BUY LOCAL – Erlebe deine Stadt e.V. im Interview #BKUmwelt

by Worteweberin Annika

„Las­sen Sie uns daran mit­wir­ken, dass die Stadt­kerne plu­ra­lis­ti­sche Orte blei­ben, von denen man auch in hun­dert Jah­ren noch Geschich­ten liest. Geschich­ten, die mehr erzäh­len, als von hys­te­ri­schen Black-Friday-Shoppern.“

Als Geschäfts­füh­rer von BUY LOCAL tritt Den­nis Glad­ner (rechts) gemein­sam mit dem Initia­tor Michael Riet­mül­ler (links) und vie­len ande­ren für bunte Innen­städte ein. Im Inter­view hat er Worte­we­be­rin Annika ver­ra­ten, was Städte so beson­ders macht, warum man seine Bücher nicht bei Ama­zon bestel­len sollte und warum der Buch­han­del auch etwas mit der Umwelt zu tun hat.

BK: Wie kam es zur Idee, BUY LOCAL nach Deutsch­land zu holen?

Den­nis Glad­ner: In den USA gibt es das BUY LOCAL-Move­ment schon einige Jahre län­ger als in Deutsch­land. Die Begrün­dung liegt vor allem in der schmerz­haf­ten Erfah­rung, dass die Innen­städte dort ver­öde­ten und zuneh­mend brach lagen. Dadurch wurde offen­bar, wel­che Wir­kun­gen und Aus­wir­kun­gen ein funk­tio­nie­ren­der, in dem Fall nicht funk­tio­nie­ren­der, Ein­zel­han­del auf die Genese einer Stadt hat. Und um diese posi­ti­ven Aus­wir­kun­gen geht es auch vie­len enga­gier­ten Händler*innen in Deutsch­land. Wenn man nicht mehr weiß, ob man sich gerade in der Innen­stadt Essens oder Erfurts befin­det, dann ist es an der Zeit, sich auf urei­gene Stär­ken zu besin­nen und die Städte mit Leben und Indi­vi­dua­li­tät zu fül­len. Aus dem Grund hol­ten 2012 die Grün­dungs­mit­glie­der BUY LOCALs die Idee der Image­kam­pa­gne für eine lebens­werte Stadt nach Deutschland.

BK: Und wieso fing das Pro­jekt gerade im Buch­han­del an?

DG: Diese Frage lässt sich rela­tiv leicht beant­wor­ten. Die Idee zum Ver­ein BUY LOCAL hatte Michael Rieth­mül­ler, Inha­ber von Ravens­Buch in Ravens­burg. Da er in der Buch­han­dels­bran­che sehr gut ver­netzt ist, fand er hier schnell viele Mitstreiter*innen. Dar­un­ter zum Bei­spiel Jan Orthey (Lüne­buch) aus Lüne­burg oder Doro­thee Junck (Buch­la­den Neus­ser Straße) aus Köln. Zudem wurde die Buch­han­dels­bran­che schon sehr schnell vor große Her­aus­for­de­run­gen durch Ama­zon gestellt. Ent­spre­chend war hier das Bewusst­sein für die Not­wen­dig­keit der Bot­schaft von BUY LOCAL schon vorhanden.

In der Tex­til­bran­che hieß es dage­gen lange, dass sich Ama­zon & Co nicht durch­set­zen wer­den, da Beklei­dung immer vor Ort ange­fasst und anpro­biert wer­den müsse. Dass diese Rech­nung nicht ganz auf­ging, das wis­sen wir jetzt alle.

BK: Mal ganz naiv gefragt: Wo ist denn das Pro­blem, wenn ich meine Buch­be­stel­lung bei Ama­zon mache? Oder bei der Filiale einer gro­ßen Buchhandlungskette?

DG: Das Pro­blem beginnt mit der Frage: Wie will ich leben? Der reine Onliner weist mono­po­lis­ti­sche Ten­den­zen auf. Das ist in einer freien Markt­wirt­schaft legi­tim. Schaut man sich aber den Onliner und seine Geschäfts­zweige an, fällt auf, wie beängs­ti­gend die Markt­macht ist und zu wel­chen Sze­na­rien dies füh­ren kann. Bei­spiels­weise folgt aus der Bestre­bung her­aus eine Homo­ge­ni­sie­rung des Ange­bots, was wie­derum gerade auf dem Buch­markt zu dem Phä­no­men führt, dass die gut ver­käuf­li­chen Bücher deut­lich mehr ange­bo­ten und wahr­ge­nom­men wer­den. Gerade in der Lite­ra­tur kommt es aber auch auf andere Aspekte und auf eine Viel­falt des Ange­bots an. Dane­ben nei­gen reine Onliner dazu, Steu­er­ver­mei­dungs­prak­ti­ken anzu­wen­den, sodass von hohen Umsät­zen – und selbst auf hohe Gewinne – kaum Steu­ern anfal­len; dies macht sich bemerk­bar im gesell­schaft­li­chen Zusam­men­le­ben. Die Infra­struk­tur, die durch staat­li­che Mit­tel finan­ziert wird, nimmt man in Anspruch, ohne selbst etwas dazu bei­zu­tra­gen. Auch in puncto Arbeits­be­din­gun­gen unter­stützt man mit der Bestel­lung beim Onliner Prak­ti­ken, die man so aus Zei­ten der Indus­tria­li­sie­rung kennt, die aber in Zei­ten von Gewerk­schafts­ver­tre­tun­gen der Ver­gan­gen­heit ange­hö­ren sollten.

Bei den gro­ßen Buch­hand­lungs­ket­ten sieht es ein wenig anders aus. Aus unse­rer Sicht führt die Filia­li­sie­rung eben­falls zu einem homo­ge­nen, mas­sen­kom­pa­ti­blen Ange­bot. Außer­dem sind es die klei­nen indi­vi­du­el­len Geschäfte und deren Inhaber*innen, die eine Innen­stadt char­mant und ein­zig­ar­tig machen. Die immer­glei­chen Ket­ten füh­ren dazu, dass Städte ihren Cha­rak­ter ver­lie­ren und uns triste Kon­summei­len besche­ren. Auch hier muss jede und jeder für sich ent­schei­den, wie ihre oder seine Stadt in Zukunft aus­se­hen soll; das haben wir alle jeden Tag in der Hand.

BK: Wie kann man Kun­den denn wie­der an den loka­len Ein­zel­han­del heranführen?

DG: Abso­lute Ser­vice­ori­en­tie­rung! Der Kauf im Geschäft muss mit einem Erleb­nis ver­knüpft sein. Das Erleb­nis kann ein Espresso zum Emp­fang sein oder ein Pro­dukt, das man nicht suchte, aber das unver­hofft ins Blick­feld gerät. Die Geschäfte vor Ort müs­sen sehr gut kura­tiert sein und trotz­dem Luft für die indi­vi­du­el­len Wün­sche der Kund*innen las­sen. Zudem ist es wich­tig, dass man auf allen zur Ver­fü­gung ste­hen­den Kanä­len kom­mu­ni­ziert, anbie­tet und bei Fra­gen zur Ver­fü­gung steht.

BK: Hat meine Kauf­ent­schei­dung auch Ein­fluss auf die Umwelt?

DG: Natür­lich ist der Kauf vor Ort, ob online oder off­line, auch umwelt­freund­li­cher, da weite Trans­port­wege redu­ziert wer­den. Außer­dem wirt­schaf­ten Händler*innen in und für ihre Region, wes­halb viele Unternehmer*innen vor Ort enga­giert sind, wenn es um Begrü­nun­gen der Innen­städte und ähn­li­ches geht.

BK: Was bedeu­tet es kon­kret für eine Buch­hand­lung, Mit­glied von BUY LOCAL zu sein?

DG: BUY LOCAL bie­tet Argu­mente, Vor­la­gen, Nut­zung der Wort- und Bild­marke und Ideen an, die Mit­glieds­un­ter­neh­men nut­zen kön­nen. BUY LOCAL muss aber in ers­ter Linie aktiv gelebt wer­den. Es hat kei­nen Sinn, wenn das Logo nur auf die Türe geklebt wird. Dann wird sich wenig ändern. Wenn man aber den Gedan­ken aktiv lebt, auf unsere Erfah­run­gen zurück­greift und BUY LOCAL in die eigene Kom­mu­ni­ka­tion ein­bin­det, dann wirkt BUY LOCAL. BUY LOCAL ist, was man dar­aus macht. Der Ver­ein ist sehr agil und viele Ideen kön­nen gebün­delt und aus­pro­biert werden.

BK: Und wie erreicht man es, die bun­ten Innen­städte am Leben zu halten?

DG: Die Frage lässt sich nicht pau­schal und auch nicht in wenige Sät­zen beant­wor­ten. Sicher ist nur eins: Alleine geht es nicht. Es müs­sen Händler*innen, Gas­tro­no­men, die Stadt­ver­wal­tung, Ver­kehrs­be­triebe etc. zusam­men­ar­bei­ten. Wich­tig ist auch, dass man sich von Kon­kur­renz­den­ken ver­ab­schie­det. Wenn es der Stadt ins­ge­samt gut geht, dann geht es auch meis­tens den Buchhändler*innen gut. Man muss vom Ein­zel- zum Gemein­schafts­händ­ler werden.

BK: Arbei­ten Sie da auch mit der Poli­tik zusammen?

DG: Ja, natür­lich. Dies ist ganz unter­schied­lich. Wir ver­su­chen bun­des­weit Ein­fluss zu neh­men. Einer­seits durch gezielt Gesprä­che mit Politiker*innen und ande­rer­seits mit Lob­by­ar­beit. Der­zeit grei­fen wir bei­spiels­weise das Thema auf, dass kos­ten­freie Lie­fe­run­gen nach sozia­len, öko­no­mi­schen und öko­lo­gi­schen Grün­den eigent­lich nicht zu recht­fer­ti­gen sind.

Zudem agie­ren unsere Mit­glie­der sehr oft vor Ort in unter­schied­li­chen Pro­jek­ten. Sie brin­gen sich in ihren Städ­ten ein, sit­zen im Gemein­de­rat, spre­chen ihre Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten an und der­glei­chen mehr. Auch hier gilt, dass es nur zusam­men geht und Eigen­in­itia­tive nötig ist. BUY LOCAL ist ein Ver­ein, der aus­schließ­lich durch die Mit­glie­der lebt und von ihrer Initia­tive getra­gen wird. Die Stärke des Ver­eins ist die gebün­delte Kom­mu­ni­ka­tion. Die tra­di­tio­nel­len Inter­es­sens­ver­bände über­se­hen manch­mal die Viel­falt der inha­ber­ge­führ­ten Unter­neh­men oder agie­ren nicht bun­des­weit, was zu einem kom­mu­ni­ka­ti­ven Fli­cken­tep­pich führt.

BK: In letz­ter Zeit wurde der lokale Ein­zel­han­del ja ziem­lich auf die Probe gestellt. Was hat es denn mit dem Kon­zept „Books against Corona“ auf sich?

DG: Das war eine spon­tane Idee von Bern­hard Boro­van­sky aus Öster­reich (Buch­me­dia & Brau­mül­ler Ver­lag) und Mar­tin Rieth­mül­ler (Ravens­Buch). Beide leben den BUY LOCAL Gedan­ken schon lange. Es ging zu Beginn des Shut­downs darum, das Buch als ideale Beglei­tung für den Shut­down zu posi­tio­nie­ren und als Bran­che geschlos­sen auf­zu­tre­ten. Denn gerade der Buch­han­del ist durch die Logis­tik und die Tat­sa­che, dass viele Buch­hand­lun­gen gute Online­shops haben, ideal für die Her­aus­for­de­rung in die­ser Zeit auf­ge­stellt. Es fehlt aller­dings oft das Wis­sen der Kund*innen, dass man eben nicht bei anony­men Inter­net­kon­zer­nen bestel­len muss, son­dern dies ein­fach bei der Buch­hand­lung vor Ort machen kann.

Zudem hat diese Zeit viele Buchhändler*innen extrem gefor­dert. Des­halb lag es nahe Vor­la­gen zu erstel­len, die schnell und ein­fach ver­wen­det wer­den kön­nen, ohne viel Zeit in Anspruch zu nehmen.

BK: Jetzt kom­men noch die zwei Fra­gen, denen sich jeder Besuch in der Bücher­stadt stel­len muss: Gibt es eine Frage, die Sie sich schon immer für ein Inter­view gewünscht haben? Und was ist Ihre Ant­wort darauf?

DG: Wes­halb fas­zi­nie­ren Städte?

Städte sind der Inno­va­ti­ons­mo­tor der Zivi­li­sa­tio­nen. Städte, wie wir sie ken­nen, nah­men im frü­hen Mit­tel­al­ter ihren Ursprung. Nach­na­men sind inspi­riert durch die Her­kunft aus Städ­ten. Hym­nen, Gedichte und Kriege wur­den um und für Städte geführt. Städte sind Lebens­wel­ten, die orga­nisch gewach­sen sind und unser sozia­les und wirt­schaft­li­ches Zusam­men­le­ben im Klei­nen wider­spie­geln. Wir wagen die These, dass sich ohne Urba­ni­sie­rung das kul­tu­relle Leben nicht in der Form ent­wi­ckelt hätte, wie wir es heute ken­nen. Auch heute noch sind es die Städte und Metro­po­len, die den Takt vor­ge­ben – dort spielt die Musik. Aus dem Grund wäre es schade, wenn wir diese Errun­gen­schaft auf­ge­ben und die Stadt nur noch als Kon­sum­ort defi­nie­ren, weil wir ihn dazu gemacht haben. Im Stadt­kern spielte sich seit Jahr­hun­der­ten das Leben ab, vom Markt über das ver­län­gerte Wohn­zim­mer bis hin zu Gerichts­pro­zes­sen. Las­sen Sie uns daran mit­wir­ken, dass die Stadt­kerne plu­ra­lis­ti­sche Orte blei­ben, von denen man auch in hun­dert Jah­ren noch Geschich­ten liest. Geschich­ten, die mehr erzäh­len, als von hys­te­ri­schen Black-Friday-Shoppern.

BK: Wenn Sie selbst ein Buch wären, was für eines wäre das?

DG: Sicher­lich wäre ich ein Erzähl­band mit vie­len Facet­ten aus unter­schied­li­chen Gen­res. Mein roter Faden weist viele Kno­ten, Bie­gun­gen und Aus­fran­sun­gen auf. Manch­mal würde man auch die Über­sicht ver­lie­ren, um spä­ter zu mer­ken, dass jede ein­zelne Erzäh­lung das Gesamt­bild ausmacht.

BK: Vie­len Dank für das Interview!

Ein Bei­trag zum Spe­cial #BKUm­welt. Hier fin­det ihr alle Beiträge.

Foto: BUY LOCAL // Illus­tra­tion: Satz­hü­te­rin Pia

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