Ann Leckies intergalaktische Abrechnung mit Diskriminierung

by Bücherstadt Kurier

Buch­stap­le­rin Maike liebt Her­aus­for­de­run­gen bei der Lek­türe. Dies­mal hat sie sich an die bei­den SciFi-Romane „Die Maschi­nen“ und „Die Mis­sion“ von Ann Leckie gewagt, die bei Heyne erschie­nen sind. Eine Her­aus­for­de­rung des­halb, weil ein sprach­li­ches Expe­ri­ment gewagt wird, das gän­gige Mar­kie­run­gen von Geschlecht in Frage stellt. Lesens­wert, auch wenn der Plot dabei in den Hin­ter­grund rückt!

Die Maschinen von Ann Leckie

„Die Maschi­nen“: In der fer­nen Zukunft beherr­schen die Rad­chaai einen gro­ßen Teil des Welt­raums. Ihre Poli­tik heißt Erobe­rung. Wo ein Pla­net von Men­schen bevöl­kert ist, wird er annek­tiert und in die eigene Kul­tur über­führt. Mög­lich wird das durch die ein­drucks­volle Kriegs­ma­schi­ne­rie: Rie­sige Raum­schiffe wer­den betrie­ben von künst­li­chen Intel­li­gen­zen, die unzäh­li­gen ver­sklav­ten Kör­per fast über­all gleich­zei­tig agie­ren können.
So ein Schiff ist die Gerech­tig­keit der Tor­ren, zwei­tau­send Jahre alt, mit einer zu star­ken Bin­dung zu ihrer Leut­nan­tin, und auf dem letz­ten Ein­satz, bevor die Anne­xio­nen für immer ein Ende fin­den sol­len. Doch dann geschieht etwas, das die KI des Raum­schiffs in einem ein­zi­gen sterb­li­chen Kör­per bün­delt. Auf sich allein gestellt und mit immer mehr Zwei­fel am Sys­tem will die Gerech­tig­keit der Tor­ren (oder Breq, wie sie sich jetzt nennt) Rache, und damit nichts ande­res als die Ver­nich­tung der Herr­sche­rin der Radch.

„Die Mis­sion“ (ent­hält Spoi­ler für den ers­ten Teil): Als klar wird, dass die aus vie­len ver­netz­ten Klo­nen bestehen­den Her­rin der Radch in sich gespal­ten ist und sich selbst bekämpft – Erobe­run­gen fort­füh­ren oder Erobe­run­gen ein­stel­len? – droht der Bür­ger­krieg. Und nie­mand weiß, ob er auf der rich­ti­gen Seite steht, denn beide Sei­ten sind die­selbe Person.
Die refor­mis­ti­sche Vari­ante der Her­rin schafft es, Breq für eine Mis­sion ein­zu­span­nen. Als Kapi­tä­nin ihres eige­nen Kriegs­schiffs soll sie rund um einen Pla­ne­ten für Ord­nung sor­gen, den die reak­tio­näre Vari­ante der Her­rin von der Ver­sor­gung abge­schnit­ten hat. Doch das ist nicht das ein­zige Pro­blem: Der harte Kolo­nia­lis­mus auf dem Pla­ne­ten weckt Breqs Gerech­tig­keits­sinn, und als sie sich für die Rechte der Unter­drück­ten ein­setzt, zieht sie den Zorn der herr­schen­den Klasse auf sich. Denn sie stellt damit auch das Herr­schafts­bild der Rad­chaai in Frage.

Die Stärke der Reihe liegt darin, uns unsere Nor­men vor Augen zu führen

Der Plot, der sich im ers­ten Band der Tri­lo­gie auf­fä­chert, ist ein kom­pli­zier­tes Kon­strukt, das einige Ein­ge­wöh­nungs­zeit ver­langt. Die Geschichte ver­teilt sich auf zwei Hand­lungs­stränge, die zwan­zig Jahre aus­ein­an­der­lie­gen und einer­seits aus der Sicht des fast all­se­hen­den Raum­schiffs Gerech­tig­keit der Tor­ren, ande­rer­seits aus der Sicht der auf einen Kör­per redu­zier­ten KI erzählt wer­den. Das erweist sich als span­nen­des Spiel mit Erzähl­per­spek­ti­ven. Zudem ent­wirft Ann Leckie eine Aus­ein­an­der­set­zung mit Spra­che und Geschlecht, die den Plot so man­ches Mal zu über­schat­ten droht. Doch für mich ist das nicht unbe­dingt nega­tiv, denn sel­ten kon­fron­tiert ein Buch so mit unsicht­ba­ren Nor­men wie dieses.

Am auf­fäl­ligs­ten ist da natür­lich die Spra­che: Die Rad­chaai Die Mission von Ann Leckiemar­kie­ren in ihrer eige­nen Spra­che keine Geschlech­ter, und Leckie (sowie der deut­sche Über­set­zer) haben diese Kon­struk­tion für uns ins gene­ri­sche Femi­ni­num „über­setzt“. Das bedeu­tet, von allen Men­schen wird in der weib­li­chen Form gespro­chen, egal, wel­ches Geschlecht sie eigent­lich haben. Der Effekt beim Lesen ist enorm: Irri­ta­tion stellt sich ein, weil man sonst nur das gene­ri­sche Mas­ku­li­num gewohnt ist, wel­ches unter der männ­li­chen Form alle ande­ren Geschlech­ter „mit­meint“. Man beginnt außer­dem, viel mehr Figu­ren als Frauen wahr­zu­neh­men, bis schließ­lich der Punkt erreicht ist, die Spra­che des Romans zu akzep­tie­ren und zu ver­ste­hen, dass das Geschlecht für die Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten und Hand­lungs­wei­sen der Figu­ren kom­plett irrele­vant ist.

Doch damit ist Leckies Bemü­hen, die Leser*innen zu irri­tie­ren, nicht erschöpft. Die Stärke der Reihe liegt darin, uns auch andere Nor­men vor Augen zu füh­ren. In die­sem Uni­ver­sum sind etwa Wer­tung von Haut­far­ben und Ratio­na­li­tät „umge­dreht“. So stutzt man etwa kurz, wenn klar wird, dass in der Rad­chaai dunkle Haut­farbe ein Zei­chen von edler Her­kunft und hoher sozia­ler Stel­lung ist, oder dass Ratio­na­li­tät keine erstre­bens­werte Eigen­schaft ist. Und dann ist da noch das Klas­sen­den­ken der Rad­chaai, bei denen angeb­lich alle gleich­be­rech­tigt sind – ein Ver­gleich mit unse­rer heu­ti­gen Gesell­schaft erscheint ver­däch­tig erwünscht.

Wohl­do­sierte Action und per­fekt aus­ge­ar­bei­tete Protagonistin

Doch so anre­gend die Dis­kurse auch sind, die Leckie durch ihre Ich-Erzäh­le­rin Breq ver­han­delt, so leicht las­sen sie den eigent­li­chen Plot neben­säch­lich erschei­nen. Zudem zieht sich die­ser häu­fig unnö­tig in die Länge, sodass man sich so man­ches Mal fragt, wann denn end­lich mal etwas pas­siert. Denn in den bei­den ers­ten Bän­den der Tri­lo­gie folgt nicht etwa Action­szene auf Action­szene – viel­mehr liegt die Span­nung in den gesell­schaft­li­chen Kon­flik­ten, und auch Kampf­hand­lun­gen blei­ben wohl­do­siert und schwel­gen nicht in expli­zi­ten Gewaltdarstellung.
Was Leckie dafür her­vor­ra­gend gelingt, ist die Kon­struk­tion ihrer Prot­ago­nis­tin Breq. Ihre Iden­ti­tät als ver­selb­stän­digte künst­li­che Intel­li­genz eines Raum­schiffs, gefan­gen in einem mensch­li­chen Kör­per zwei­ter Klasse, ist der Aus­gangs­punkt für diverse Über­le­gun­gen, was Mensch­lich­keit und freier Wille sind. Eine KI als Ich-Erzäh­le­rin ein­zu­set­zen, ist zwei­fel­los erfri­schend, zumal dadurch unter­schied­li­che For­men von Nähe und Distanz erzeugt wer­den kön­nen, die Breq mit glaub­wür­di­gen Stär­ken und Schwä­chen aus­stat­ten. Dabei wirkt sie nie­mals kalt oder berech­nend, im Gegen­teil. Als KI, die emo­tio­nal und sozial ver­an­lagt ist, erlaubt Breq einen tie­fen Ein­blick in ihr Inne­res, das sie mensch­li­cher macht, als es auf den ers­ten Blick scheint.

Zwi­schen den Zei­len also eine kom­plex gestal­tete Abrech­nung mit vie­len Dis­kri­mi­nie­run­gen, die wir in unse­rer Gesell­schaft so man­ches Mal als Nor­men abtun. Ann Leckie macht es uns leicht, unsere Welt in ihrem Uni­ver­sum wie­der­zu­ent­de­cken, auch wenn das eine Grat­wan­de­rung zwi­schen Plot und Poli­tik bedeutet.

Die Maschi­nen (2015)Die Mis­sion (2016). Ann Leckie. Über­set­zung aus dem Ame­ri­ka­ni­schen Eng­lisch: Bern­hard Kem­pen. Heyne.

Weiterlesen

Leave a Comment

Diese Seite verwendet Cookies. Mit der Nutzung unserer Website erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. OK Erfahre mehr