Der französische Sherlock Holmes

by Worteweberin Annika

Ein Mann, der Vor­bild für Doyles Sher­lock Hol­mes, Dumas‘ Graf von Monte Christo und Hugos Jean Val­jean und Inspek­tor Javert war und noch dazu die moderne Kri­mi­no­lo­gie geprägt hat, der als ver­ur­teil­ter Ver­bre­cher anfing, für die Pari­ser Poli­zei zu arbei­ten – das klingt span­nend! Von die­sem Mann erzählt Wal­ter Han­sen in „Der Detek­tiv von Paris“. Worte­we­be­rin Annika ist mit auf Spu­ren­su­che gekommen.

Fran­çois Vidocq wächst als Sohn eines Bäckers in beschei­de­nen Ver­hält­nis­sen auf. Um lesen und schrei­ben zu ler­nen, greift er auf einen Geist­li­chen zurück, der in den Ver­bre­cher­vier­teln arbei­tet. Dort schnappt er auch meh­rere Fremd­spra­chen auf, dar­un­ter das Rot­welsch, die Spra­che der Unter­welt. Durch seine Kon­takte gerät Vidocq jedoch unbe­ab­sich­tigt auf die schiefe Bahn, muss seine Hei­mat­stadt und die Eltern ver­las­sen und lebt unter fal­schem Namen. Doch er fliegt immer wie­der auf, kommt ins Gefäng­nis, bricht aus, fliegt wie­der auf…

In drei­zehn Jah­ren kommt Vidocq auf respek­ta­ble 25 Aus­brü­che, bevor er dem Poli­zei­prä­si­den­ten einen Vor­schlag unter­brei­tet: „Enga­gie­ren Sie mich als Poli­zist!“ Mit sei­nem lange Jahre ange­sam­mel­ten Wis­sen kann Vidocq die fran­zö­si­sche Poli­zei refor­mie­ren und gleich­zei­tig ein neues Leben beginnen.

Ein­mal abstau­ben, bitte!

Eine span­nende Per­sön­lich­keit, über die Wal­ter Han­sen da schreibt. Sein Buch über Vidocq erschien ursprüng­lich schon 1980 und wurde nun 2018 neu auf­ge­legt. Der über­ar­bei­te­ten Neu­aus­gabe merkt man jedoch an, dass sie geal­tert ist. Auch wenn heu­tige junge Lese­rin­nen und Leser natür­lich noch so gut wie alles ver­ste­hen kön­nen (wobei einige fran­zö­si­sche Begriffe Schwie­rig­kei­ten berei­ten dürf­ten), sind einige von Han­sens Aus­drü­cken doch ange­staubt – „Gau­ner­streich“ würde heute wohl nie­mand mehr zu einem ernst­haf­ten Ver­bre­chen sagen.

Hinzu kommt, dass Han­sen stel­len­weise sehr tro­cken erzählt. Man erhält nur wenig Ein­blick in die Gefühls- und Gedan­ken­welt der Figu­ren, vor allem nicht in den Prot­ago­nis­ten Vidocq und so wird wenig Anlass zum Mit­fie­bern gege­ben. Noch dazu kommt die Erzäh­lung nur lang­sam in Fahrt, da erst aus­führ­lich Vidocqs Kind­heits- und Jugend­ge­schichte erzählt wird. Natür­lich ist die wich­tig, um sein spä­te­res Han­deln ver­ste­hen zu kön­nen, doch so dau­ert es lange, bis der eigent­lich inter­es­sante Teil kommt.

Für ange­hende Kriminalisten

„Der Detek­tiv von Paris“ gerät durch diese Punkte weni­ger zu einem span­nen­den Jugend­ro­man als eher zu einem sach­li­chen Bericht über eine zuge­ge­be­ner­ma­ßen sehr inter­es­sante Per­son. Hier wer­den beson­ders Lese­rin­nen und Leser mit kri­mi­na­lis­ti­schem und his­to­ri­schem Inter­esse ihre Freude fin­den. Han­sen baut viele Infor­ma­tio­nen über die Poli­zei­ar­beit ein, aber zum Bei­spiel auch über den Her­gang der fran­zö­si­schen Revo­lu­tion fin­den sich genaue Beschrei­bun­gen. Das wirkt aus heu­ti­ger Sicht beleh­rend und zeigt, wie sehr sich die Kin­der- und Jugend­li­te­ra­tur in den letz­ten vier­zig Jah­ren ver­än­dert hat.

Der Detek­tiv von Paris. Das aben­teu­er­li­che Leben des Fran­çois Vidocq. Wal­ter Han­sen. Ueber­reu­ter. 2018.

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