Bereuen, Sterben, Leben: Die Mitternachtsbibliothek #BKtastisch

by Zeilenschwimmerin Ronja

Matt Haig hat sich mit „Ich und die Men­schen“ unter Zei­len­schwim­me­rin Ron­jas Lieblingsautor*innen geschrie­ben. Auf sei­nen neuen Roman „Die Mit­ter­nachts­bi­blio­thek“ hat sie sich schon eine Weile gefreut – und wurde nicht enttäuscht.

Nora Seed hält es nicht mehr aus. Alles in ihrem Leben scheint zer­bro­chen. Sie will ster­ben, schluckt eine Über­do­sis Schlaf­ta­blet­ten … und erwacht in der Mit­ter­nachts­bi­blio­thek, einem Ort zwi­schen Leben und Tod. Unend­lich viele Bücher ste­hen in den Rega­len, jedes beinhal­tet ein alter­na­ti­ves Leben. Ein Leben, das Nora hätte leben kön­nen, wenn sie irgend­eine Ent­schei­dung anders getrof­fen hätte. Nun hat sie die Chance, diese Leben anzu­pro­bie­ren, doch ihr bleibt nicht viel Zeit.

Unglück­li­che Bezie­hun­gen, Reue, Krank­hei­ten, Depres­sion, Todes­fälle, Selbst­mord … Mit all die­sen emo­tio­na­len Schwer­ge­wich­ten ist „Die Mit­ter­nachts­bi­blio­thek“ kein leich­tes Buch. Alles zusam­men hätte mich beim Lesen eigent­lich nie­der­schmet­tern müs­sen. Doch Matt Haig hat eine so char­mante Art, über schwie­rige Dinge zu schrei­ben, mit dezen­tem Witz, der nie den Ernst der Lage ver­leug­net, und viel Fan­ta­sie. So wie ich ver­ein­zelt ein wenig blin­zeln musste, um die Trä­nen zurück­zu­drän­gen (mir ist bloß was ins Auge gekom­men!), so habe ich auch laut gelacht. Das Buch war an zwei Aben­den gele­sen. Am ers­ten hätte ich fast ver­ges­sen, ins Bett zu gehen – schwie­rig, wenn man am nächs­ten Mor­gen zur Arbeit muss.

„Aber sie hatte sich ein­sam gefühlt. Und obwohl sie lang genug Exis­tenz­phi­lo­so­phie stu­diert hatte, um zu glau­ben, dass Ein­sam­keit ein fun­da­men­ta­ler Teil der mensch­li­chen Exis­tenz in einem grund­sätz­lich sinn­lo­sen Uni­ver­sum ist, freute sie sich, ihn zu sehen.“ (S. 15)

Obwohl die Mit­ter­nachts­bi­blio­thek, die­ses Reich der Mög­lich­kei­ten zwi­schen Leben und Tod, pure Fan­ta­sie ist (oder zumin­dest hoch­spe­ku­la­tiv), so ist der Rest doch nah am Leben. Gibt es irgend­je­man­den auf die­ser Welt, der oder die keine ein­zige Ent­schei­dung bereut und sich nie­mals fragt, was gewe­sen wäre, wenn …? Nora fragt sich das stän­dig. Auch ich frage mich das viel zu oft. Und gerade momen­tan, wo viele von uns zu viel Zeit zum Grü­beln haben, kommt die­ses Buch für mich genau im rich­ti­gen Moment. Es beinhal­tet Bot­schaf­ten, die auch man­che soge­nannte „Life-Coa­ches“ zu ver­mit­teln behaup­ten. Bloß … bes­ser. Weni­ger aggres­siv. Unter­halt­sa­mer. Schö­ner. Sym­pa­thi­scher. Glaubwürdiger.

Natür­lich ist die­ser Roman auch stel­len­weise etwas kit­schig. Wie könnte er nicht, wo es doch darum geht, in ein Leben zurück­zu­fin­den? Aber es ist kein zum Erbre­chen erdrü­cken­der Kitsch. Es ist schö­ner Kitsch. Heil­sa­mer Kitsch. Und es braucht sich nie­mand vor einem hol­ly­woo­des­ken Happy-End zu fürch­ten. Der Rit­ter auf dem wei­ßen Pferd bleibt aus. Die Ret­tung fin­det sich woanders.

Die Mit­ter­nachts­bi­blio­thek. Matt Haig. Über­set­zung: Sabine Hüb­ner. Droemer. 2021.

Ein Bei­trag zum Spe­cial #BKtas­tisch. Hier fin­det ihr alle Beiträge.

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