Das Ticket ins Glück

by Worteweberin Annika

Ach­tung, Ach­tung, auf Gleis zwei hat Ein­fahrt der Wel­ten­ex­press! Was in die­ser ganz und gar nicht nor­ma­len fah­ren­den Schule vol­ler Geheim­nisse und Magie vor sich geht, ver­rät Anca Sturms „Der Wel­ten­ex­press“. Worte­we­be­rin Annika hat einen Sitz­platz ergattert.

Flinn Nach­ti­galls Leben ist nicht gerade leicht: Vor zwei Jah­ren ver­schwand ihr gelieb­ter Bru­der Jonte prak­tisch spur­los, die Fami­lie ist arm und Flinn muss viele Auf­ga­ben im Haus­halt über­neh­men. In der Schule ergeht es ihr auch nicht viel bes­ser: Sie hat keine Freunde und wird gehän­selt, weil sie nicht wie ein typi­sches Mäd­chen aus­sieht. Eines Nachts, Flinn sitz gerade am Bahn­steig, von dem Jonte ver­schwand, taucht plötz­lich ein nebel­haf­tes Wesen auf und kurz dar­auf ein wun­der­vol­ler Zug, den Flinn von der ein­zi­gen Post­karte von Jonte kennt. Sie steigt ein – doch ein Ticket hat sie nicht.

Damit wird Flinn zum ers­ten blin­den Pas­sa­gier an Bord. Bis der Zug wie­der in der Nähe von Flinns Zuhause hält, soll sie zwei Wochen gemein­sam mit den Schü­le­rin­nen und Schü­lern, den soge­nann­ten Pfauen, ver­brin­gen. Unter ihnen fin­det Flinn in Pegs und Kasim Freunde, in Fedor einen Jun­gen, der ihr Herz zum Rasen bringt, aber auch Feinde. Trotz­dem wünscht sie sich nichts sehn­li­cher, als hier zu blei­ben, wo sie sich end­lich zu Hause fühlt. Und wo sie Spu­ren auf den ver­schwun­de­nen Jonte fin­det. Gelingt es Flinn, ihn an Bord zu fin­den? Kann aus ihr viel­leicht doch noch ein Pfau wer­den? Und was hat es mit der sche­men­haf­ten Nebel­ge­stalt auf sich, die Flinn immer wie­der sieht?

„Harry Pot­ter“ trifft auf „Gol­de­ner Kompass“?

„Der Wel­ten­ex­press“ ist der Debüt-Roman von Anca Sturm, die schon seit ihrem elf­ten Lebens­jahr Geschich­ten schreibt. Dass der Titel vom Ver­lag mit „Harry Pot­ter“ und „Der gol­dene Kom­pass“ ver­gli­chen wird, zeigt die Hoff­nun­gen, die in den Roman gesetzt wer­den – und die dadurch natür­lich bei den Lese­rin­nen und Lesern auch geschürt wer­den. Kann „Der Wel­ten­ex­press“ dem gerecht werden?

Anca Sturm zeich­net eine fan­tas­ti­sche Welt vol­ler zau­ber­haf­ter Details. Wie in den „Harry Potter“-Büchern ver­birgt sich diese Welt in der ganz nor­ma­len Welt, doch die meis­ten Men­schen sind nicht in der Lage, sie wahr­zu­neh­men. Nur beson­dere Men­schen mit einer Aus­sicht auf eine große Zukunft kön­nen den Zug sehen. So sind auch die Schü­ler des Wel­ten­ex­press alle­samt Kin­der und Jugend­li­che, die spä­ter die Welt ver­än­dern sol­len – Zukunfts­trä­ger, die in Fächern wie „Hel­den­tum“, „Stra­te­gie & Zuver­sicht“ oder „Beneh­men“ statt Mathe unter­rich­tet wer­den. Das Set­ting erin­nert sicher­lich an J.K. Row­lings Zau­ber­schule Hog­warts, grenzt sich aber auch durch viele Ein­fälle davon ab. Diese Wel­ten­kon­zep­tion hat Poten­zial und ver­spricht eine span­nende Geschichte mit Suchtfaktor.

Figu­ren­zeich­nung

Beson­ders sind an Sturms Roman­welt auch die Figu­ren. Nicht nur Flinns Name ist nicht ein­deu­tig männ­lich oder weib­lich, auch sie selbst will nicht so sein wie viele andere Mädchen:

„Aber Flinn wollte keine Isa­belle oder Laura sein. ‚Isa­bel­les mögen Pferde und alles, was rosa ist‘, sagte sie dann, ‚und Lau­ras gehen immer zu zweit aufs Klo.‘ Es schien nur diese zwei Mög­lich­kei­ten zu geben für ein Mäd­chen in ihrem Alter. Es gehörte sicher nicht dazu, alter­tüm­li­che Wör­ter­bü­cher zu lesen oder Bume­rangs zu benut­zen.“ (S. 9)

Aber genau das macht Flinn in ihrer Frei­zeit am liebs­ten. An Bord des Wel­ten­ex­press‘ beginnt sie daher damit, Wör­ter wie „hei­me­lig“ zu sam­meln, die die ganz beson­dere Atmo­sphäre des Zuges beschrei­ben. Auch ihre neuen Freunde an Bord sind alles andere als nor­mal: Pegs liebt es, sich bunte Klei­dung zu nähen und damit ihre Schul­uni­form auf­zu­pep­pen, wäh­rend Kasim zum Ärger man­cher Leh­rer seine Haare bunt färbt und stän­dig zu spät kommt. Doch beide haben eine Ver­gan­gen­heit, die ihr rebel­li­sches Ver­hal­ten moti­viert. Und dann ist da auch noch Fedor, der Koh­len­junge, dem Flinn als ers­tes an Bord begeg­net und zu dem sie sich direkt hin­ge­zo­gen fühlt. Die Schü­ler hin­ge­gen kön­nen mit Fedor wenig anfan­gen. Und auch er hat ein Geheim­nis. Die zarte Lie­bes­ge­schichte zwi­schen den bei­den steht nie im Vor­der­grund der Hand­lung, ergänzt die span­nende, magi­sche Geschichte gen­re­ty­pisch aber auf unauf­dring­li­che Weise.

„Der Wel­ten­ex­press“ bie­tet span­nende Unter­hal­tung für junge, aber auch ältere Lese­rIn­nen, gleich­zei­tig eine sehr durch­dachte Geschichte in einer fan­tas­ti­schen Welt und noch dazu unge­wöhn­li­che Cha­rak­tere. Auch Anca Strums bild­rei­cher Schreib­stil über­zeugt mit unge­wöhn­li­chen Meta­phern und Ver­glei­chen und einer trotz­dem leicht ver­ständ­li­chen Spra­che. Im Herbst 2019 geht es wei­ter mit dem zwei­ten Band der Tri­lo­gie um den Weltenexpress.

Der Wel­ten­ex­press. Anca Sturm. Carl­sen. 2018.

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