Adventskalender 2017: Türchen 4

by Bücherstadt Kurier

Das Gespenst Tarla, die hübsche Hexe Ella und ein winterliches Abenteuer

Alex war ein ganz gewöhn­li­cher und klu­ger Junge, der zur Schule ging und brav lernte. Seine Eltern waren sehr stolz auf ihn. Eines Abends stand er in Gedan­ken ver­sun­ken vor dem Fens­ter. Drau­ßen war es kalt, es reg­nete und schwarze Wol­ken bedeck­ten den Nacht­him­mel und die Sterne. Über allem thronte eine schau­er­li­che Stille. Nach­denk­lich schaute Alex hinaus.

„Was ist pas­siert?“, flüs­tert er zu sich selbst. „Vor zwei Stun­den war noch groß­ar­ti­ges Wet­ter, und jetzt? Viel­leicht reg­net es mor­gen auch noch; dann ist alles nass.“ Dem Jun­gen war lang­wei­lig, er setzte sich auf die Couch und legte den Kopf auf den Tisch. Dann, plötz­lich, ein Geräusch: „Krachz, Prachz, Krachz.“
Alex lauschte, doch es war nichts mehr zu hören. „Tja, gar nichts, ich bin wirk­lich blöd. Ich habe es mir nur ein­ge­bil­det. Drau­ßen rauscht es, daher kom­men diese Geräu­sche“, dachte der Junge. Er ver­ließ ohne ein wei­te­res Wort das Zim­mer. Da hallte eine selt­same Stimme durch die kleine, abge­dun­kelte Stube: „Sch… scho… schuu“. Und ein wei­ßes Licht schim­merte im Raum.

Alex war klug, er hatte stän­dig auf alles eine Ant­wort, aber nun war er ver­wirrt. Den­noch beschloss er: „Gut, jetzt gehe ich schla­fen. Die Stern­chen schla­fen ja auch; hier pas­siert sowieso nichts mehr.“
„Du hast recht“, erwi­derte eine unbe­kannte Stimme.
„Wer ist da?“, fragte der Junge, denn er konnte nie­man­den sehen.
„Schau dich um…“, piepste ein dün­nes Stimm­chen etwas unklar.
„Wo bist du?“
„Unter dem Tep­pich … nein, an der Lampe … ooo, nein in der Wasch­ma­schine … nein, nein …“, rief die Gestalt, und aus der kun­ter­bunt bemal­ten Truhe stieg schwe­bend ein Gespenst heraus.
„Oho“, sagte Alex. „Wer bist du? Was pas­siert hier?“
Das Gespenst begann zu tan­zen wie ein Mensch.
„Dei­nen Namen, bitte“, wie­der­holte der Junge. 

„Du fragst mich viel“, sagte das Gespenst, „aber ich beeile mich nicht. Ich bin ein wei­ses und treu­her­zi­ges Gespenst. Tarla –Tarla ist mein Name.“
„Ich kann eigent­lich nie­man­den lei­den. Ok … das ist super inter­es­sant. Woher kommst du?“, fragte der Junge.
„Aus Wei­ßen­berg. Ich hause hier drin­nen im vier­ten Stock. Es schneit und ist kalt in den Ber­gen. Nun, meine Eltern sind diese Woche im Win­ter­ur­laub. Sie lie­ßen mich alleine daheim und ich habe Angst.“
„Waaas? Du hast Angst?“, lachte der Junge laut.
„Ich möchte bei dir blei­ben“, flüs­terte Tarla.
Das freute Alex, denn der Besuch des Gespens­tes machte ihm Spaß.

Da wurde das Fens­ter geöff­net und auf dem Fens­ter­brett stand eine Hexe mit einem Besen. Alex machte große Augen. Hups ... eins … zwei ... und die kleine Hexe flog ins Zim­mer her­ein. „Und du … wer bist du?“
„Ich bin eine hüb­sche Hexe. Ich heiße Ella, aber man nennt mich auch Win­ter­fee.“ Sie schmiss Kon­fetti durchs Zimmer.
Ella war ein Mäd­chen mit coo­len Super­kräf­ten. Sie trug kun­ter­bunte Schuhe und klit­ze­kleine Klei­dungs­stü­cke. Sie begrüßte Alex freund­lich und flog hin und her.
Alex war sich sicher, dass die kleine Hexe nicht böse, son­dern gut­her­zig war und nur mit ihm spie­len wollte.
„Ich habe gehört“, sagte der Junge, „dass Hexen, beson­ders weib­li­che, dämo­ni­sche Wesen seien, häss­lich, buck­lig, mit lan­ger, roter Nase und jedem Scha­den zufü­gen wollen.“
Alex freute sich, dass er neue Freunde gefun­den hatte, denn diese hat­ten viel Zeit und jetzt war ihm gar nicht mehr lang­wei­lig. Er spielte bald mit der klei­nen Hexe Ella, bald mit dem Gespenst Tarla. Alle waren glück­lich mit­ein­an­der. Sie spiel­ten im Hof und waren froh.
„Ich will dich fra­gen, ob du mit mir zum Flie­gen mit­kommst“, fragte die Hexe den Jungen.
„Ja, warum denn auch nicht?“, sagte Alex.
Die Hexe half ihm, sich auf den Besen zu set­zen. Dann schlüpf­ten sie in die Fan­ta­sie­welt. Im Grunde konnte Alex alles sein, was er wollte. Mit der Reise hatte sich seine Mei­nung in einem Augen­blick geän­dert. Denn klar für ihn war: Die Welt ist ein wei­ßer Ball. Ella zeigte ihm einen Regen­bo­gen, im Hof mach­ten die Kin­der einen Schneemann.
„Wie schön es ist, von oben zuzu­schauen!“ Der Junge lächelte. „Es macht Spaß. Hexe Ella, wo wohnst du eigent­lich? Und wie alt bist du?“
„Gute Frage!“, rief Ella in der Luft. „Ich habe gar kein Alter, nie­mand weiß das. Ich bin alters­los. Ich hause in einem unheim­li­chen Berg namens Brocken.“
Da kam der Abend. Der Mond leuch­tete und die Sterne fun­kel­ten, alle schlie­fen schon fest. Nur Alex und Ella rit­ten auf dem Besen. Plötz­lich erklang eine süße Stimme und sie sang ein Lied:
„Hexe, Hexe, Hexelein
Mein hüb­sches Enkelein
Zum Bro­cken­schloss herein
Hexe, Hexe, Hexelein.“
„Das ist mein Opa, der mich sehr lieb hat“, sagte die Hexe. Die kleine Ella ver­ab­schie­dete sich von ihnen, wünschte ihnen eine gute Weih­nacht und folgte der Stimme ihres Opas.
Das Gespenst setzte sich in den kun­ter­bun­ten Kas­ten. Alex legte sich auch ins Bett.

Als er die Augen auf­machte, wusste er, dass er das alles nur geträumt hatte. Neu­jahr war da.

Nana Ada­mia-Chur­zi­lava

Über die Autorin:
Nana Ada­mia-Chur­zi­lava lebt mit ihrer Fami­lie in Geor­gien. Sie hat Ger­ma­nis­tik stu­diert, ihren Dok­tor in Phi­lo­lo­gie gemacht und sich mit geor­gi­scher und deut­scher Lite­ra­tur befasst. Sie schreibt Lyrik, Essays, Kin­der­erzäh­lun­gen und Märchen.

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