Alexander Pechmann im Interview #Todesstadt

by Worteweberin Annika

„Was ist Phan­ta­sie? Phan­ta­sie ist ein Menschenrecht.“

Nach­dem Alex­an­der Pech­mann schon viele Jahre als Über­set­zer und Her­aus­ge­ber im Lite­ra­tur­be­trieb tätig ist, hat er mit „Sie­ben Lich­ter“ (2017) und „Die Nebel­krähe“ (2019) inzwi­schen zwei Schau­er­ro­mane ver­öf­fent­licht. Mit Worte­we­be­rin Annika hat er dar­über gespro­chen, in wel­che Zeit er gerne zurück­rei­sen würde, wel­che Klas­si­ker wir unbe­dingt (wieder)entdecken soll­ten und ob er an Geis­ter glaubt.

BK: Mögen Sie sich unse­ren Lese­rin­nen und Lesern kurz vorstellen?

AP: Ich bin ursprüng­lich aus Wien, habe in Hei­del­berg Sozio­lo­gie, Psy­cho­lo­gie und Anglis­tik stu­diert und arbeite seit mei­ner Pro­mo­tion als Über­set­zer, Her­aus­ge­ber und Autor. Der­zeit lebe ich mit­ten im Schwarz­wald, in einem lang­sam ver­fal­len­den Haus vol­ler Bücher und Katzen.

BK: Auf der Ver­lags­seite wer­den Sie als „Schatz­grä­ber und Gold­su­cher der Lite­ra­tur“ beschrie­ben. Wie darf man sich das denn genau vorstellen?

AP: Viele der Bücher, die ich her­aus­ge­ge­ben und über­setzt habe, sind Fund­stü­cke, die bis­lang nicht in deutsch­spra­chi­ger Über­set­zung vor­la­gen und auch im eng­li­schen Sprach­raum kaum bekannt sind – zum Bei­spiel Mark Twains Lie­bes­briefe in „Som­mer­wo­gen“, Natha­niel Haw­thor­nes Tage­bü­cher in „Das Para­dies der klei­nen Dinge“ oder Laf­ca­dio Hearns wun­der­ba­rer klei­ner Roman „Chita“. Ich ver­su­che nun schon seit gut zwan­zig Jah­ren, sol­che ver­ges­sene Per­len auf­zu­stö­bern, wie­der zugäng­lich zu machen und ganz all­ge­mein Leser für klas­si­sche Lite­ra­tur zu begeistern.

BK: Sie arbei­ten ja auch als Über­set­zer und haben mit den Tex­ten von zum Bei­spiel Her­man Mel­ville, Mark Twain, den Fitz­ge­ralds oder Robert Louis Ste­ven­son zu tun. Wir­ken sich diese frem­den Stim­men auf Ihr eige­nes Schrei­ben aus?

AP: Die inten­sive Arbeit mit klas­si­schen Tex­ten oder auch nur die Lek­türe der gro­ßen Klas­si­ker führt dazu, dass fremde Stim­men zu sehr ver­trau­ten Stim­men wer­den, die sicher auch den eige­nen Stil beein­flus­sen. Dies hilft enorm dabei, den rich­ti­gen Ton zu fin­den für Geschich­ten, die in ande­ren Epo­chen ange­sie­delt sind.

BK: Wel­che Klas­si­ker kön­nen Sie emp­feh­len, die man unbe­dingt wie­der­ent­de­cken sollte?

AP: Vor eini­ger Zeit habe ich mit gro­ßem Ver­gnü­gen M. G. Lewis „The Monk“ („Der Mönch“) wie­der­ge­le­sen. Eine fabel­hafte Mischung aus Schau­er­ro­man und Aben­teu­er­ge­schichte, die sich im Ori­gi­nal sehr flott liest, wäh­rend die alten Über­set­zun­gen lei­der etwas steif und ver­staubt wir­ken. Außer­dem lohnt es sich, einen Blick auf das umfang­rei­che Werk von Jerome K. Jerome zu wer­fen, von dem nur ein Bruch­teil auf Deutsch vor­liegt. Auch die Romane und Erzäh­lun­gen von Alger­non Black­wood sind hier­zu­lande viel zu wenig bekannt, und der Elfen­bein Ver­lag beginnt mit einer lobens­wer­ten Neu­aus­gabe der Werke von Arthur Machen. Um noch einen fran­zö­si­schen Klas­si­ker zu nen­nen: Bar­bey d’Au­re­villy – ein Träu­mer und Exzen­tri­ker, der viele wun­der­bare Novel­len und Essays geschrie­ben hat.

BK: Hät­ten Sie manch­mal gerne zur sel­ben Zeit gelebt wie die Autoren, mit denen Sie sich beschäf­ti­gen? Immer­hin spie­len ja auch Ihre Romane in der Vergangenheit.

AP: Der ideale Ort und die ideale Zeit wären Con­cord, Mas­sa­chu­setts, Mitte des 19. Jahr­hun­derts, um Natha­niel und Sophia Haw­thorne, H. D. Tho­reau, Ralph Waldo Emer­son, Mar­ga­ret Ful­ler und Her­man Mel­ville per­sön­lich ken­nen­zu­ler­nen. Dann noch ein klei­ner Aus­flug nach Amherst, um Emily Dick­in­son zu umarmen.

BK: Wenn man die Hin­ter­gründe in den Nach­wor­ten Ihrer eige­nen Romane liest, scheint darin sehr viel Recher­che­ar­beit zu ste­cken! Wie lange haben Sie denn jeweils recherchiert?

AP: Die Recher­chen für die bei­den Romane nah­men jeweils unge­fähr sechs Monate in Anspruch. Aller­dings sind wäh­rend des Schrei­bens immer zusätz­li­che Recher­chen erfor­der­lich, und es kann vor­kom­men, dass ich mich sehr inten­siv mit einem Thema beschäf­tige, das im Roman nur für eine kurze Pas­sage von Bedeu­tung ist – aus per­sön­li­chem Inter­esse und Freude am Lernen.

BK: In Ihren bei­den Roma­nen geht es durch­aus schau­rig zu – eine Vorliebe?

AP: Ich liebe Schau­er­ro­mane, phan­tas­ti­sche Lite­ra­tur und phan­tas­ti­sches Kino, Sym­bo­lis­mus und Sur­rea­lis­mus, „wahre“ Gespens­ter­ge­schich­ten, unheim­li­che Orte, rät­sel­hafte Ereig­nisse, geheim­nis­volle Manu­skripte, Voll­mond­nächte, alte Wäl­der und schwarze Katzen.

BK: Glau­ben Sie selbst an Geis­ter oder sind schon ein­mal mit Séan­cen und dem Glau­ben an Über­na­tür­li­ches kon­fron­tiert wor­den, oder sind Sie eher der wis­sen­schaft­li­che Skeptiker?

AP: Mein Groß­va­ter, der in Ägyp­ten gebo­ren wurde, erzählte gern von dem Haus sei­ner Kind­heit, in dem Spuk­phä­no­mene gera­dezu all­täg­lich waren. Ich bin also mit dem Glau­ben auf­ge­wach­sen, dass „Geis­ter“ – im Sinne von uner­klär­li­chen Erschei­nun­gen oder Visio­nen – etwas ganz Natür­li­ches sind, und eigene Erfah­run­gen haben mich in die­sem Glau­ben bestärkt. Die Frage ist: Was steckt hin­ter sol­chen Erfah­run­gen oder Erschei­nun­gen? Bis­lang konnte nie­mand diese Frage schlüs­sig beant­wor­ten, aber es gab und gibt immer wie­der inter­es­sante Ansätze aus der Wis­sen­schaft und seriöse Wis­sen­schaft­ler, Psy­cho­lo­gen, Medi­zi­ner, Kul­tur­his­to­ri­ker und Phy­si­ker, die sich damit beschäftigen.

BK: Wahr­heit und Lüge waren für mich eines der The­men in „Die Nebel­krähe“. Wie hal­ten Sie es denn da, sind Sie eher für die schö­nen Lügen oder die häss­li­chen Wahr­hei­ten zu haben?

AP: Ich finde Oscar Wil­des Behaup­tung, Lite­ra­tur und Kunst hät­ten weni­ger mit Phan­ta­sie als mit Lüge zu tun, sehr span­nend. In „Die Nebel­krähe“ spiele ich bewusst mit der Tat­sa­che, dass ein Erzäh­ler nicht unbe­dingt die Wahr­heit sagen muss und dass der Leser/die Lese­rin unter­schied­li­chen „Wahr­hei­ten“ aus­ge­setzt wird, um dann selbst zu ent­schei­den, was er/sie für wahr hält. Ich ent­scheide mich selbst gern für die „schöne Lüge“ der Lite­ra­tur, um der „häss­li­chen Wahr­heit“ des All­tags zu ent­flie­hen. Damit ent­komme ich zwar nicht der Wahr­heit, aber dem Hässlichen.

BK: Was sind Ihre nächs­ten Pro­jekte? Dür­fen wir uns bald auf einen neuen Roman freuen?

AP: Ich schreibe gerade an den letz­ten Kapi­teln eines neuen Romans, der viel­leicht schon im nächs­ten Jahr erscheint. Außer­dem arbeite ich mit Andreas Flied­ner am zwei­ten Band der gro­ßen Love­craft-Werk­aus­gabe, der für Herbst 2020 ein­ge­plant ist.

BK: Was macht Ihrer Mei­nung nach ein gutes Buch aus?

AP: Wenn ich ein Buch in die Hand nehme und spüre, dass nicht nur der Autor sein Bes­tes gege­ben hat, son­dern auch Ver­le­ger, Lek­tor, Gra­fi­ker, Set­zer, Dru­cker, Buch­bin­der mit Liebe und Lei­den­schaft ans Werk gegan­gen sind, ist es „gut“. Inhalte will ich nicht pau­schal bewer­ten, denn ich habe schon oft erlebt, dass ein Buch, mit dem ich zunächst nichts anfan­gen konnte, mich zu einem spä­te­ren Zeit­punkt fas­zi­niert hat. In die­sem Sinne hat jedes Buch die Chance, den rich­ti­gen Leser zu fin­den und zu einem guten Buch zu werden.

BK: Was lesen Sie in Ihrer Frei­zeit am liebs­ten? Oder ist alles, was Sie lesen, gleich­zei­tig auch immer Recherche?

AP: Für mich ist es nicht leicht, Frei­zeit und Arbeit zu tren­nen. Manch­mal lese ich zum Ver­gnü­gen Comics, Phan­tas­ti­sches oder Sci­ence-Fic­tion und finde dabei etwas, das mich inspi­riert. Dann wie­der lese ich gezielt für irgend­ein Pro­jekt eine Bio­gra­phie oder ein Sach­buch, kann nichts oder wenig aus mei­ner Lek­türe ver­wen­den und habe trotz­dem Freude daran.

BK: Dann habe ich noch unsere bei­den bücher­städ­ti­schen Fra­gen für Sie: Wel­che Frage haben Sie sich schon immer für ein Inter­view gewünscht und was ant­wor­ten Sie darauf?

AP: Was ist Phan­ta­sie? Phan­ta­sie ist ein Menschenrecht.

BK: Und schließ­lich: Wenn Sie selbst ein Buch wären, wel­ches wäre das dann?

AP: „Die Biblio­thek der ver­lo­re­nen Bücher“.

BK: Vie­len Dank für das Interview!

Ein Bei­trag zum Spe­cial #Todes­stadt. Hier fin­det ihr alle Beiträge.
Foto: pri­vat

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Schöne Lügen und hässliche Wahrheiten – Bücherstadt Kurier 2. Mai 2020 - 17:31

[…] Inter­view mit Alex­an­der Pechmann […]

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