Blick und Blickrichtung im Kino

by Wortklauberin Erika

Wort­klau­be­rin Erika über­legt anhand eines älte­ren Ansat­zes, wie Pro­jek­ti­ons­flä­chen auf dem „sil­ver screen“ funk­tio­nie­ren kön­nen und wie wich­tig die Blick­rich­tung dabei ist.

Damit ein „Ein­tau­chen“ in einen Film über­haupt funk­tio­nie­ren kann, müs­sen Pro­jek­ti­ons­flä­chen gege­ben sein, die eine Iden­ti­fi­zie­rung mit den Figu­ren ermög­li­chen. Jedes fil­mi­sche Erleb­nis ent­hält damit ver­schie­dene Blick­rich­tun­gen: den Blick der Kamera auf die Dar­stel­ler, den Blick der Figu­ren unter­ein­an­der, den Blick der Zuschauer auf die Figu­ren. Ein Dis­kus­si­ons­an­satz, der mit Laura Mul­vey in den 1980er Jah­ren auf­kam, betrach­tet diese drei Blick­rich­tun­gen feministisch-psychoanalytisch.

Schau­lust und Voyeurismus

Mul­vey ver­tritt die Ansicht, dass das Kino den Blick der Figu­ren unter­ein­an­der unter­streicht und die ande­ren bei­den For­men des Bli­ckes ver­deckt wer­den. Ihr zufolge ist der Blick im Kino eine sehr intime Hand­lung, bei der die unter­schwel­li­gen Iden­ti­fi­ka­ti­ons­pro­zesse der Zuschauer mit den Figu­ren im Film vor­ran­gig auf Män­ner aus­ge­legt seien. Die Frau im Film wird zu einem Objekt, das betrach­tet wird.

Hier tref­fen sich zwei psy­cho­ana­ly­ti­sche Ansätze, die kurz erklärt wer­den müs­sen. Mul­vey beruft sich auf Freud, bei dem die Schau­lust als voy­eu­ris­ti­sche Ten­denz des Men­schen wie ein Instinkt zu des­sen Sexua­li­tät gehört. Wenn man sich die Kino-Atmo­sphäre vor­stellt, gewinnt diese Vor­stel­lung auch einen gewis­sen Reiz: Ein dunk­ler Kino­saal, in dem jeder Zuschauer auf den „sil­ver screen“ blickt und Lust dar­aus gewinnt, sich in den Film zu ver­tie­fen. Die Lein­wand stellt das Fens­ter in die fremde Welt dar, die die Zuschauer unge­niert beob­ach­ten. Der Vor­stel­lungs­raum in einem Kino bie­tet einen Raum, in dem man ein Schau-Erleb­nis mit vie­len ande­ren Zuschaue­rin­nen und Zuschau­ern teilt und es zugleich iso­liert von den ande­ren erlebt.

Spie­gel und „Sil­ver Screen“

Der zweite psy­cho­ana­ly­ti­sche Ansatz, mit dem Mul­vey arbei­tet, und der die Ver­bin­dung zum femi­nis­ti­schen, gen­der-zen­trier­ten Blick, den sie in ihrer Argu­men­ta­tion ver­tritt, her­stellt, basiert auf Lacans Theo­rie des Spie­gel­sta­di­ums. Damit wird im Prin­zip der Moment bezeich­net, in dem ein Klein­kind in den Spie­gel blickt und sich selbst darin erkennt, also ein Moment der Bewusst­seins­bil­dung. Zugleich mit dem Erken­nen von sich selbst kon­stru­iert ein Mensch auch ein Ide­al­bild von sich, das mit dem rea­len Ich im Kon­flikt steht. Die­ses Ideal-Ich wird jedoch in der Pro­jek­ti­ons­flä­che des Spie­gels nar­ziss­tisch gesucht.

Die­sen nar­ziss­ti­schen Blick fin­det man nach Mul­vey auch auf dem „sil­ver screen“ wie­der. Das „Ein­tau­chen“ in den Film, das Leben der Schau­lust, wird erst durch Pro­jek­ti­ons­flä­chen in Form der ver­schie­de­nen Figu­ren mög­lich. Auch wenn Mul­vey über das Kino der 1930er bis ‑50er Jahre schreibt, bleibt das Mus­ter der Pro­jek­ti­ons­fi­gu­ren kon­stant. Es han­delt sich dabei zumeist um männ­li­che Prot­ago­nis­ten, die ein Ideal als Iden­ti­fi­ka­ti­ons­mus­ter für die Zuschaue­rin­nen und Zuschauer bie­ten. Dabei sei auch die Kame­ra­füh­rung – also der Blick der Kamera auf die Figu­ren – von die­sem domi­nan­ten Iden­ti­fi­ka­ti­ons­pro­zess gelei­tet. Die weib­li­chen Prot­ago­nis­tin­nen wür­den dadurch zu Objek­ten der Schau­lust, Frauen im Zuschau­er­raum vom Erleb­nis des Schau­ens aus­ge­schlos­sen, weil Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gu­ren für sie im Spe­zi­el­len fehlen.

Eine Frage der Blickrichtung

Mul­veys Theo­rie des „männ­li­chen Blicks“ (male gaze) im Kino war sehr bedeu­tend für femi­nis­ti­sche Ansätze im Bereich der Film­wis­sen­schaft, doch gibt es einige Schwach­stel­len darin. So ist es etwa unklar, wel­che Kon­se­quen­zen es hat, wenn Zuschaue­rin­nen sich mit die­sen männ­lich gepräg­ten Pro­jek­ti­ons­flä­chen iden­ti­fi­zie­ren. Auch wird der Blick, den die Zuschauer wäh­rend der Vor­stel­lung auf­ein­an­der wer­fen, aus­ge­klam­mert. Sie geht auch nicht dar­auf ein, wel­che Bedeu­tung der Inhalt eines Films auf die Schau­lust hat. Auf­grund die­ser und noch wei­te­rer Schwä­chen in der Theo­rie wird die­ser Ansatz inzwi­schen kri­tisch gesehen.

Die Frage, ob eine männ­li­che Per­spek­ti­vie­rung im Kino domi­niert, wird immer wie­der aufs Neue dis­ku­tiert. Dabei gaben etwa auch die unna­tür­li­chen Posen weib­li­cher Cha­rak­tere auf den Pos­tern für „Aven­gers 2: Age of Ultron“ oder die hete­ro­nor­ma­tive Aus­rich­tung von vie­len Dis­ney-Fil­men einen Anlass zur Debatte. Von gro­ßer Bedeu­tung ist dabei der Bestand der Bei­spiele und vor allem die Blick­rich­tung. Es hängt sehr stark vom Genre und den darin gän­gi­gen Kon­ven­tio­nen ab, mit wel­cher Form von Held oder Hel­din man kon­fron­tiert wird. Die „Harry Potter“-Reihe bie­tet etwa Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gu­ren für beide Geschlech­ter an. Dis­ney zeigt seit „Die Schöne und das Biest“ starke, bele­sene, gewitzte Dis­ney-Prin­zes­sin­nen. Die neuen Ergän­zun­gen zur „Star Wars“-Reihe bie­ten mit Rey durch­aus auch einen akti­ven weib­li­chen Part.

Jen­seits der Konventionen?

Man kann in jedem der genann­ten Bei­spiele auch eine kon­träre Per­spek­tive fin­den – etwa, dass die star­ken Dis­ney-Prin­zes­sin­nen bis „Vaiana“ eigent­lich immer mit Prin­zen zusam­men­kom­men, dass die star­ken, weib­li­chen Figu­ren wie Bond Girls am Ende oft ster­ben oder andere Kon­ven­tio­nen erhal­ten blei­ben, die eigent­lich über­holt sein sollten.

Dabei zu beden­ken bleibt jedoch die Frage, ob die Kon­ven­tio­nen nicht auch als Teil des Gen­res bis zu einem gewis­sen Maße not­wen­dig sind, um den Film als Kon­zept auf­recht­zu­er­hal­ten. Als Kino-Affi­cio­nado rich­tet man die eigene Aus­wahl und Vor­lie­ben nach gewis­sen Genre-Kon­ven­tio­nen aus, die sich auch im Film­pla­kat und im Mar­ke­ting rund um einen Film wider­spie­geln. Inner­halb die­ser Kon­ven­tio­nen sind jedoch durch­aus klei­nere Modi­fi­ka­tio­nen zuläs­sig, die mit dem Genre spie­len. Man muss jedoch häu­fig erst auf Kon­ven­tio­nen hin­ge­wie­sen wer­den, um diese zu erken­nen. Auf­sätze wie Laura Mul­veys, die auf ver­meint­lich Unhin­ter­frag­tes hin­wei­sen und es hin­ter­fra­gen, sind des­halb sehr wich­tig. Sie öff­nen einen Raum zur Dis­kus­sion die­ser ver­meint­lich „nor­ma­len“ Dinge.

Lite­ra­tur:
Laura Mul­vey: Visual Plea­sure and Nar­ra­tive Cinema. In: Bill Nichols (Hg.): Movies and Methods. Ber­ke­ley und Los Ange­les: Uni­ver­sity of Cali­for­nia Press, 1985. // Dt.: Visu­elle Lust und nar­ra­ti­ves Kino. In: Liliane Weiss­berg (Hg.): Weib­lich­keit als Mas­ke­rade. Frank­furt am Main: Fischer, 1994, S. 48–65.

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