Astrid Lindgren & die verrückte Menschheit

by Bücherstadt Kurier

Wäh­rend in wei­ten Tei­len Euro­pas und der gan­zen Welt der zweite Welt­krieg wütet, genießt Astrid Lind­gren mit ihrer jun­gen Fami­lie das behü­tete Leben im neu­tra­len Schwe­den. „Die Mensch­heit hat den Ver­stand ver­lo­ren“, schließt sie aus ihrer Beob­ach­ter­warte, und die­sen Namen trägt auch die deut­sche Ver­öf­fent­li­chung ihrer Kriegs­ta­ge­bü­cher. – Von Worte­we­be­rin Annika

Lindgren_Die Menschheit hat den Verstand verloren„Oh! Heute hat der Krieg begon­nen. Nie­mand konnte es glau­ben“, beginnt Lind­gren den ers­ten Ein­trag in ihr Kriegs­ta­ge­buch am 1. Sep­tem­ber 1939. Von die­sem Datum an fasst sie regel­mä­ßig das Kriegs­ge­sche­hen zusam­men, das sie mit zahl­rei­chen ein­ge­kleb­ten Zei­tungs­aus­schnit­ten doku­men­tiert. Da Astrid Lind­gren wäh­rend des Welt­kriegs in der gehei­men Brief­zen­sur des schwe­di­schen Nach­rich­ten­diens­tes arbei­tet, kommt sie mit zahl­rei­chen Bot­schaf­ten aus und nach Schwe­den in Kon­takt und erfährt so aus ers­ter Hand, was sich in den besetz­ten Län­dern zuträgt. Auch die­ses Wis­sen samt eini­ger abge­schrie­be­ner Briefe hält sie im Tage­buch fest.

Ihr Pri­vat­le­ben spielt hin­ge­gen eine Neben­rolle: Kurz berich­tet sie von Strei­te­reien mit den Kin­dern, einem Aus­flug ins Stock­hol­mer Umland oder vom Weih­nachts­es­sen. Nur als sie 1944 um ihre Ehe mit Sture fürch­ten muss, der sich in eine andere Frau ver­liebt hat, ändert sich das: „Blut fließt, Men­schen wer­den zu Krüp­peln, über­all Elend und Ver­zweif­lung. Und ich küm­mere mich nicht darum. Nur meine eige­nen Pro­bleme inter­es­sie­ren mich.“ Schließ­lich wird für sie auch das Schrei­ben immer wich­ti­ger: Nach den Ver­öf­fent­li­chun­gen von „Britt-Marie erleich­tert ihr Herz“ und „Pippi Lang­strumpf“ setzt Lind­gren zwar noch Anfüh­rungs­zei­chen um ihre lite­ra­ri­sche Lauf­bahn und das Wort Schrift­stel­le­rin, den­noch berich­tet sie mit gro­ßer Freude von ihren Geschich­ten und Erfolgen.

Für heu­tige junge Genera­tio­nen ist der zweite Welt­krieg ziem­lich weit weg. Man kennt ihn aus Erzäh­lun­gen der Groß­el­tern, aus dem Fern­se­hen und aus zahl­rei­chen Schul­stun­den, aber ganz vor­stel­len kann man sich die dama­lige Situa­tion trotz­dem nicht. Astrid Lind­grens Auf­zeich­nun­gen gewäh­ren einen Blick mit­ten ins Gesche­hen, wenn auch von einer sehr pri­vi­le­gier­ten Warte aus, denn in Schwe­den herrschte wäh­rend der Kriegs­jahre ver­gleichs­weise Wohl­stand. Von ihrem Beob­ach­tungs­punkt in Stock­holm kom­men­tiert Lind­gren das Kriegs­ge­sche­hen und erschau­dert vor so viel Gewalt und Grau­sam­keit. Das kann man beim Lesen der Ein­träge sofort nachvollziehen.
Die Zei­tungs­ar­ti­kel und Briefe sind als far­bige Abbil­dun­gen und in deut­scher Über­set­zung im Buch ent­hal­ten, außer­dem zei­gen einige pri­vate Fotos Astrid, teils mit Freun­den und Fami­lie. Dadurch wer­den die Tage­bü­cher zu einem Gesamt­kunst­werk abge­run­det, das zum Stö­bern einlädt.

Die Mensch­heit hat den Ver­stand ver­lo­ren – Tage­bü­cher 1939 – 1945. Astrid Lind­gren. Aus dem Schwe­di­schen von Ange­lika Kutsch und Gabriele Haefs. Ull­stein. 2015.

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