gäs­ten zwei Glä­ser ein. „Scheint gerade der Ren­ner zu sein.“
Skep­tisch schnüf­felte Stan­ley an sei­nem Glas, ehe er vor­sich­tig einen Schluck davon nahm. Das Zeug war gar nicht so schlecht, befand er über­rascht und leerte sei­nen hal­ben Drink, ehe er sich eine Ziga­rette anzün­dete. Natala war der­weil ernst geblie­ben und fragte: „Wol­len wir zum Geschäft­li­chen kommen?“
„Klar.“ Mar­ten streckte sich. „Also, ich habe eine Fracht für euch, von hier nach Tenowia. Gewürze, Zimt und Anis, um genau zu sein.“
„Und ich dachte, du trans­por­tierst nur Dro­gen“, meinte Natala lachend. „Gewürze sind genauso in Ordnung.“
„Bes­tens, dann regeln wir doch gleich die Details.“
Amü­siert stimmte Natala zu. „Wenn ich auch die Bezah­lung nicht ein Detail nen­nen würde.“
Ihr Tref­fen hatte län­ger gedau­ert und so konnte Stan­ley den Alko­hol des Eier­punschs gut spü­ren, als die bei­den Kame­ra­den auf dem Rück­weg zu ihrem Frach­ter waren. „Komi­sches Gebräu, das die hier trin­ken“, brummte er, einen Bogen um einen Essens­stand machend. „Aber immer­hin wird das ganze Schiff nach Zimt rie­chen, das ist ein Plus im Ver­gleich dazu, wenn man Dro­gen schmuggelt.“
„Ich weiß ja nicht“, ent­geg­nete Natala skep­tisch, „irgend­wann geht einem der Geruch nach Zimt sicher ziem­lich auf den Keks.“
„Das ist es!“, rief Stan­ley freu­dig aus. „Wir könn­ten etwas Zimt aus der Fracht klauen und Kekse backen.“
„Darum ist ja wohl die Nach­frage nach Gewür­zen der­zeit so hoch, muss mit die­sem Mitt­win­ter-Fest zu tun haben. Kekse gehö­ren ja da auch dazu.“
„Eigent­lich gar nicht so eine schlechte Feier, Essen, Alko­hol, Geschenke und geklaute Tan­nen. Ein­zig diese Typen, die sich als fette Kerle im roten Anzug ver­klei­den, finde ich etwas gru­se­lig, ich glaube, die sind von einer Sekte.“
Meh­rere Tage waren ver­gan­gen und die Pro­mise, ihr alter Frach­ter, reiste durch den Hyper­raum. Wie immer, auf lan­gen sowie ereig­nis­lo­sen Trips, war die Rou­tine bald ein­ge­kehrt und Stan­ley hatte sein Vor­ha­ben, Kekse zu backen, rasch wie­der ver­ges­sen. Müde streifte er sich sein T‑Shirt über und streckte sich auf dem Bett sei­ner Kajüte aus. Ein Blick auf das holo­gra­phi­sche Dis­play sei­nes Nacht­ti­sches ver­riet ihm, dass es bereits lange nach Mit­ter­nacht war – höchste Zeit, etwas Schlaf zu krie­gen, immer­hin hatte er vor, am kom­men­den Tag Mecha­ni­ker­ar­bei­ten zu erle­di­gen. Nach­dem er mit einem Sprach­be­fehl das Licht gelöscht hatte, streckte er sich woh­lig auf dem Bett aus und schloss die Augen.
Stan­ley war nahezu ein­ge­schla­fen, als ihn der Zimt­ge­ruch, der sich längst im gan­zen Schiff aus­ge­brei­tet hatte, in der Nase kit­zelte. „Ver­fluch­tes Gewürz“, brummte er und freute sich dar­auf, wenn sie diese Ladung end­lich löschen konn­ten. Ent­ge­gen sei­ner Erwar­tun­gen ließ jedoch der Nies­reiz nicht nach, son­dern wurde stär­ker. Flu­chend schal­tete Stan­ley das Licht ein und starrte ungläu­big auf den bräun­li­chen Staub, der alles in sei­nem Zim­mer bedeckte. „Was um alles in der Gala­xis …?“, brummte er, als er erkannte, wie das­selbe Pul­ver aus einem Luft­schacht über ihm rie­selte. Etwas war ganz und gar nicht in Ord­nung, daran hegte er kei­nen Zwei­fel. Eilig sprang er aus dem Bett, zog sich sei­nen Mor­gen­man­tel über und has­tete auf den lee­ren Gang. Auch hier roch es pene­trant nach Zimt, viel stär­ker als zuvor. Gegen das schwa­che Licht der Nacht­be­leuch­tung konnte Stan­ley den­sel­ben Staub sehen, der nahe der Lüf­tung eine Wolke formte. Was war hier bloß los, fragte er sich und ent­scheid sich, Natala zu wecken. Eben, als er an ihre Kajü­ten­tür klop­fen wollte, trat sie am ande­ren Ende in den Gang und kam lachend auf ihn zu. Ihr schwar­zes, gekraus­tes Haar war von einer brau­nen Schicht bedeckt und auf den Schul­tern hatte sie eben­falls von dem komi­schen Pulver.
„Ver­dammt, was ist hier los?“, erkun­digte Stan­ley sich, noch ehe sie ganz bei ihm ange­langt war. Sie musste tief durch­at­men, ehe sie spre­chen konnte. „Eine Ratte hat einen der Säcke in der Lade­bucht ange­knab­bert, der Zimt wurde von der Lüf­tung ange­so­gen und jetzt schneit es.“
Mit einem indi­gnier­ten Seuf­zen sah Stan­ley zur Decke auf, was er sogleich bereute, da ihm Zimt­staub ins Auge geriet. „Heißt das, wir haben das Zeug jetzt im gan­zen Schiff ver­teilt? Das wird ewig dau­ern, das wie­der weg­zu­put­zen – ganz egal, um was es bei die­sem komi­schen Fei­er­tag geht, ich hasse ihn!“

Sarah L. R. Schneiter

Über die Autorin:

Sarah L. R. Schnei­ter ist eine beken­nende Wort­lieb­ha­be­rin mit kaum zu stil­len­der Neu­gier. Sie inter­es­siert sich für Wis­sen­schaft und Tech­nik und ist der Über­zeu­gung, dass diese Welt zu span­nend und unter­halt­sam ist, um sich zu lang­wei­len. Nebst ihrem ernst­haf­ten Lese- und Video­spiel-Pro­blem und ihrem manch­mal etwas schrä­gen Humor ist Sarah vor allen für ihren Kaf­fee­kon­sum bekannt.

Sarah schreibt bereits seit ihrer Jugend, ihre Texte sind vor­wie­gend Kurz­ge­schich­ten sowie län­gere Geschich­ten im Genre Sci­ence-Fic­tion und Essays. Einige kür­zere Texte von ihr sind in ver­schie­de­nen Publi­ka­tio­nen erschie­nen. Zudem betreibt sie zusam­men mit ihrer bes­ten Freun­din die Seite „Clue Wri­ting“, auf der wöchent­lich Kurz­ge­schich­ten sowie Hör­ge­schich­ten publi­ziert wer­den. Ab dem kom­men­den Jahr wird von Sarah eine Buch­reihe mit den Cha­rak­te­ren die­ses Advents­ka­len­der-Bei­trags erscheinen.

Advents­ka­len­der 2016: Tür­chen 10

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