Andreas Eschbach

by Bücherstadt Kurier

„Wer Macht hat, ver­än­dert die Welt – aber die Macht ver­än­dert ihn ihrer­seits ebenfalls.“

Dys­to­pie oder Uto­pie? In die­sen Kate­go­rien denkt Best­sel­ler­au­tor Andreas Eschbach nicht. Warum das so ist, und wieso er seine Vor­bil­der für sich behält, ver­rät er im Gespräch mit Bücher­städ­te­rin Ann-Chris­tin – außer­dem wie es zu der Fort­set­zung vom „Jesus Video“ kam.

BK: Herr Eschbach, danke dass Sie sich die Zeit neh­men. In unse­rer aktu­el­len Aus­gabe beschäf­ti­gen wir uns mit Dys­to­pien und Uto­pien. Wie wür­den Sie selbst Ihre Werke unter die­sem Gesichts­punkt einordnen? 

AE: Ehr­lich gesagt denke ich nicht in die­sen Kate­go­rien. Ich habe mir noch nie vor­ge­nom­men, „jetzt schreibe ich eine Dys­to­pie.“ Ich habe eine Idee für eine Geschichte – damit beginnt es. Und meine Geschich­ten beschäf­ti­gen sich häu­fig mit der Zukunft. Das ist alles. In wel­ches The­men­re­gal das fer­tige Buch dann zu stel­len ist, das müs­sen andere entscheiden.

BK: Ihre Bücher schei­nen häu­fig eine Mischung aus Sci­ence-Fic­tion, Thril­ler und Gesell­schafts­kri­tik zu sein. Stim­men Sie die­ser Beschrei­bung zu? Wenn ja, warum, wenn nein, warum nicht?

AE: Das kann man sicher so sehen. Aber, wie gesagt, das ist nicht etwas, das ich mir vor­nehme, son­dern etwas, das sich jeweils beim Schrei­ben so ent­wi­ckelt. Das Erzäh­len von Geschich­ten folgt einer ganz eige­nen Magie.

BK: „Todes­en­gel“ beginnt damit, dass ein Rent­ner an einer U‑Bahn-Sta­tion von zwei Jugend­li­chen ange­grif­fen wird. Ein schreck­li­ches Sze­na­rio, das lei­der nicht allein ihrer Fan­ta­sie ent­sprun­gen ist. Die Jugend­ge­walt in Deutsch­land scheint in den ver­gan­ge­nen Jah­ren zuge­nom­men zu haben – wie erklä­ren Sie sich diese Zunahme? Ist es weil, wie Sie in „Todes­en­gel“ schrei­ben, der Staat mit jugend­li­chen Straf­tä­tern zu lasch umgeht?

AE: Man liest in die­sem Zusam­men­hang häu­fig, die Gewalt nähme in Wirk­lich­keit ab und es werde nur mehr dar­über berich­tet, wodurch der Ein­druck ent­stehe, sie nehme zu. Das beruht aber auf unsau­be­rer Sta­tis­tik; wenn man es genau unter­sucht, nimmt sie tat­säch­lich zu, ins­be­son­dere die Schwere der aus­ge­üb­ten Gewalt. Woran das liegt, ist nicht mit ein paar Sät­zen erschöp­fend zu beant­wor­ten, aber gene­rell scheint mir, dass der Wider­stands­wille des Rechts­staa­tes erlahmt. Man ver­sucht es mit Appease­ment, anstatt klare Gren­zen zu set­zen – was ent­spre­chende Anstren­gung erfor­dern würde –, und beför­dert so das, was man ver­mei­den will.

BK: In ihrem Buch ist die Ant­wort auf einen Jus­tiz­ap­pa­rat, der ver­sagt hat, im wahrs­ten Sinne des Wor­tes ein „Todes­en­gel“, ein Rächer, der die Täter zur Stre­cke bringt und dafür von den Medien gefei­ert wird. Beson­ders der Jour­na­list Ingo Praise nimmt dabei eine Schlüs­sel­fi­gur ein. Wie wür­den Sie ihn beschrei­ben und die Rolle der Medien im Allgemeinen?

AE: Ingo Praise ist jemand, der sich selbst wehr­los fühlt ange­sichts kör­per­li­cher Gewalt, zuerst Schutz gesucht hat bei sei­nem Vater und spä­ter beim Staat und die­sen Schutz bei bei­den nicht gefun­den hat. Das Auf­tau­chen des „Todes­en­gels“ erscheint ihm wie eine Ver­hei­ßung, dass der Bedro­hung Ein­halt zu gebie­ten ist, und er glaubt, er hilft ihm, indem er einen Hype um ihn ver­an­stal­tet, als er über die Medien die Mög­lich­keit dazu erhält. Was, wie mir scheint, immer mehr die Norm wird, was Medien anbe­langt – es geht nicht mehr darum, neu­tral zu infor­mie­ren, son­dern es wird jemand ent­we­der gehy­ped oder gebas­hed, unge­ach­tet läs­ti­ger Fak­ten. Und wir geben den Medien die Macht dazu, weil wir ihnen immer noch glauben.

BK: Macht ist ein wich­ti­ges Stich­wort. In „Todes­en­gel“ geht es um die Macht der Medien, „Eine Bil­lion Dol­lar“ beschreibt den Ein­fluss des Gel­des und „Herr aller Dinge“ geht sogar noch einen Schritt wei­ter, indem die Haupt­fi­gur Hiro­shi Kato mit­tels Nano­tech­nik die Macht besitzt, Dinge nach sei­nem Wil­len zu erschaf­fen. Der Wunsch nach Macht scheint die Mensch­heit anzu­trei­ben. Aber wenn man Ihre Bücher gele­sen hat, wirkt es, als wären wir ohne die­ses Anspruchs­den­ken viel bes­ser dran, oder?

AE: Natür­lich. Man braucht sich nur die Men­schen in Macht­po­si­tio­nen anzu­se­hen – wie schnell sie altern, zum Bei­spiel –, um zu erken­nen, dass Macht ihren Preis hat. Wer Macht hat, ver­än­dert die Welt – aber die Macht ver­än­dert ihn ihrer­seits ebenfalls.

BK: Wäre Simon König – einer der Haupt­fi­gu­ren aus „Ein König für Deutsch­land“ – ein guter Mon­arch, oder würde er sich von sei­ner Macht blen­den lassen?

AE: In der Geschichte gab es viel zu wenig gute Könige, als dass sich die Frage über­haupt noch stel­len sollte, ob die Mon­ar­chie eine sinn­volle Regie­rungs­form ist.

BK: In „Eine Bil­lion Dol­lar“ ist der Piz­za­bote John Fon­ta­nelli mit einem Schlag stein­reich, gleich­zei­tig soll er das Geld so ein­set­zen, damit die Zukunft der Mensch­heit gesi­chert ist. Was wür­den Sie mit einer Bil­lion Dol­lar anstellen?

AE: Ich habe beim Schrei­ben des Buches sehr deut­lich gemerkt, dass mich ein sol­ches Ver­mö­gen völ­lig über­for­dern würde, und wahr­schein­lich jeden ande­ren Men­schen auch. Es ist ange­neh­mer, wohl­ha­bend zu sein als arm, aber es gibt für Reich­tum eine Grenze, jen­seits derer er sinn­los wird. Man besitzt dann nicht mehr das Geld, son­dern das Geld besitzt einen. Und das trägt dann nichts mehr zum Lebens­glück bei, son­dern ver­min­dert es wieder.

BK: Robo­tik, Nano­tech­nik – wie viel Recher­che­ar­beit war not­wen­dig, um „Herr aller Dinge“ zu schrei­ben? Und wel­cher Ihrer Romane war bis­her die größte Her­aus­for­de­rung für Sie?

AE: Schwer zu sagen, weil jeder Roman einen auf andere Weise her­aus­for­dert. „Herr aller Dinge“ ist mir ver­gleichs­weise leicht gefal­len. Ziem­lich stres­sig war es, „Aus­ge­brannt“ zu schrei­ben, weil sich da zeit­weise der Schreib­tisch durch­bog unter Recherchematerial.

BK: Haben Sie über die Jahre eine gewisse Tages­rou­tine fürs Schrei­ben ent­wi­ckelt? Gibt es beson­dere Rituale?

AE: Nein, damit kann ich lei­der nicht die­nen, obwohl sich so etwas immer ganz pit­to­resk macht in Schrift­stel­ler­bio­gra­fien. Aber ich kann immer und über­all schrei­ben, vor­aus­ge­setzt, man lässt mich in Ruhe.

BK: Wie sind sie zum Schrei­ben gekom­men und wel­ches sind Ihre gro­ßen Vorbilder?

AE: Was Vor­bil­der anbe­langt, habe ich im Lauf der Jahre gelernt, dass es bes­ser ist, keine zu nen­nen, weil man dann nur mit ihnen ver­gli­chen wird. Wobei die Liste der Autoren, von denen man lernt, im Lauf des Lebens immer län­ger wird. Und was das Schrei­ben anbe­langt – nun, ich hatte eine Kind­heit ohne Fern­se­her, ohne Inter­net und mit viel freier Zeit. Also musste ich mich beschäf­ti­gen, und Geschich­ten zu schrei­ben war eines der Dinge, die ich irgend­wann pro­biert habe. Dabei muss irgend­et­was „ein­ge­hakt“ haben, sonst würde ich es nicht heute noch machen…

BK: Wor­aus schöp­fen Sie Ihre Inspi­ra­tion? Wie sind Sie bei­spiels­weise auf „Das Jesus Video“ gekom­men, wel­ches Ihnen den Durch­bruch verschaffte?

AE: Inspi­ra­tion schöp­fen – das klingt rich­tig anstren­gend! Tat­säch­lich muss ich über­haupt nichts tun; die Ideen zu mei­nen Roma­nen kom­men ganz von sel­ber, sie ver­fol­gen mich rich­tig­ge­hend. Die Arbeit beginnt erst, wenn ich anfange, die Romane tat­säch­lich zu schrei­ben. Was ich wie­derum tun muss, eben weil mir diese Ideen keine Ruhe lassen.

BK: In die­sem Okto­ber – 16 Jahre spä­ter – erscheint eine Fort­set­zung: „Der Jesus-Deal“. Kön­nen Sie uns ver­ra­ten, worum es in der Geschichte geht und warum Sie so lange mit der Ver­öf­fent­li­chung gewar­tet haben?

AE: Als das „Jesus-Video“ geschrie­ben war, habe ich nicht an eine Fort­set­zung gedacht. Aber vor eini­ger Zeit fiel mir ein, wie man eine zweite Geschichte so schrei­ben könnte, dass sich beide Romane völ­lig unab­hän­gig von­ein­an­der lesen las­sen und sich trotz­dem auf­ein­an­der bezie­hen – also jeder gewis­ser­ma­ßen die Fort­set­zung des ande­ren ist. Das war eine unwi­der­steh­li­che Idee, die ich so schnell wie irgend mög­lich umge­setzt habe. Was übri­gens, da Sie vor­hin danach gefragt haben, auch eine ziem­li­che Her­aus­for­de­rung war. Jeden­falls habe ich nicht mit der Ver­öf­fent­li­chung gewar­tet; die Idee kam mir ein­fach nicht früher.

BK: Wer­den Sie mit dem „Jesus-Deal“ auch auf große Lese­tour gehen oder gibt es bereits Pla­nun­gen für ein neues Buchprojekt?

AE: Ich werde im Herbst ins­ge­samt zwei Wochen auf Lese­reise sein. Und danach über­lege ich mir, was ich als nächs­tes schreibe.

BK: Zum Abschluss unsere BK-Spe­zial-Frage: Wenn Sie ein Buch wären, wel­ches wären Sie?

AE: Ein Notiz­buch. In Geheimschrift.

Die­ses Inter­view erschien erst­mals in der 14. Aus­gabe des Bücher­stadt Kuriers.
Foto: Mari­anne Eschbach

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