Auf Umwegen zum Alexanderplatz

by Bücherstadt Kurier

Alfred Döblins „Ber­lin Alex­an­der­platz“ ist einer der bekann­tes­ten deut­schen Klas­si­ker. 1929 erschien der Groß­stadt­ro­man, der im Unter­ti­tel „Die Geschichte vom Franz Biber­kopf“ heißt. Worte­we­be­rin Annika hat sich mit ins Gewim­mel der Metro­pole gestürzt und ver­sucht, wie­der herauszufinden.

Franz Biber­kopf wird zu Anfang des Romans aus dem Gefäng­nis Tegel ent­las­sen. Nun fin­det er sich auf dem Alex­an­der­platz wie­der, die Dächer schei­nen ihm von den Häu­sern zu rut­schen, wo also soll er hin? Eins weiß er jeden­falls, näm­lich, dass er von nun an anstän­dig blei­ben möchte. Dass ihm das nicht gelingt, erfährt man schon im Pro­log. Meh­rere Schick­sals­schläge machen ihm das Leben schwer, bald wird er wie­der kri­mi­nell und lässt sich auf die fal­schen Leute ein. Schließ­lich wird Franz ins Irren­haus ein­ge­lie­fert. Dort möchte er eigent­lich nur noch ster­ben, doch der Tod hat andere Pläne mit ihm und so steht Franz am Ende erneut auf dem Alex­an­der­platz. Dies­mal als geläu­ter­ter Franz Karl Biberkopf.

Berlin AlexanderplatzEine Geschichte der Großstadt

Zum Unter­ti­tel musste sich Döblin angeb­lich erst über­re­den las­sen, denn eigent­lich ging es ihm im Roman haupt­säch­lich um Ber­lin, die Groß­stadt, die er auf eine außer­ge­wöhn­li­che Weise schil­dert. „Ber­lin Alex­an­der­platz“ ist alles andere als ein seich­ter Unter­hal­tungs­ro­man. Es braucht schon eini­ges Durch­hal­te­ver­mö­gen, um Franz Biber­kopf auf den über 400 Sei­ten durch Ber­lin, der immer wie­der erwähn­ten „Hure Baby­lon“, zu fol­gen. Möch­ten die Leser dann auch noch ver­ste­hen, was sie eigent­lich gele­sen haben und was das bedeu­ten soll, müs­sen sie sich dop­pelt anstrengen.
Döblin ver­knüpft ver­schie­dene Leit­mo­tive, spielt mit sei­nem Erzäh­ler und eröff­net unter­schied­li­che Bedeu­tungs­ebe­nen, die nicht ein­fach zu durch­drin­gen sind. So schafft der Autor etli­che inter­tex­tu­elle Bezüge, bezieht sich auf Kin­der­lie­der, die Bibel, deut­sche Dra­men und grie­chi­sche Sagen. Typisch ist für „Ber­lin Alex­an­der­platz“ die Mon­ta­ge­tech­nik, also das aus dem Zusam­men­hang geris­sene Ein­brin­gen von Tei­len der Wirk­lich­keit in den Roman­text. So fin­den sich Zei­tungs­texte, Ver­ord­nun­gen, Stra­ßen­schil­der. Das alles zusam­men­ge­wür­felt ver­bin­det sich zu einem Bild der Groß­stadt Ber­lin, wie Döblin sie in der Wei­ma­rer Repu­blik erlebte.

Ein beson­de­rer Erzähler

„Ber­lin Alex­an­der­platz“ besteht aus neun Büchern, in die der Erzäh­ler jeweils durch einige Sätze ein­lei­tet. Im gesam­ten Roman taucht der Erzäh­ler als kom­men­tie­rende und deu­tende Instanz auf, die stän­dig von Franz‘ Gedan­ken, Beschrei­bun­gen der Groß­stadt oder mon­tier­ten Ele­men­ten abge­löst wird. Es ent­steht ein Geflecht aus Aus­sa­gen, die man kaum jeman­dem zuord­nen und aus­ein­an­der­hal­ten kann. Häu­fig kommt der Erzäh­ler von Franz‘ Weg durch Ber­lin ab, zieht eine Runde durch ein Mehr­fa­mi­li­en­haus am Alex­an­der­platz oder nutzt die Gele­gen­heit, um eine andere Geschichte zu erzäh­len, die auch, irgend­wie, mit Franz zu tun hat.

Erklä­rungs­ver­su­che

Döblin selbst erklärte 1932 zu sei­nem Roman, er sei aus dem Grund­ge­dan­ken ent­stan­den, dass die Welt „[...] eine Welt des Auf­baus und des Zer­falls zugleich“ sei, in der beide Pro­zesse nur zusam­men funk­tio­nie­ren könn­ten. Das ein­zu­se­hen scheint eine der Haupt­auf­ga­ben Biber­kopfs zu sein. Der aller­dings hält sich die Augen immer fes­ter zu, je böser ihm das Schick­sal mit­spielt, bis ganz am Ende Licht ins Dunkle kommt, als Biber­kopf dem Tod begeg­net. Hier scheint eine Par­al­lele zu Hiob gezo­gen zu wer­den, auf den immer wie­der im Roman Bezug genom­men wird. Der Schluss der Geschichte hin­ge­gen wirft einige die­ser Erkennt­nisse direkt wie­der über den Hau­fen und so blei­ben die Leser irri­tiert und rat­los zurück – ein Gefühl, das er nicht nur mit dem Prot­ago­nis­ten des Romans teilt, son­dern auch mit den Men­schen, die zur Zeit von „Ber­lin Alex­an­der­platz“ leb­ten. Mag sein, dass es das war, wor­auf Döblin abzielte.

Döblins Groß­stadt­ro­man ist einer, über den man viel nach­den­ken kann und muss, damit die Lek­türe Spaß macht. So viel ist in der Geschichte vom Franz Biber­kopf ver­steckt, dass es sich lohnt, genau hin­zu­se­hen. Ganz ver­ste­hen wird man den Roman wahr­schein­lich trotz­dem nicht.

Ber­lin Alex­an­der­platz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf.
Alfred Döblin. Fischer. 2013. Erst­ver­öf­fent­li­chung: 1929.

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