Das Abenteuer von Kanis

by Bücherstadt Kurier

Kanis war stets ein beson­ders neu­gie­ri­ger Wolf gewe­sen. Ob im Kin­der­gar­ten, der ers­ten oder zwei­ten Klasse, kei­ner war vor sei­nen Fra­gen sicher. „Wieso heu­len wir den Mond an?“, erkun­digte er sich und erhielt mit „Weil das alle tun“ eine wenig span­nende Erklä­rung von sei­nen Kam­mer­aden. „Warum ler­nen wir Addie­ren vor dem Mul­ti­pli­zie­ren?“, löcherte er die Leh­re­rin, die seuf­zend begrün­dete: „Weil das eine vor dem ande­ren kommt.“ Neu­lich wollte er wis­sen, woran eine Wand­ta­fel befes­tigt sei, so brachte er einen Schrau­ben­zie­her in den Unter­richt, was den Rek­tor ziem­lich wütend gemacht hatte.
Dies­mal war sein Pro­blem aber weit grö­ßer, denn auf sei­ner Suche nach der Ant­wort, wes­halb Glüh­würm­chen Käfer statt Würm­chen sind, war er jenen leuch­ten­den Tier­chen in einen dunk­len Mär­chen­wald gefolgt und hatte sich böse ver­irrt. Da stand er nun, glei­cher­ma­ßen fas­zi­niert von der unbe­kannt-magi­schen Gegend und ängst­lich, ob er je den Rück­weg fände. Beim Gedan­ken daran, dass hin­ter dem Wald die Men­schen haus­ten, schau­derte es ihm, doch hätte er gewusst, wie diese sich ebenso vor den Wöl­fen fürch­te­ten, ja, dann wäre sein Bam­mel dem Vor­witz gewi­chen. Der Wind raschelte in den tro­cke­nen Herbst­blät­tern, ab und an fiel ein Tan­nen­zap­fen zu Boden, wäh­rend das Tages­licht lang­sam schwand. Das junge Wölf­chen frös­telte und hoffte, es würde irgend­wann in dem schau­ri­gen Baum­la­by­rinth den Nach­hau­se­weg ent­de­cken. Es hatte Hun­ger und Durst, sehnte sich nach dem Rudel, der grauen, wei­chen Mut­ter. Da! Kanis sah zwi­schen dicken Stäm­men und dich­ten Far­nen etwas glit­zern. Ohne auf die Äste zu ach­ten, die ihm aufs Näs­chen klatsch­ten, rannte er durchs Gebüsch, erreichte eine Lich­tung mit Wei­her und atmete auf – wenigs­tens etwas zu trin­ken, das war ein Anfang!
Der junge Wolf tauchte seine Schnauze ins abge­stan­dene, komisch rie­chende Was­ser und nahm erleich­tert ein paar tiefe Schlucke.
„Hallo?“, quakte es aus der Nähe und Kanis win­selte erschro­cken, machte einen mäch­ti­gen Satz zur Seite. Er wandte sich einem auf dem Was­ser trei­ben­den Blatt zu und musste sehr genau hin­se­hen und schnup­pern, um dort die gut getarnte Kröte auf­spü­ren zu kön­nen. „Wer bist du denn?“
„Gestat­ten, Johann Wolf­gang von Kröte“, stellte sich seine neue Bekannt­schaft vor, was natür­lich Kanis‘ uner­hörte Neu­gier weckte: „Eine Kröte, die Wolf­gang heißt? Ist das nicht ein Name für Wölfe?“
„Meine Eltern dach­ten wohl, Krö­ten kön­nen genauso wol­fig sein“, erwi­derte das bewarzte Tier. „Wie heißt du und was machst du hier?“
„Ich bin Kanis und habe mich ver­lau­fen. Kennst du den Weg zum Wolfsrudel?“
Johann über­legte, ehe er kur­zer­hand meinte: „Geh ein­fach immer gera­de­aus in die Rich­tung, aus der du gekom­men bist.“ Leise fügte er hinzu: „Aber sag ja nie­man­dem, dass du mich getrof­fen hast! Ich glaube näm­lich, Wölfe fres­sen Kröten.“
„Wölfe fres­sen Krö­ten?“, wun­derte sich Kanis, „Und wieso ver­rätst du mir das?“
Jahre waren ins Land gezo­gen, in denen Kanis groß und stark gewor­den war, ein wahr­lich präch­ti­ger Wolf. Dank sei­ner unstill­ba­ren Neu­gier hatte er eini­ges gelernt und war einer der klügs­ten Wölfe des Rudels gewor­den. Des­we­gen war er auch zum neuen Anfüh­rer gewählt wor­den – schließ­lich braucht ein guter Leit­wolf neben Kraft einen gewitz­ten Geist. Als Chef sorgte Kanis für die Sicher­heit der Wölfe, ach­tete auf volle Bäu­che und zufrie­dene Gesich­ter. Nur eine sei­ner vie­len Fra­gen hatte ihm nie jemand beant­wor­ten kön­nen: Warum Wölfe Krö­ten aßen. Etli­che Monde waren vor­bei­ge­zo­gen, seit er sich mit Johann Wolf­gang von Kröte, der wol­figs­ten aller Krö­ten, ange­freun­det hatte. Und er war zu der Über­zeu­gung gekom­men, man habe Freunde auf kei­nen Fall aufzufressen!

Als er eines Tages den alten Kame­ra­den zu fest ver­misste, ver­kün­dete er sei­nem Rudel, er wolle alleine eine Wan­de­rung unter­neh­men und sei bald wie­der da. Als aus­ge­wach­se­ner Wolf kam Kanis der Weg zur Lich­tung viel kür­zer und der Mär­chen­wald klei­ner vor und so langte er nach weni­gen Stun­den beim gehei­men Tüm­pel an. Kaum trat er aus dem Dickicht, rief eine Kröte panisch: „Vor­sicht, ein Wolf! Ver­steckt euch!“
„Johann, bist du das?“, knurrte er und nach einer kur­zen Stille erklang ein hei­te­res Qua­ken: „Kanis? Du bist mich besu­chen gekommen?“
Die bei­den alten Freunde begrüß­ten sich und erzähl­ten Tag und Nacht, was sie in der ver­gan­ge­nen Zeit erlebt hat­ten. „Du bist ein gro­ßer, schö­ner Wolf gewor­den“, lobte ihn Johann schließlich.
„Ich bin gekom­men, weil ich eine Idee habe“, sagte Kanis vol­ler Freude. „Ich bin jetzt der Anfüh­rer der Wölfe, das heißt, Wölfe und Krö­ten kön­nen in Zukunft fried­lich zusam­men­le­ben. Ich werde mei­nen Art­ge­nos­sen von unse­rer Freund­schaft berich­ten und sie über­zeu­gen, sich auch mit den Krö­ten anzu­freun­den.“ Was damals mit Kanis‘ kind­li­cher Neu­gier begann, sollte bald schon den Wald und die Wie­sen ver­än­dern, ein klein wenig Frie­den und Ruhe ins Tier­reich bringen.

Sarah L. R. Schnei­ter (Clue Wri­ting, www​.clu​e​wri​ting​.de)
Illus­tra­tion (Baum): Buch­stap­le­rin Maike

Ein Bei­trag zum Pro­jekt #lit­kin­der. Hier fin­det ihr alle Beiträge.

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