Adventskalender 2018: Türchen 10 #litkalender

by Bücherstadt Kurier
Den 1. Teil der Ope­ra­tion „Joker“ fin­det ihr hin­ter dem 3. Tür­chen!

Operation „Joker“ (Teil 2)

Auf dem Holzweg

Zeu­gen fehl­ten ihm gerade noch. Doch viel­leicht konnte er die Situa­tion gleich für sich nut­zen. Er hatte da eine Idee.
Die im Robin-Kos­tüm wen­dete den Roll­stuhl und ver­suchte, in einem gro­ßen Bogen an Joker vorbeizufahren.
Er zog see­len­ru­hig seine Waffe. „Bat­girl ist aber auch nicht totzukriegen.“
„Lauf!“, schrie Bat­girl. Die andere nahm Fahrt auf, sodass die Roll­stuhl­rei­fen auf dem unebe­nen Boden ins Tru­deln gerieten.
„Bloß keine Eile!“, brüllte der Joker ihnen hinterher.
„War die Wand vor­her schon da?“, schrie Bat­girl wenig spä­ter. „Ich glaube, wir hät­ten da links in den Gang rein gemusst.“
„Wel­che Wa- … oh neiiiiiin!“ Robin hielt genau dar­auf zu. Mit einem Ruck fuhr sie eine Kurve. Der Roll­stuhl knarzte, kam aber zwei Mil­li­me­ter vor der Wand zum Stehen.
Der Joker trat lang­sam näher, dabei drehte er die Waffe in sei­ner Hand. Die Frauen wichen in Rich­tung Roll­stuhl­toi­let­ten­gang aus. „Na, was habt ihr alles beim Tele­fo­nat mitgehört?“
„Nichts!“, sag­ten beide gleich­zei­tig und eine Sekunde zu schnell.
Er würde zu ande­ren Mit­teln grei­fen müs­sen. Läs­sig befes­tigte er einen Schall­dämp­fer an der Waffe. Das hatte er lange vor dem Spie­gel geübt, damit es gut wirkte. „Und was habt ihr wirk­lich mitgehört?“
„Hilfe! Secu­rity! Feuer!“
Nun musste er grin­sen. „Net­ter Ver­such, Bat­girl! Du bist doch sonst viel … ernster.“
Lang­sam trat er einen Schritt auf die bei­den zu. Er sah, wie sie zit­ter­ten, inklu­sive Roll­stuhl. „Ich frage noch ein­mal – was habt ihr gehört?“
Bevor der Joker sich ver­sah, schob Robin Bat­girls Fuß­ras­ten mit Schma­ckes in seine Beine. Sie tra­fen sei­nen Knö­chel. Er jaulte kurz auf und die Waffe fiel zu Boden.
„Gib Gas!“
Trotz aller offen­sicht­lich vor­han­de­nen Angst schaff­ten es die bei­den, über die Pis­tole des ver­blüff­ten Jokers zu fahren.
Bat­girl wurde sauer. „Plas­te­schrott! Wehe, du ent­sorgst den im Meer!“ Dann sah der Joker, wie Robin in Rich­tung der Haupt­halle abdüste.
Er schüt­telte den Kopf und hob die kaputte Spiel­zeug­pis­tole auf. Viel­leicht war er der Riege wirk­lich nicht wür­dig, wenn er nicht ein­mal eine Roll­stuhl­fah­re­rin und ihre Beglei­tung in Schach hal­ten konnte.
Wütend rannte er auf die bei­den zu.
In dem Moment hör­ten sie eine Explo­sion. Na bitte, wenigs­tens etwas funk­tio­nierte heute.
Robin trat drei Schritte zurück und wen­dete den Rollstuhl.
Bat­girls Gesicht war puter­rot. „Fliegt jetzt alles in die Luft? Du Spin­ner weißt aber schon, dass es in die­sem Teil des Mes­se­ge­län­des kei­nen Aus­gang gibt?“
„Wieso, könnt ihr etwa nicht schwim­men? Ohhhh!“ Er rannte zu den Pan­ora­ma­fens­tern, die sich direkt auf der Kanal­seite befan­den. Dort war eine kleine Tür ein­ge­baut. Er stieß den Not­he­bel mit dem Stie­fel auf. „Schau mal, Bat­girl, ein klei­nes Weih­nachts­ge­schenk für die Fische.” Demons­tra­tiv ließ er die Spiel­zeug­pis­tole in den Kanal fallen.
Dann ging alles rasant. Beamte stürm­ten den Gang und rich­te­ten ihre Waf­fen auf ihn. „Poli­zei! Blei­ben Sie stehen!“
„Was hal­tet ihr von mei­nen selbst­ge­bas­tel­ten Rauch­bom­ben?” Schnell warf er eine in Rich­tung der Ord­nungs­hü­ter. „Bye bye!“ Er schaute kurz ins Schnee­trei­ben über dem Kanal und ver­schwand dann aus dem Tür­rah­men, in dem er stand.
„Hin­ter­her!”, brüllte Darius seine Kol­le­gen an. „Ich küm­mere mich um die Ladies.”
Im Gegen­satz zu sei­nen Män­nern, die ver­such­ten, den Witz­bold vom Ufer aus zu ver­fol­gen, war er sich sicher, dass er längst ver­schwun­den war.
Moritz stand am offe­nen Not­aus­gang und starrte hin­aus auf den Kanal.
„Kommt, jetzt raus hier, alle!”, kom­man­dierte Darius.
Nach­dem sie die Mes­se­hal­len ver­las­sen hat­ten, fragte er die bei­den Cosplayer:
„Was habt ihr mit die­sem Typen zu schaffen?”
„Nichts!” Die Frau im Roll­stuhl guckte genauso ver­dutzt aus der Wäsche wie ihre Beglei­tung. „Wir waren nur auf dem Klo!”, ant­wor­tete die andere kleinlaut.
Darius stöhnte. „Na gut, von vorne …”
Er durfte sich gar nicht vor­stel­len, was das für ein Auf­wand wer­den würde. Vor allem, wenn die­ser Irre wirk­lich der Freund sei­nes Nef­fen war … und dann durfte er den nächs­ten Wut­an­fall Brum­mers über sich erge­hen lassen.
„Also, es war so …”, begann die Frau im knall­bun­ten Robin-Kos­tüm erneut und erklärte ihm end­lich, was gesche­hen war.

Danach setzte Darius sich in sei­nen Strei­fen­wa­gen. Er drehte sich zur Rück­bank um. Dort saß gedan­ken­ver­lo­ren sein Neffe. „Kommst du mit zur Wache? Ich muss das Pro­to­koll zu die­sem Ein­satz schrei­ben. Da bei der Spu­ren­si­che­rung nichts raus­kam, wird Brum­mer mich garan­tiert unge­spitzt in den Boden ram­men. Na, wenigs­tens haben wir ein paar Leute geret­tet … kön­nen ja spä­ter Döner essen.”
„Ja, komme mit ... muss nachdenken.”
Darius nickte und ließ den Wagen an.

„Marian, warte!“ Moritz’ Stimme hallte im Joker nach, als er ins eis­kalte Was­ser tauchte. Was machte sein Freund in die­sem abge­le­ge­nen Gang? Und wie konnte er ihn erken­nen? Hatte er ihm etwa hin­ter­her­spio­niert? Die Kälte nagte an sei­nen Glie­dern. Er wusste, dass es gegen­über eine Lei­ter gab, die aus dem Was­ser führte. Er schwamm zur ande­ren Seite, ver­fehlte aber die Metall­spros­sen. Mist! Der Was­ser­plan hätte im Som­mer bes­ser funktioniert.
Zum Glück streck­ten sich ihm ein paar Arme ent­ge­gen, die ihn aus dem Kanal und in einen unschein­ba­ren Van zogen. Wäh­rend er einen der Rück­sitze durch­nässte, blickte er in die grin­sen­den Gesich­ter der ande­ren Cos­player. An ihren Revers steck­ten kleine Ansteck­na­deln, die einen Dolch zeig­ten. Eine nasse Haar­strähne fiel ihm ins Gesicht.
„Hätte nicht gedacht, dass du das durch­ziehst”, kom­men­tierte Gun­del und reichte ihm eine Decke.
„Natür­lich …”, grum­melte Joker und hüllte sich in die Wolle.
Der Van setzte sich in Bewe­gung und fuhr direkt zum RAC-Haupt­quar­tier, wo er sich umzie­hen und das Urteil über seine Prü­fung erhal­ten würde.
Auf der ande­ren Seite des Kanals sah er, wie sich die die Poli­zis­ten sam­mel­ten. Unwei­ger­lich huschte sein Blick zur Not­tür, aus der er gesprun­gen war. Moritz war nicht zu sehen. Oder hatte er sich seine Stimme im Adre­na­lin­rausch nur eingebildet?

„Ich hab ein Rät­sel für dich.” Der Ridd­ler war dem Joker unsym­pa­thisch, aber das musste er ihm nicht auf die Nase bin­den. Allein, dass sie kaum durch die Tür waren und er total durch­ge­fro­ren noch Rate­spiele lösen sollte, war eine Frechheit!
„Der Händ­ler hat es, wenn seine Bilanz posi­tiv ist. Der Dieb hat es, wenn er nicht gefasst wird. Der Spie­ler hat es, wenn er rich­tig ant­wor­tet. Was bin ich?”
Alle Augen­paare waren auf ihn gerich­tet, als sie sich auf dem alten Tep­pich vor dem gro­ßen Ban­ner einfanden.
„Erfolg”, löste er das recht ein­fa­che Rät­sel mühe­los, was dem Ridd­ler gar nicht zu pas­sen schien.
Loki, der regio­nale Anfüh­rer, trat vor. „Du hast dich bewie­sen, Joker, unter Zeu­gen hast du dei­nem Comic-Cha­rak­ter ent­spre­chend Chaos gestif­tet. Viel­leicht sogar ein biss­chen zu viel Chaos. Nimmst du den Auf­stieg in die Riege der außer­ge­wöhn­li­chen Cha­rak­tere an?” Loki öff­nete die Schach­tel mit dem Pin, den er sich schon so lange gewünscht hatte. Ein Dolch, in des­sen Klinge das Akro­nym RAC ein­gra­viert war.
„Ja. Ich nehme an.” Seine Worte klan­gen ruhig und selbst­be­wusst, auch wenn ihm die Knie schlot­ter­ten und sein Herz raste. Ehr­furchts­voll hob er die mitt­ler­weile auch durch­ge­weichte Decke, sodass Loki den Pin an sei­nem Revers befes­ti­gen konnte.
„Will­kom­men, Joker.” Loki hielt ihm die Hand ent­ge­gen und er schüt­telte sie mit einem sinis­tren Grin­sen. End­lich hatte er, wor­auf er so lange drauf hin­ge­ar­bei­tet hatte.
Lei­der ließ ihn der Gedanke an Moritz den Tri­umph nicht so recht genie­ßen. War er vor­hin tat­säch­lich mit den Bul­len in den abge­le­ge­nen Bereich gekom­men? Was, wenn er unan­ge­nehme Fra­gen stellte?
Als hätte Gun­del seine Gedan­ken gele­sen, sagte sie: „Du kennst ja die Richt­li­nien der RAC! Kein Wort zu irgend­wem. Die Her­ren Ord­nungs­hü­ter haben uns eh schon im Visier, weil die­ser Pin­guin bei sei­ner Prü­fung zu unauf­merk­sam war.”
„Außer­dem hat Ridd­ler ges­tern einen Pin ver­lo­ren”, fügte Loki bei­läu­fig hinzu.
Joker grinste. „Kei­ner ist unfehl­bar. Aber ja, ich kenne den Codex. Darf ich jetzt duschen?”
Kaum war er im Bad alleine, holte er sein Smart­phone aus der vor­her dort depo­nier­ten Tasche. Zwan­zig ver­passte Anrufe und diverse Nach­rich­ten von Moritz waren auf dem Dis­play ver­zeich­net. Mit einem Seuf­zen rief er ihn an. „Hey Momo. Mann, tut mir leid! Ich bin bei Julius und wir haben beim Ark­ham-Zocken voll die Zeit ver­peilt!”, log er.
„Geht’s dir gut? Ich hab’ mir Sor­gen gemacht …”, sein Freund klang ernst­haft beun­ru­higt. Ver­dammt, er hätte das alles bes­ser vor­be­rei­ten sollen.
„Ich mache mich auf den Weg nach Hause!”, ver­sprach er.
„Okay, bis gleich.”

Aus dem Augen­win­kel beob­ach­tete Darius im Dezer­nat sei­nen Nef­fen, der rat­los auf sein Smart­phone starrte. Vor ein paar Minu­ten hatte der Typ sich end­lich gemel­det und Moritz war sofort ran­ge­gan­gen. Und eigent­lich hätte Darius den Anruf zurück­ver­fol­gen las­sen müs­sen. Das Gespräch selbst war kurz gewe­sen und Moritz’ Stim­mung hatte sich dadurch nicht unbe­dingt gebessert.
Lang­sam löste sein Neffe den Blick vom Handy. „Er kommt heim.”
Darius erhob sich, schaute ernst auf Moritz hinab. „Du weißt, was das heißt?”
Des­sen Miene erstarrte. „Lass mich bitte vor­her mit ihm spre­chen. Viel­leicht sind wir ja auf dem Holzweg ...”
„Wir wis­sen, dass er mit einem gesuch­ten Kri­mi­nel­len auf einem Foto zusam­men ist. Ich bin gezwun­gen, der Spur nachzugehen.”

Als Joker die Woh­nungs­tür auf­schloss, wurde ihm kurz klar, wie unter­schied­lich seine Rol­len waren. Marian über­trat die Schwelle, nicht der Joker! Er atmete ein­mal tief durch, dann ging er hin­ein. Moritz stand bereits im Flur, lief auf ihn zu. „Ich hab’ mir sol­che Sor­gen gemacht …”
Marian schloss ihn fest in seine Arme. „Sorry …” Es tat ihm wirk­lich leid, Moritz so nie­der­ge­schla­gen zu sehen. Hätte er ihn ein­wei­hen sollen?
Wie so oft nahm Moritz seine Hand und Marian sah, wie ihm sämt­li­che Fra­gen ins Gesicht geschrie­ben stan­den. Erst als sie sich auf ihr Sofa gesetzt hat­ten, wagte er, sie auszusprechen.
„Was bedeu­tet RAC? Es ist nicht nur Cos­play, oder?”, flüs­terte er, ohne Marian anzusehen.
„Das hab’ ich dir doch schon erzählt?”, ver­suchte er abzu­len­ken, „Es ist eine Riege von Élite-Cosplayern.”
„Bitte sag mir die Wahr­heit.” Moritz flehte ihn gera­dezu an.
Marian haderte mit sich. Es wider­sprach dem Codex, aber er wollte Moritz nicht ver­lie­ren. „Okay. Es geht um weit mehr ...”, bestä­tigte er mit einem Seuf­zen, „Es geht darum, den gewähl­ten Cha­rak­ter ins wirk­li­che Leben zu holen.”
„Also auch deren Kri­mi­na­li­tät?” Moritz Stimme zit­terte und sein Blick huschte an ihm vorbei.
„Nicht im glei­chen Aus­maß. Bei der Vil­lain Frak­tion der RAC geht es um kleine Strei­che und Chaos. Bei den Heroes um klei­nere Hel­den­ta­ten. Und manch­mal bekrie­gen wir uns gegen­sei­tig”, erklärte er ruhig.
Moritz blickte ihn an. „Du weißt, dass ich dich liebe, ja?” Seine Augen wirk­ten müde. Und traurig.
Marian schluckte. Irgend­et­was stimmte hier nicht. Das hatte sein Freund bis­her nie so klar for­mu­liert. Marian nahm das Gesicht sei­nes Freun­des in beide Hände. „Und ich dich”, erwi­derte er am Kloß in sei­nem Hals vorbei.
„Des­we­gen kann ich nicht zulas­sen, dass du dich in Gefahr bringst.” Moritz’ Stimme zit­terte. Kurz dar­auf ertönte eine fremde Stimme hin­ter Mari­ans Rücken: „Marian Holz, Sie sind verhaftet!”
Er spürte, wie seine Arme nach hin­ten gezo­gen wur­den und hörte Hand­schel­len kli­cken. Die Worte nahm er gar nicht so wahr; er sah nur die Trä­nen auf Moritz’ Gesicht als der Kom­mis­sar ihn abführte.
Der Joker in ihm wollte wider­spre­chen, aber Marian fühlte sich ein­fach nur leer. Er hatte ver­sagt. Nach dem ers­ten offi­zi­el­len Coup schon ver­haf­tet, über­führt und ver­ra­ten von sei­nem eige­nen Freund. So etwas durfte er als Joker nicht auf sich sit­zen las­sen. Aber Marian liebte Momo. Des­halb würde der Joker den ande­ren der Riege auf kei­nen Fall die Wahr­heit über die Umstände sei­ner Ver­haf­tung erzählen.

June Is (@ypical_writer) & Anne Zandt (ran​dom​poi​son​.com)

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