Das Lichtspiel

by Geschichtenerzähler Adrian

Mut­ter schenkte mir die­ses Licht­spiel, bevor sie starb. Sie meinte, es wäre mal Teil eines grö­ße­ren Mobi­les gewe­sen, wel­ches über mei­nem Bett gehan­gen hatte, als ich noch ein Baby war. Ich kann mich kaum noch daran erin­nern; höchs­tens an die Licht­schim­mer, wel­che an mei­nen Augen vor­bei­ge­zuckt sind.
Es hing wohl auch über ihrem Kin­der­bett, hatte sie wei­ter­erzählt, und ihre Mut­ter, meine Oma, hätte ihr wohl eröff­net, dass sie es von einer Fee geschenkt bekom­men hätte.
Alte Legen­den aus der alten Hei­mat. Ich habe damals dar­über gelacht. Auch meine Mut­ter hat mei­ner Oma nicht geglaubt, doch ihre letz­ten Worte waren, dass sie es gerne getan hätte. Nun, in den letz­ten Jah­ren kann ich ihren Wunsch nachempfinden.
Wäh­rend ich das Licht­spiel so betrachte, fällt mir auf, dass es nichts von sei­nem Schim­mer ein­ge­büßt hat. Noch immer sam­melt sich das Licht im Inne­ren und ver­teilt es dann regen­bo­gen­ar­tig auf seine Umge­bung. Trotz des gan­zen Schmut­zes und den gefühlt hun­dert Stür­zen, die es unheim­li­cher­weise ohne jeg­li­che Schä­den über­stan­den hat, glänzt es als wäre es gerade neu her­ge­stellt worden.
Fast hyp­no­tisch fes­selt es mei­nen Blick, wäh­rend ich es an der dün­nen Schnur hin und her drehe. Um mich herum ver­ge­hen viel­leicht gerade nur Minu­ten, doch es kommt mir vor wie Stun­den, wäh­rend meine Augen immer noch fest auf das Innere des Licht­spiels gehef­tet sind. Bei­nah ist mir so, als würde sich darin etwas bewe­gen, als würde das Licht wabern und sich win­den wie bei einer Wan­de­rung durch die neb­li­gen Hügel der alten Heimat.
In mei­nem Kopf erklingt ein Lachen. Es ist das Lachen mei­ner Mut­ter, wenn sie mich beim Spie­len beob­ach­tet hat. Ich kann mich noch genau daran erin­nern, wie sie auf der Bank des Spiel­plat­zes geses­sen hat und ich ihr zurief, sie solle doch bitte her­schauen. Meist führte ich ihr dann einen Rad­schlag oder eine andere akro­ba­ti­sche Höchst­leis­tung – zumin­dest in den Augen eines Kin­des – vor, was sie mit einem Lachen oder Klat­schen wertschätzte.
Wäh­rend ich wei­ter in das wabernde Licht starre, kom­men wei­tere Erin­ne­run­gen an damals zurück. An die lan­gen Spa­zier­gänge durch den gro­ßen Wald, wo den Legen­den nach Feen und Trolle leben soll­ten. Ganz auf­ge­regt rannte ich durch den Wald und suchte in Baum­lö­chern nach Kobold­bau­ten oder unter dem Laub nach Feen­krei­sen. Ich fand natür­lich nichts, Spaß gemacht hat es mir trotzdem.
Etwas reißt mich aus mei­nen Erin­ne­run­gen her­aus. Jemand hat mich an der Schul­ter gepackt und schüt­telt mich. Dumpf höre ich eine Män­ner­stimme auf mich ein­re­den und nur lang­sam – zu lang­sam – kehrt mein Geist zurück in die Gegenwart.
Der Mann wirkt wütend und doch klingt seine Stimme eher besorgt und hek­tisch. Er sagt etwas von Flug­zeu­gen und einer Sirene, doch ich bin gedank­lich noch zu weit weg, als dass diese Worte für mich einen Sinn erge­ben könn­ten. Er lässt meine Schul­ter los und rennt weg.
Als ich wie­der voll­kom­men bei mir bin, über­fällt mich das ohren­be­täu­bende Dröh­nen der Sirene wie ein Schlag in die Magen­grube. Eine Sekunde setzt mein Herz aus und ich springe auf. Ohne wei­ter nach­zu­den­ken packe ich mei­nen Ruck­sack und sprinte los, den ande­ren Men­schen fol­gend, die panisch in Rich­tung Luft­schutz­bun­ker eilen.
Frü­her glaubte ich, dass Feen, Kobolde und Trolle nur Phan­tas­men und Mär­chen­ge­stall­ten wären, heut­zu­tage sind sie mir rea­ler und näher als die Reden im Radio, wel­che über den bal­di­gen Sieg und das Ende des Krie­ges berich­ten. Jetzt kom­men mir eher diese Worte wie Mär­chen vor.

Der Junge fegt den Dreck und die Steine bei­seite, um an das kleine, glän­zende Ding zu kom­men, wel­ches durch die Sonne ange­strahlt wird. Es sticht ihm direkt ins Auge, als wolle es von ihm gefun­den werden.
Als er das Licht­spiel in die Sonne hebt und es betrach­tet, ist er wie gefes­selt von dem wabern­den Licht, wel­ches sich in der Glas­ku­gel hin und her win­det. Ver­träumt erin­nert der Junge sich an die Zeit, als alles noch gut war. Zwar ist er zu jung, um die Zeit vor dem Krieg erlebt zu haben, aber den­noch sind die Erin­ne­run­gen so klar als wären es seine eigenen.

Geschich­ten­er­zäh­ler Adrian
Ein Bei­trag zum Pro­jekt 100 Bil­der – 100 Geschich­ten – Bild Nr. 23.

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