Adventskalender 2018: Türchen 6 #litkalender

by Bücherstädter Peter

Waldgeists warnende Worte

Eine grobe Vereinfachung

Es däm­merte blu­tig über den Hän­gen des gro­ßen Ber­ges, die Luft klirrte und zit­terte in Erwar­tung einer fros­ti­gen Herbst­nacht, als die Jäger des Stam­mes zu den Höh­len hin­ter der hohen Was­ser­wand heim­kehr­ten, drei Eber über die Schul­tern gewor­fen. Die Jäger waren eine Woche lang durch die wei­ten Aus­läu­fer des gro­ßen Wal­des und fast bis ans Ende der Welt gezo­gen, dort wo das Land ins Dun­kel einer Schlucht brach und wo die Toten leb­ten, weil der Stamm sie dort hin­un­ter­warf, und hatte schließ­lich rei­che Beute gemacht. Ihre Kno­chen, ihre Mus­keln, über­haupt alles schmerzte und sie begrüß­ten die hei­mat­li­che Höhle mit einem Aus­ruf der Begeis­te­rung. Die Kin­der waren die ers­ten, die zu ihrer Begrü­ßung her­vor­ka­men. Sie lie­fen am Ufer des Tei­ches ent­lang und spran­gen durch­ein­an­der­ru­fend um ihre Väter.

Die Frauen des Stam­mes war­te­ten am auf­ge­ris­se­nen Maul der Höhle. Auch sie begrüß­ten die Jäger und reich­ten ihnen Bee­ren und Was­ser. Von den Jägern war einer nicht mit den ande­ren zurück­ge­kehrt. Die Schlucht habe ihn genom­men. Der Geist des Wal­des hatte sein Leben gefor­dert und ihnen dafür drei Eber geschenkt, aber das wuss­ten sie nicht, denn sie wuss­ten nichts von irgend­ei­nem Wald­geist, so etwas gab es für sie nicht. Sie erzähl­ten den Frauen, dass er gefal­len sei und sich den Kopf ange­schla­gen habe und sie began­nen zu kla­gen und zu sin­gen. Ihre Schreie hall­ten bis zur hohen Höh­len­de­cke und bra­chen sich, kamen zurück und schmerz­ten im Ohr. Die Jäger lie­ßen die kla­gen­den Wei­ber zurück. Um einen gefal­le­nen Jäger solle man nicht der­ar­tig wei­nen. Ein Held, ein Mann musste nicht beweint, er musste gefei­ert wer­den. Sie mach­ten ein Feuer am jen­sei­ti­gen Ufer des Tei­ches und setz­ten sich im Kreis herum.

Die Jäger und die zum Schutz der Höhle zurück­ge­blie­be­nen Män­ner began­nen, sich Geschich­ten zu erzäh­len. Ein Bär habe sich den Kin­dern genä­hert und die Frauen, man kenne sie ja, seien hys­te­risch und gänz­lich hilf­los gewe­sen, doch er, der Wäch­ter, habe küh­len Kopf behal­ten und den Bären mit nichts als einem Stein ver­jagt. Genau zwi­schen die Augen habe er ihn getrof­fen. Die­ser Bär würde sich nicht wie­der sehen las­sen. Eine der Frauen war ihm beson­ders dank­bar gewe­sen, wenn sie wüss­ten was er meinte. Sie wuss­ten es natür­lich. Sie tran­ken ver­go­re­nen Honig und es wurde gänz­lich fins­ter um das Feuer.

Am Ein­gang der Höhle unter­hiel­ten sich die Frauen erbost. Die Män­ner konn­ten sie vom Feuer aus hören und sag­ten zuein­an­der, dass sie schon wie­der schnat­ter­ten und lach­ten über sie. Schließ­lich kam die Frau des Häupt­lings um den Teich. Sie stampfte und bewegte sich zackig, um den Män­nern gleich ihren Zorn zu zei­gen. Ihre Augen unter­stri­chen ihre Bot­schaft. Ob sie denn nicht womög­lich etwas Zeit mit den Frauen in der Höhle ver­brin­gen woll­ten. Sie hät­ten mit ihnen zu reden. Sie müss­ten ihnen eini­ges erzäh­len und erklä­ren und über­haupt hät­ten sie sich doch wohl schon eine Weile nicht mehr gese­hen. Wir kom­men schon noch zu euch. Der Häupt­ling lachte. Er war der Größte unter den Jägern. Seine Faust hatte schon so man­ches Tier erschla­gen. Ein­mal hatte er, davon wusste er stets zu erzäh­len, eine Bärin mit­samt ihrer Jun­gen mit blo­ßen Hän­den erlegt. Das Fell trug er immer noch um die Schul­tern. Er wies sei­ner Frau zu gehen und die Jäger sahen sich kichernd über das Feuer hin­weg an, doch anstatt sich zurück­zu­zie­hen, winkte die Frau den ande­ren, die sich nun laut­stark schimp­fend um ihre Män­ner am Feuer schar­ten, die augen­blick­lich kapitulierten.

Der Stamm zer­streute sich. Man teilte sich rund um das Was­ser in kleine Grüpp­chen auf und die Frauen erzähl­ten ihren Män­nern, was alles, aus ihrer Sicht, in ihrer Abwe­sen­heit gesche­hen war. Einer der Beschüt­zer habe einen Bären pro­vo­ziert und die Kin­der in Gefahr gebracht. Zum Glück habe man die Kin­der recht­zei­tig in die Höhle brin­gen kön­nen. Die Män­ner wuss­ten es natür­lich bes­ser, denn sie kann­ten schließ­lich schon den wah­ren Her­gang der Geschichte, doch sie sag­ten nichts. Sie nick­ten. So etwas, da müsse man mal mit dem Beschüt­zer spre­chen, das ginge natür­lich nicht.

Von Minute zu Minute ver­dun­kel­ten sich die Mie­nen der Jäger und ihre Augen nah­men einen Aus­druck dunk­ler Resi­gna­tion an. Sie hör­ten kaum noch zu. Die Geschich­ten über Dinge, die sie weder betra­fen noch inter­es­sier­ten, waren ihnen unmög­lich zu fol­gen. Die Frau des Häupt­lings erzählte, die Frau des Beschüt­zers habe sich beim Was­ser­ho­len vor­ge­drängt und dann habe sie noch zu einer Freun­din gesagt, sie habe es nicht getan und über­haupt sprä­che sie zu viel mit die­ser Freun­din, denn die sei ja eigent­lich ihre Ver­traute und dann, und das, und wieso, und über­haupt und so weiter.

Der Häupt­ling ver­lor die Ner­ven. Er packte sein Bären­fell und lief davon in den Wald. Er rannte, sprang über Steine und in die Dun­kel­heit, wo die Kie­fern so alt waren, dass sie hun­dert Meter über ihm den Blick auf die Sterne ver­stell­ten. Irgend­wann hielt er inne und kniete sich hin. Inmit­ten eines wei­ten Rings moos­be­wach­se­ner Find­linge, den sein Vater und des­sen Vater vor ihm gezo­gen hat­ten, holte er Atem. Sie hat­ten diese Fel­sen aus den Hän­gen gebro­chen und hier­her in den Wald gerollt und hat­ten in den Kreis ein Mus­ter klei­ne­rer Steine gemalt, weil sie genug zu essen hat­ten und ihnen lang­wei­lig war. Sie hat­ten Zeit gehabt und fan­den den Kreis schön, als er fer­tig war. Dann kehr­ten sie zur Höhle zurück und vergaßen.

Der Häupt­ling genoss die Stille des Wal­des. Er genoss die Ruhe und Ein­sam­keit so sehr, dass er sich die ganze Nacht nicht mehr erhob, son­dern auf der Stelle sit­zen blieb. In der Men­schen­leere begann er eine Stimme zu ver­neh­men, doch nie­mand sprach. Die Stimme kam aus sei­nem Kopf und es war seine eigene. Sie sprach, erzählte, führte Dinge aus, lachte, weinte – er dachte nach. Er hatte noch nie auf diese Weise nach­ge­dacht. Und als er es tat, die ganze Nacht den­ken, kam ihm ein Gedanke, der stär­ker war als die ande­ren. Wie schön wäre es gewe­sen, ein­fach mit den ande­ren Jägern und den Beschüt­zern die ganze Nacht am Feuer zu sit­zen und zu lachen.

Das war aber noch nicht alles, was er dachte – wie schön wäre es, wenn die Frauen ein­fach mal einen Tag lang den Mund hal­ten könn­ten. War er nicht der Häupt­ling, ein gro­ßer Mann, und war er ihnen nicht kör­per­lich über­le­gen? Er war sich des­sen sicher. So sicher, wie ein Mann, der in den letz­ten Wochen einige schwere Schläge gegen den Schä­del erhal­ten hatte, sich irgend­et­was sicher sein konnte. So deut­lich hatte er die Stimme in sei­nem Kopf noch nie ver­nom­men, bei­nahe als ob jemand von außen, etwa zwi­schen den Stäm­men und Find­lin­gen, mit ihm spre­che, mit sei­ner Stimme.

Ein Geist des Wal­des. Ja fast wie ein Geist. Das Wort Geist fiel ihm ein und er gab ihm eine Bedeu­tung. Wald­geist. Der Herr des Wal­des. Der, dem alles hier gehörte, der sie erschaf­fen hatte, gemein­sam mit sei­ner Frau der Sonne, die stumm Wärme schenkte und sich des Nachts zurück­zog, um dem wachen­den, blin­zeln­den Auge ihres Bru­ders Mond Platz zu schaf­fen. Und wäre es nicht toll, würde der Wald­geist mit ihm spre­chen und ihm sagen, was er zu tun hatte. Wäre es nicht fan­tas­tisch, wenn er ihm sagen würde, wel­che Regeln für alle im Stamm zu gel­ten hät­ten. Ja das wäre grandios.

Somit stieg er am Mor­gen aus dem Wald, wie­der hin­auf zur Höhle und erklärte dem ver­sam­mel­ten Stamm, was der Wald­geist ihm mit­ge­teilt habe. Er öff­nete mit eini­gen klei­ne­ren Regeln, Klei­nig­kei­ten, die ihm das Regie­ren erleich­tern soll­ten und über­haupt die Orga­ni­sa­tion des Stam­mes regel­ten, doch als er das Gefühl hatte, genug um den hei­ßen Brei her­um­ge­spro­chen zu haben, kam er zum wich­tigs­ten Punkt. Frauen sei es von nun an nicht mehr erlaubt, nach Son­nen­un­ter­gang die Höhle wei­ter als bis zum Was­ser­fall hin zu ver­las­sen. Am Tag hat­ten sie den Häupt­ling zu fra­gen, ob sie fort­ge­hen durf­ten, damit die­ser den Wald­geist darum bit­ten konnte. Wenn sich eine Frau vom heu­ti­gen Tag an nicht an diese Regel hielte, dann würde die Sonne nicht mehr über den Hori­zont stei­gen, das Was­ser des Tei­ches rot wie Blut wer­den und Wölfe wür­den vom Berg her über das Land zie­hen, um die Rache des Wald­geists an den Kin­dern des Stam­mes zu voll­zie­hen. Außer­dem würde bei jedem Schritt, den eine Frau des Nachts außer­halb der Höhle täte, ein Stück Land in den schwar­zen Abgrund am Ende der Welt bre­chen. Die Frauen spran­gen ent­setzt ein Stück zurück in die Höhle und ein beun­ru­hig­tes Rau­nen zog durch die Ver­samm­lung. Sie hat­ten Fra­gen, sie hat­ten Ängste und schar­ten sich nun enger als je zuvor um ihren Häupt­ling, um Ant­wor­ten zu erhal­ten und Schutz.

Von nun an ver­schwand der Häupt­ling ein­mal in der Woche in den Wald, um mit dem Geist zu spre­chen und der Geist erzählte ihm von jeder Über­tre­tung sei­ner Gesetze. In Wahr­heit traf er sich im Stein­kreis mit dem Beschüt­zer, einem guten Freund und Ver­trau­ten, der einen Bären mit nichts als einem Stein ver­trie­ben hatte, der stets ein Auge auf alles hatte, was in und um die Höhle vor sich ging. Er war auch der Ein­zige, den der Häupt­ling in seine gran­diose Idee einweihte.

Gemein­sam began­nen sie, die Geschichte um den Geist, die Sonne und den Mond zu ver­dich­ten und nach einem Jahr zogen sie zwei wei­tere Mit­glie­der des Stam­mes hinzu. Ein­mal in der Woche wurde ein Grup­pen­ge­bet für alle orga­ni­siert. Die Ein­ge­weih­ten pick­ten sich der­weil das Beste aus den Spei­se­kam­mern und brach­ten es in den Wald, um es dem Geist zu opfern. Sie speis­ten und lach­ten und dach­ten nach, auch wenn es nun nicht mehr so still war. Sie beglück­wünsch­ten sich für ihre Ideen. Die Hohe­pries­ter fei­er­ten ein Fest.

Code­jä­ger Peter

Weiterlesen

1 comment

Jürgen Rösch-Brassovan 8. Dezember 2018 - 13:23

Reli­gi­ons­kri­tik der beson­de­ren Art. Das dürfte sich aller­dings in frü­he­rer Zeit noch nicht so abge­spielt haben, ist eher eine Erschei­nung des 20. Jahr­hun­derts. Nicht nur mir fal­len da auf Anhieb zwei ganz bestimmte Bei­spiele ein ... Ansons­ten gilt: Man sollte aus den Fehl­trit­ten des schwa­chen „Boden­per­so­nals“, das Glau­ben und Reli­gion ver­rät und per­ver­tiert (wo auch immer) nicht allzu vor­ei­lige Schlüsse ziehen.
„Does any­body know what we are living for?“ (Queen, „The Show must go on“) ist tat­säch­lich der sprin­gende Punkt – das schein­hei­lige Fres­sen auf Kos­ten der ande­ren ist garan­tiert nicht der Sinn des Lebens. Krea­tive wie Gaudi oder Bach haben ein ande­res Ver­stän­dis von Reli­gion gehabt und Erha­be­nes geschaf­fen, Gan­dhi hatte auch ande­res im Sinn, ebenso wie die z.B. die Amish.

Reply

Leave a Comment

Diese Seite verwendet Cookies. Mit der Nutzung unserer Website erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. OK Erfahre mehr