Boyhood

by Zeichensetzerin Alexa

...ein beson­de­rer Film, so rea­li­täts­nah und authen­tisch, dass man sich so man­ches Mal darin wiedererkennt. 

12 Jahre eines Lebens

Mit „Boy­hood“ setzt Regis­seur Richard Lin­kla­ter einen fil­mi­schen Mei­len­stein, heißt es. Doch warum ist die­ser Film so beson­ders? Zei­chen­set­ze­rin Alexa hat ihn für euch unter die Lupe genommen.

Das Pro­jekt „Boy­hood“ ent­stand im Jahre 2002 mit der Idee Lin­kla­ters, einen sechs­jäh­ri­gen Jun­gen über 12 Jahre, bis zum Ein­tritt ins Col­lege, zu beglei­ten und sein Leben auf­zu­zei­gen. Die Beset­zung ist über die Jahre hin­weg die glei­che, sodass man die Ver­än­de­rung der Schau­spie­ler im Laufe des Films beob­ach­ten kann. Der kleine Mason (Ellar Col­trane) reift zu einem jun­gen Mann heran, Schwes­ter Saman­tha (Lore­lei Lin­kla­ter) zu einer jun­gen Frau, und auch Mut­ter Oli­via (Patri­cia Arquette) wird älter und bekommt Fält­chen im Gesicht.
Man sieht den Wan­del, die Spu­ren, die die Jahre hin­ter­las­sen, sowohl kör­per­lich als auch geis­tig. Gedan­ken wer­den geäu­ßert, die einen in den ver­schie­de­nen Lebens­ab­schnit­ten beschäf­ti­gen. Als Kind fragt sich Mason: Gibt es Magie über­haupt? Gibt es Elfen? Er beharrt so sehr auf der Ver­mu­tung, es gäbe keine Magie, dass sein Vater (Ethan Hawke) schließ­lich nach­gibt und zugibt: Nein, es gibt keine Magie. Mit die­ser Szene endet auch die magi­sche Phase die­ses Jun­gen, er beginnt fortan logisch zu denken.

Als Jugend­li­cher ver­sucht er cool zu sein und sich den­noch von ande­ren zu unter­schei­den. Dabei merkt er gar nicht, dass er stets von sei­nen Mit­men­schen beein­flusst wird, dass so etwas wie Grup­pen­zwang auch ihn tref­fen kann. Nun inter­es­siert er sich für Mäd­chen, erlebt die erste große Liebe und die damit ver­bun­dene erste große Ent­täu­schung. Auch seine große Lei­den­schaft, das Foto­gra­fie­ren, ent­deckt er in die­ser Phase sei­nes Lebens.
Als jun­ger Erwach­se­ner lässt Mason sich nicht mehr täu­schen. Er beginnt alles um sich herum zu hin­ter­fra­gen. Was soll das eigent­lich mit Face­book? Warum geben die Men­schen so viel von sich preis, wenn sie doch von der Mas­sen­über­wa­chung wis­sen? Die Welt um ihn herum erscheint ihm düs­ter, seine Ver­schwö­rungs­theo­rien machen ihn zu einem betrüb­ten Men­schen. Nach der Tren­nung von sei­ner Freun­din gibt diese zu, sie fühle sich nun erleich­tert, nicht mehr in der Nähe eines so trüb­se­li­gen Men­schen sein zu müssen.

Gedan­ken, Gefühle und die damit ein­her­ge­hen­den Hand­lun­gen beherr­schen den Film, aber auf eine ganz eigene Weise: man muss als Zuschauer inter­pre­tie­ren, mit­den­ken, schluss­fol­gern. Denn nicht immer wer­den Gefühle tat­säch­lich geäu­ßert, man erkennt sie höchs­tens an der Mimik und Ges­tik der Prot­ago­nis­ten. Es gibt Sze­nen, in denen Mason als Beob­ach­ter gefilmt wird. Man sieht, was er sieht, und im nächs­ten Augen­blick wird sein Gesichts­aus­druck gezeigt. Als Zuschauer merkt man auf diese Weise, wie es in sei­nem Kopf gerade arbei­tet und doch kann man nur inter­pre­tie­ren, sich aus­ma­len, dass ihm die Situa­tion, die er erlebt, nicht gefällt. Kom­men­tiert wird in sol­chen Sze­nen sei­tens der Prot­ago­nis­ten nichts, wie wohl im rich­ti­gen Leben, wenn man schlicht und ein­fach nicht weiß, was man dazu sagen soll. Einen Hin­ter­grund­er­zäh­ler gibt es nicht.

Die Ver­mu­tun­gen, die man sich dabei auf­stellt, wer­den oft­mals durch die nächs­ten Sze­nen bestä­tigt: nicht umsonst beob­ach­tet Mason den Pro­fes­sor sei­ner Mut­ter mit Skep­sis – bald schon wer­den sie zu einem Paar, hei­ra­ten, zie­hen zusam­men. Es ent­steht eine Patch­work-Fami­lie, bestehend aus vier Kin­dern und einem Ehe­paar, und eine Zeit lang scheint alles wie Friede-Freude-Eier­ku­chen, bis der Stief­va­ter beginnt zu trin­ken und die Mut­ter zu schla­gen. Diese ergreift gleich die nächste Gele­gen­heit zur Flucht und zieht mit ihren Kin­dern nun zum zwei­ten Male weg. Es ist wohl einer der schwie­rigs­ten Lebens­ab­schnitte Masons, denn mit dem Umzug ver­liert er nicht nur all seine Sachen, die er zurück­las­sen musste, son­dern auch gleich zwei Stief­ge­schwis­ter, die ihm über die Jahre ans Herz gewach­sen sind.

Die Män­ner­ge­schich­ten der Mut­ter haben damit aber noch kein Ende. Auch der nächste Mann ist ein Rein­fall, sodass eine Tren­nung vor­aus­seh­bar ist. Die Kin­der müs­sen sich dabei immer wie­der neu umstel­len, sich an neue Lebens­si­tua­tio­nen gewöh­nen und anpas­sen. Und dann ist da noch ihr leib­li­cher Vater, den sie in regel­mä­ßi­gen Abstän­den sehen, mit dem sie rich­tig reden und span­nende Dinge machen kön­nen, wie Cam­pen und Sport treiben.
Die allein­er­zie­hende Mut­ter ist oft­mals über­for­dert. Sie ver­sucht, Kin­der, Stu­dium und Job unter einen Hut zu bekom­men, was sicher­lich ein Grund ist, wes­halb sie Unter­stüt­zung von Män­nern sucht. Auch wenn ihre Pläne, eine „rich­tige“ Fami­lie auf­zu­bauen, schei­tern, hat sie den leib­li­chen Vater ihrer Kin­der zur Seite und kann sich auf diese Weise durchs Leben kämp­fen. Rich­ti­gen Tren­nungs­schmerz erfährt sie jedoch, als beide Kin­der aus­zie­hen und sie alleine zurück­bleibt. In die­ser Szene fällt sie in eine Krise, glaubt, der nächste Mei­len­stein sei wohl der Tod, was ihr den Kom­men­tar von Mason ein­bringt, sie hätte wohl mal eben 40 Jahre übersprungen.

Der Film ist, trotz der dar­ge­stell­ten schwie­ri­gen Situa­tio­nen, ein ruhi­ger Film. Kein Hol­ly­wood-Mär­chen vol­ler Action und Tra­gö­die, ergrei­fen­der Hin­ter­grund­mu­sik und unrea­lis­ti­scher Wen­dun­gen. Er zeigt das Leben eines Jun­gen so rea­li­täts­nah, dass man glaubt, es hätte zum Teil auch das eigene Leben sein kön­nen. Aus­schlag­ge­bend hier­für sind vor allem die Dinge, die man in den letz­ten 12 Jah­ren auf irgend­eine Weise selbst erlebt hat: Ani­mes wie Dra­gon Ball, Harry Pot­ter (und die Öff­nung der Buch­hand­lun­gen um Mit­ter­nacht bei Erschei­nung des neus­ten Buches!), Game Boy und andere Spie­le­kon­so­len, der Hype um Twi­light, Brit­ney Spears‘ „Oops! I dit it again“ (und die Tanz­be­we­gun­gen, die Schwes­ter Saman­tha dazu macht), die Mode (Schlag­ho­sen, Röh­ren­jeans, Tops, Pla­teau­schuhe etc.), der Wir­bel um die NSA, Face­book und andere Social Media. Der Film zeigt nicht nur die Ent­wick­lung eines Jun­gen und sei­ner Fami­lie, son­dern auch die Ent­wick­lung der Gesell­schaft. Wäh­rend die Eltern mei­nen, Jungs müss­ten sich doch eher für Sport inter­es­sie­ren als Mäd­chen, zei­gen Mason und seine Schwes­ter, dass es in ihrer Genera­tion auch genau anders­herum sein kann.

Was also ist „Boy­hood“? Ganz sicher ein beson­de­rer Film, so rea­li­täts­nah und authen­tisch, dass man sich so man­ches Mal darin wie­der­erkennt. Ein Film, der zeigt, wie das Leben wirk­lich ist und man nicht „mal eben einen Cut“ machen kann, weil es unun­ter­bro­chen wei­ter­läuft. Ein Film, bei dem man den Lauf der Dinge nicht vor­aus­se­hen kann, bei dem die Prot­ago­nis­ten „impro­vi­sie­ren“ müs­sen, mit der Zeit mit­ge­hen, Ver­än­de­run­gen akzep­tie­ren und das Beste dar­aus machen. „Es ist wie es ist“ wäre dabei wohl das pas­sende Motto, genau wie im rich­ti­gen Leben.

Film-Sound­track (erscheint Anfang Juli):

1. Sum­mer Noon – Jeff Tweedy
2. Yel­low – Coldplay
3. Hate To Say I Told You So – The Hives
4. Could We – Cat Power
5. Do You Rea­lize?? – The Fla­ming Lips
6. Crazy – Gnarls Barkley
7. One (Blake’ s Got A New Face) – Vam­pire Weekend
8. Hate It Here – Wilco
9. Good Girls Go Bad (Feat. Leighton Mees­ter) – Cobra Starship
10. Bey­ond The Hori­zon – Bob Dylan
11. Band On The Run – Paul Mccart­ney & Wings
12. She’ s Long Gone – The Black Keys
13. Some­body That I Used To Know (Feat. Kim­bra) – Gotye
14. I’ ll Be Around – Yo La Tengo
15. Hero – Family Of The Year
16. Deep Blue – Arcade Fire

Dar­stel­ler: Ellar Col­trane, Patri­cia Arquette, Lore­lei Lin­kla­ter, Ethan Hawke
Regis­seur: Richard Linklater
FSK: Frei­ge­ge­ben ohne Altersbeschränkung
Stu­dio: Uni­ver­sal Pic­tures Ger­many GmbH
Erschei­nungs­ter­min (DVD): 30. Dezem­ber 2014
Pro­duk­ti­ons­jahr: 2014
Spiel­dauer: 164 Minuten

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