Bücher für die Insel

by Worteweberin Annika

Som­mer­zeit ist Rei­se­zeit – und Lese­zeit! Worte­we­be­rin Annika hat drei lite­ra­ri­sche Rei­sen unter­nom­men und stellt Romane vor, in denen es (auch) um das Rei­sen geht. Kommt ihr mit?

Sta­tion eins: die Auenlandschaft

Jana Volk­manns Roman „Auwald“ erzählt sprach­ge­wandt von der Tisch­le­rin Judith, die zu einer Fluss­kreuz­fahrt nach Bra­tis­lava auf­bricht, aber nie wirk­lich zurück­kehrt. Schon immer konnte Judith gut neu anfan­gen, Altes los­las­sen. Als in Bra­tis­lava ihr Ruck­sack mit der Rück­fahr­karte nach Wien gestoh­len wird, ist sie eher neu­gie­rig als erbost. Zu Fuß bricht sie auf in die Auen­land­schaft, hält Aus­schau nach dem Schiff, auf dem sie eigent­lich hätte fah­ren sol­len, um zu ihrer Freun­din Lin und ihrer Arbeit zurück­zu­keh­ren. In den Auen lässt sie ihr Wie­ner Leben und ihren Namen zurück.

Jana Volk­manns Roman besteht aus zwei Tei­len. Ins­be­son­dere der erste hat mir gut gefal­len. Darin ler­nen wir Judith und ihre Ver­gan­gen­heit ken­nen, ihren Drang, Bin­dun­gen zu kap­pen und ihre Ein­sam­keit. Der zweite Teil zeigt Judiths Rück­weg durch die Auen­land­schaft nach Wien, eben­falls gut erzählt, doch für mei­nen Geschmack hätte die darin beschrie­bene Los­lö­sung vom Namen sub­ti­ler gezeigt wer­den kön­nen. Trotz­dem ist Jana Volk­manns Roman, der mit dem För­der­preis zum Bre­mer Lite­ra­tur­preis 2021 aus­ge­zeich­net wurde, ein schö­nes Stück Literatur.

Sta­tion zwei: Neapel

„Meine geniale Freun­din“ ist nicht haupt­säch­lich ein Roman über eine Reise, aber eine Reise hat mich an die­sem Roman am meis­ten beein­druckt. Es ist schon eine kleine Weile her, da war alle Welt im Fer­rante-Fie­ber. Ich habe erst kürz­lich den ers­ten Teil der Nea­po­li­ta­ni­schen Saga in einem Bücher­schrank ent­deckt und damit meine erste Fer­rante gele­sen. Mit die­sem Buch bin ich also nach Nea­pel gereist und meine Erwar­tun­gen waren natür­lich groß.

„Meine geniale Freun­din“ erzählt von den Jugend­jah­ren der Mäd­chen Lila und Elena, die im Stadt­vier­tel Rione in Nea­pel auf­wach­sen. Gewalt, harte Arbeit, raue Sprü­che und eine klare Rol­len­ver­tei­lung prä­gen das Leben dort. Doch Lila und Elena sind klug und schei­nen nicht ganz in diese Welt zu pas­sen. Elena lernt flei­ßig, wäh­rend ihre eigent­lich geniale Freun­din Lila in die Fami­li­en­schus­te­rei ein­steigt und die Män­ner­her­zen im Vier­tel erobert. Elena schil­dert viele Jahre spä­ter, nach Lilas Ver­schwin­den, die ers­ten Jahre die­ser Freund­schaft, den Wunsch nach Bil­dung, die Sehn­sucht nach Liebe und die ver­schie­de­nen Kon­flikte zwi­schen den Fami­lien im Viertel.

Das wirkte auf mich auf den ers­ten 200 Sei­ten ziem­lich belang­los und lang­at­mig – immer wie­der habe ich über­legt, das Buch bei­sei­te­zu­le­gen oder am bes­ten gleich zurück in den Bücher­schrank zu stel­len. Doch dann hat mich der Ehr­geiz gepackt und ich habe durch­ge­hal­ten. Wurde ich belohnt? Irgend­wie schon. Nach einer Weile hat mich die Geschichte die­ser Mäd­chen inter­es­siert, ich habe die bild­li­chen Dar­stel­lun­gen des Vier­tels genos­sen und mit­ge­fie­bert. Ins­be­son­dere Ele­nas Som­mer­ur­laub auf der Insel Ischia, das erste Mal am Strand und weg von ihrer Fami­lie, wird mir in Erin­ne­rung blei­ben. Aller­dings hat mich „Meine geniale Freun­din“ dann doch nicht so sehr begeis­tert, dass ich direkt auch die ande­ren Bände lesen werde – trotz Cliff­han­ger am Ende. Aber viel­leicht irgend­wann später?

Sta­tion drei: die Insel B. in Frankreich

Sophie van der Lin­dens Roman „Eine Nacht, ein Leben“ habe ich eher zufäl­lig ent­deckt und dann nach einer Lese­flaute fast in einem Rutsch weg gele­sen (gut, er hat auch nur knapp 100 Sei­ten, aber den­noch!). Wir beglei­ten darin Henri, der im Jahr 1914 für eine Som­mer­nacht zur Insel B. reist. Dort will er Youna fra­gen, warum sie seine Briefe nicht mehr beant­wor­tet, ob zwi­schen ihnen wirk­lich alles vor­bei ist. Auf der Insel kos­tet Henri den Geschmack der Frei­heit, streift durch die Natur und macht erstaun­li­che Begegnungen.

„Getrie­ben vom Rücken­wind glitt das Boot träge durch die sanf­ten, gedämpf­ten Far­ben. Blau ist, im Gegen­satz zu Grün, nicht greif­bar. Ich kann ein Blatt vom Baum zup­fen, einen Gras­halm pflü­cken, sie in mei­ner hoh­len Hand zer­drü­cken, meine Fin­ger mit ihrem Saft ein­fär­ben. Doch das Blau des Him­mels oder das des Mee­res ent­zie­hen sich einem stets.“ (S. 10)

Sophie van der Lin­den schil­dert die Natur und die Emo­tio­nen, die sie in Henri aus­löst, ein­dring­lich, wenn auch (zumin­dest in der Über­set­zung von Vale­rie Schnei­der) teils pathe­tisch. Trotz­dem hatte ich das Gefühl, mit über die Insel zu wan­dern und Hen­ris Gedan­ken und Gefühle zu tei­len. „Eine Nacht, ein Leben“ ist ein schö­ner Som­mer­ro­man, kurz und entschleunigt.

  • Auwald. Jana Volk­mann. Ver­bre­cher Ver­lag. 2020.
  • Meine geniale Freun­din. Elena Fer­rante. Aus dem Ita­lie­ni­schen von Karin Krie­ger. Suhr­kamp. 2016.
  • Eine Nacht, ein Leben. Sophie van der Lin­den. Aus dem Fran­zö­si­schen von Vale­rie Schnei­der. Mare. 2018.

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