Adventskalender 2017: Türchen 6

by Bücherstadt Kurier

Schöne Bescherung

Lie­ber Herr Poli­zei­haupt­meis­ter Miesner,

ich schreibe Ihnen, um noch ein­mal zu erklä­ren, wie es soweit kom­men konnte. Viel­leicht kön­nen Sie ja bei der Staats­an­walt­schaft ein gutes Wort für mich einlegen.
Alles begann vor zehn Jah­ren, mit einem Zet­tel, den ich an einer Stra­ßen­la­terne flat­tern sah. „Franchisenehmer/in drin­gend gesucht!“ stand dar­auf. Und alles was dar­un­ter stand, klang eigent­lich sehr ver­lo­ckend: Sai­son­job (Okt.-Jan.), mit Kin­dern (ich mag Kin­der!), staat­lich sub­ven­tio­niert, große Unab­hän­gig­keit, die per­fekte Mischung aus Home­of­fice und Außen­dienst (dann kommt man auch mal raus), Füh­rungs­ver­ant­wor­tung (Che­fin-Sein liegt mir ein­fach), dazu quasi keine Kon­kur­renz in ganz Deutsch­land und super Wachs­tums­chan­cen im deutsch­spra­chi­gen Raum.
Weil ich mich damals gerade von mei­nem lang­jäh­ri­gen Freund Rudi getrennt hatte und eine neue beruf­li­che Her­aus­for­de­rung suchte, um mich etwas abzu­len­ken, griff ich gleich zu. Nun ja, ich hatte eine etwas naïve Vor­stel­lung davon, selbst­stän­dig zu sein. Ich dachte, ich könnte es ja erst ein­mal lang­sam ange­hen las­sen. Aber nur einen Monat spä­ter, im Novem­ber, konnte ich mich – wie in der Anzeige ver­spro­chen – vor Auf­trä­gen schon gar nicht mehr ret­ten! Mein Brief­kas­ten quoll über und auch meine neue Email-Adresse ver­brei­tete sich wie ein Lauffeuer.
Ich stellte mir also ein Team aus qua­li­fi­zier­ten Sai­son­kräf­ten zusam­men, die alle Jahre wie­der beim Abar­bei­ten der Auf­träge zur Stelle sind: Aus­wer­ten, ein­kau­fen, abho­len, ver­pa­cken, ver­tei­len … das ganze Pro­gramm, Sie wis­sen schon. Ich selbst komme natür­lich nur noch dazu, das alles irgend­wie zu koor­di­nie­ren. Von wegen arbei­ten „mit Kin­dern“. Aber gut. Dafür lief das Geschäft von Anfang an präch­tig! Meine Kun­den sind immer sehr zufrie­den und blei­ben mei­nem Unter­neh­men in der Regel jah­re­lang treu. Nur sel­ten kommt es zu Rekla­ma­tio­nen, was wohl auch an mei­nem inzwi­schen sehr erfah­re­nen Team liegt, das unse­ren Stamm­kun­den alle Wün­sche von den Augen able­sen kann. Wahre Engel sind das! Und auch ich habe mir nie etwas zu Schul­den kom­men las­sen, das kön­nen Sie mir glauben.

Aber die­ses Jahr ist alles anders. Ich kann mei­nem Team noch nicht mal mehr Min­dest­lohn zah­len. Pünkt­lich zum ers­ten Okto­ber lan­dete näm­lich der erste Brief in mei­nem Brief­kas­ten: Ein Schrei­ben vom Minis­te­rium für fei­er­li­che Ange­le­gen­hei­ten. Darin teilte man mir mit, dass sämt­li­che Sub­ven­tio­nen und Zuschüsse für die­ses, und auch für die kom­men­den Jahre, gestri­chen seien. Eine Kata­stro­phe in unse­rer Bran­che! Ich lief gleich zur Bank, um einen Kre­dit auf­zu­neh­men. Aber auch der wurde mir ver­wei­gert, weil der Bank­an­ge­stellte – übri­gens ein alter Freund von Rudi – mein Busi­ness als „finan­zi­ell höchst ris­kant, stra­te­gisch frag­wür­dig und nicht mehr zeit­ge­mäß“ ein­stufte. „Das macht man doch heute alles online, da braucht man Sie doch nicht dafür“, sagte er bloß. Arsch­loch, dachte ich. Was soll man da auch noch sagen! An der Auf­trags­lage hat sich schließ­lich nichts geän­dert. Allein in den letz­ten Wochen sind bereits Tau­sende von Anfra­gen rein­ge­kom­men. Die kann ich doch nicht alle ableh­nen! Und natür­lich frage ich mich die ganze Zeit: Was ist mit mei­nem Team? Was sol­len die Kun­den von uns den­ken? Die ver­las­sen sich doch auf uns – und das seit zehn Jah­ren! Auf­ge­ben kam nicht in Frage.

Also fasste ich einen Plan. Es war ein sehr detail­lier­ter Plan, in den ich den har­ten Kern mei­nes Teams sofort ein­weihte. Es musste auch ohne Geld irgend­wie klap­pen. Ich hatte alles so gut durch­dacht: Wir wür­den uns alle gut ver­ste­cken, kurz vor Laden­schluss. Zwei wür­den in der Tief­ga­rage des Ein­kaufs­zen­trums war­ten, um das Git­ter zu blo­ckie­ren und den Flucht­weg offen zu hal­ten … aber was erzähl ich Ihnen, das wis­sen Sie ja alles schon. Lei­der. Fast hätte es geklappt. Wir hat­ten die Pro­dukte schon in meh­re­ren Autos ver­staut, als plötz­lich der Alarm los­ging und Sie mit Ihrem Kol­le­gen vor uns stan­den. Wie Kri­mi­nelle haben Sie uns abge­führt! Ich weiß, Sie machen auch nur Ihren Job. Aber ich habe Ihnen doch sofort gesagt, wer ich bin und warum ich das mache. Da hät­ten Sie doch ein­mal ein Auge zudrü­cken kön­nen. Gerade jetzt, so kurz vor Weih­nach­ten! Rich­tig getrof­fen hat mich aber vor allem die Reak­tion Ihres Kol­le­gen, der auf meine Ent­schul­di­gung nur sagte: „Ja, und ich bin der Weih­nachts­mann, hohoho!“ Nun ja, wäre er der Weih­nachts­mann – ich schätze mei­nen ame­ri­ka­ni­schen Kol­le­gen übri­gens sehr – wüsste er, in welch schreck­li­cher Lage ich mich befinde. Die allei­nige Ver­ant­wor­tung für die weih­nacht­li­che Besche­rung 2017 las­tet auf mei­nen Schul­tern – und jetzt sitze ich auch noch in Untersuchungshaft!

Freund­li­che Grüße und eine besinn­li­che Adventszeit
Das Christkind

PS.: Sind zumin­dest meine Engel wie­der auf freiem Fuß?

PPS.: Der Wunsch­zet­tel Ihrer Kin­der ist bereits bei uns ein­ge­trof­fen. Die Bear­bei­tung ver­zö­gert sich aber lei­der bis auf weiteres.

Verena Ull­mann

Über die Autorin:
Verena Ull­mann lebt und schreibt in Mün­chen. Sie ist Mit­glied der Pro­s­a­thek (www​.pro​s​a​thek​.de), einer Gruppe von jun­gen Autorin­nen und Autoren, die nach zwei Kurz­ge­schich­ten­an­tho­lo­gien gerade an ihrem ers­ten Gemein­schafts­ro­man bas­telt. Aber die Pro­s­a­thek kann auch Lyrik: Für ihren Gedicht­zy­klus „Weda­fest“ wurde Verena die­ses Jahr mit dem Leon­hard und Ida Wolf-Gedächt­nis­preis der Stadt Mün­chen ausgezeichnet.

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