Adventskalender 2017: Türchen 23

by Geschichtenerzähler Adrian

Ein verirrtes Geschenk

Wild stob der Schnee aus­ein­an­der, als der Bär in der Schnee­ver­we­hung lan­dete. Es war ein lan­ger Sturz gewe­sen, schließ­lich sollte nie­mand den Dicken bei der Arbeit erwi­schen. Die Elfen hat­ten den Sack wohl wie­der etwas zu locker zuge­schnürt, sodass sich der Kno­ten ohne Pro­bleme gelöst hatte.
Prus­tend schau­felte sich der Bär durch den Hau­fen aus frisch gefal­le­nem Schnee. Er hatte wohl Glück gehabt, dass er durch seine wei­che Gesamt­erschei­nung keine Schä­den von dem Sturz davon getra­gen hatte. Eines die­ser häss­li­chen Plas­tik­teile, die mit ihm in die­sem dunk­len Sack waren, hätte den Sturz nicht so unbe­scha­det über­stan­den wie er.
Kaum hatte der Bär sich aus dem Schnee­hau­fen gewühlt, da wurde er vom lau­ten Geräusch eines Motors auf­ge­schreckt. Dem Drang ein­fach zurück in die Schnee­wehe zu sprin­gen, wider­stand er, statt­des­sen schaffte er es gerade noch, sich hin­ter die­ser zu verstecken.
Was würde ein Mensch wohl sagen, wenn er einen Ted­dy­bä­ren ein­fach so auf der Straße her­um­lau­fen sähe? Viel­leicht würde er ihn ein­fach nur für ein streu­nen­des Tier hal­ten, aber der Bär wollte kein Risiko ein­ge­hen. Schließ­lich hatte er ein Ziel und eine Auf­gabe zu erfüllen.
Kaum war das Auto vor­über­ge­zo­gen, sprang der Bär aus sei­nem Ver­steck, schaute ein­mal nach rechts und nach links, dann über­querte er die Straße. Nach­dem er sich in einem Strauch ver­steckt hatte, suchte er sei­nen kom­plet­ten Kör­per ab. Die Elfen hat­ten ihm gesagt, dass er sich, sollte er ver­lo­ren gehen, ein­fach nur an dem Zet­tel ori­en­tie­ren müsste. Schließ­lich wurde er am Ende einer Schnur fün­dig, wel­che an sei­ner lin­ken Schul­ter befes­tigt wor­den war. Mit ver­schnör­kel­ter Hand­schrift war dar­auf eine Adresse geschrieben.
Nach­denk­lich über­flog der Bär einige Male die Buch­sta­ben und über­legte, wie er nun her­aus­fin­den sollte, wo er war und wie er zu sei­nem Bestim­mungs­ort kom­men sollte. Irgendwo musste es hier doch einen Stadt­plan oder so etwas geben.
Nach­dem ein wei­te­res Auto an sei­nem Ver­steck vor­bei­ge­rauscht war, huschte der Bär hin­aus und schaute sich erst ein­mal um. Eine halbe Stunde Ted­dy­bä­ren-Fuß­marsch ent­fernt konnte er in der Ferne die Lich­ter und Häu­ser erken­nen. Gut, dachte er, dass die Men­schen ihre Häu­ser um die Weih­nachts­zeit so hell schmücken.
Der Mond stand schon hoch am Him­mel, da erreichte der Bär die ers­ten geschmück­ten Häu­ser. Über­all hin­gen Lich­ter­ket­ten und Lam­pen in Form von Schnee­män­nern. Neben einer Tür stand eine Figur, die dem Dicken ziem­lich ähn­lich sah, abge­se­hen von den Klamotten.
Ein Jahr lang hat­ten die Elfen ihm alles über die Men­schen­welt erzählt. Er musste sich schließ­lich dort zurecht­fin­den und seine Auf­gabe erfül­len kön­nen. Aber warum die Men­schen ihre Häu­ser so grell schmück­ten, hatte er nie ver­stan­den. All die Dinge, die er gelernt hatte, soll­ten den Zweck haben, ein Men­schen­kind vor Mons­tern zu beschüt­zen, hat­ten ihm die Elfen gesagt, nach­dem er einige Male nach­ge­fragt hatte. Sie mein­ten, da müsse er sol­che bana­len Sachen nicht verstehen.
Ein Stra­ßen­schild sagte ihm, dass er sich in einer Straße namens Rosen­pfad befand. Noch ein­mal schaute er auf das Schild und schüt­telte den Kopf, sodass seine Ohren hin und her schlackerten.
Einige Meter wei­ter, er musste sich zwi­schen­zei­tig hin­ter einer Stra­ßen­la­terne ver­ste­cken, da ein wei­te­res Auto vor­bei­fuhr, erreichte der Bär eine Bus­hal­te­stelle. Hier musste es doch eine Karte geben.
Zu sei­nem Glück behielt der Bär Recht, denn an der Hal­te­stelle hing wirk­lich eine Karte der Umge­bung und nicht nur das, es war auch ziem­lich genau der Ort zu sehen, an wel­chen er musste. Man könnte es bei­nahe ein Weih­nachts­wun­der nen­nen, denn auch seine Ziel­straße, wel­che in ver­schnör­kel­ter Schrift auf dem Kärt­chen stand, lang nur noch wenige Meter entfernt.
Ohne noch län­ger nach­zu­den­ken, hüpfte der Bär von den Sit­zen der Hal­te­stelle hin­un­ter, auf die er mit viel Mühe hin­auf­ge­klet­tert war. Run­ter war immer leich­ter als rauf. Nun rannte er, so schnell ihn seine kur­zen Beine tra­gen konnten.
Das Haus im Fin­ken­steig Num­mer drei war schnell erreicht, denn zwan­zig Minu­ten brauchte er für eine Stre­cke, die ein erwach­se­ner Mensch in fünf zurück­le­gen würde. Dies war für einen Bären sei­ner Größe schon bemerkenswert.
Die Frage, wie er hin­ein­kom­men sollte, erüb­rigte sich schnell, denn die weiße Haus­katze erwar­tete ihn schon mit lau­tem Schnur­ren auf der Veranda. Mit einer leich­ten Kopf­be­we­gung zur Kat­zen­klappe zeigte die Katze ihm den leich­tes­ten Weg ins Haus. Er wusste, dass er Tie­ren ver­trauen konnte, sie hat­ten schließ­lich die­selbe Auf­gabe wie er. So nickte er der wei­ßen Dame dan­kend zu, bevor er sich durch die Plas­tik­lappe hindurchzwängte.
Bis auf ein paar Stim­men, wel­che aus dem zwei­ten Stock zu kom­men schie­nen, war das Haus ruhig und der Bär bewegte sich ohne Pro­bleme unbe­merkt durch die Woh­nung. Auf Zehen­spit­zen und mit lan­gen Schrit­ten huschte er erst durch den Flur und dann in das Zim­mer, in wel­chem der große, grüne, bunt­ge­schmückte Weih­nachts­baum stand. Erleich­tert betrach­tete er den Baum und suchte sich dar­auf­hin ein gemüt­li­ches Plätz­chen. Zwi­schen einem Feu­er­wehr­auto und einem selbst­ge­strick­ten Pull­over fand er einen ange­neh­men Platz und ließ sich brum­mend nieder.
Etwas erschöpft von dem auf­re­gen­den Tag schloss der Bär die Augen und fiel schlaff in sich zusam­men. Er würde wie­der auf­wa­chen, wenn die nächste Däm­me­rung anbrach. Wenn die Mons­ter kämen.

Geschich­ten­er­zäh­ler Adrian
Illus­tra­tion: Geschich­ten­zeich­ne­rin Celina

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