„Der Herr der Ringe“ und ich

by Bücherstadt Kurier

Stadt­be­su­cher Alex­an­der erin­nert sich an seine erste Lese­er­fah­rung mit „Der Herr der Ringe“ des eng­li­schen Autors James Ronald Reuel Tol­kien. Das Werk erschien 1954/55 zunächst in Eng­land und wurde Anfang die­ses Jahr­hun­derts in drei Tei­len von Peter Jack­son ver­filmt. Die­ses Jahr wird Tol­ki­ens 125. Geburts­tag gefeiert.

Bedeu­tung des Buches für mich

Ich glaube nicht, dass es heute immer noch so ist, aber es gab ein­mal eine Zeit, in der ich als meine bei­den bedeu­tends­ten Lese­er­leb­nisse die fol­gen­den Bücher nannte: „Der Herr der Ringe“ von J. R. R. Tol­kien und „Der Zau­ber­berg“ von Tho­mas Mann. Das erin­nert mich ein biss­chen daran, dass ich ein­mal „Spiel mir das Lied vom Tod“ von Ser­gio Leone und „Exca­li­bur“ von John Boor­man als meine bei­den Lieb­lings­filme ange­ge­ben habe.

In bei­den Fäl­len haben die Bücher bezie­hungs­weise Filme nicht viel mit­ein­an­der gemein und tat­säch­lich sind die Gründe für die Bedeu­tung, die sie für mich hat­ten, sehr unter­schied­lich. War es beim „Zau­ber­berg“ die lite­ra­ri­sche und phi­lo­so­phi­sche Qua­li­tät des Wer­kes, die tat­säch­lich zum Teil auch mein Welt­bild bis heute geprägt hat – also ein eher intel­lek­tu­el­ler Grund – so war es beim „Herr der Ringe“ die emo­tio­nale Berüh­rung, aus­ge­löst durch die sehr detail­lierte Schil­de­rung der Fan­ta­sie­welt Mittelerdes.

Rück­bli­ckend dürfte wohl auch die dama­lige Lese­si­tua­tion ihren Teil dazu bei­getra­gen haben. Ich habe ziem­lich lange dafür gebraucht, die drei Bände des „Herrn der Ringe“ durch­zu­le­sen und einen ziem­li­chen Fort­schritt machte ich in einer Zeit, in der ich krank­heits­be­dingt eine Weile nicht in die Schule gehen konnte. Ich hatte eine starke Erkäl­tung und war zwar kör­per­lich schlapp, geis­tig aber kaum ein­ge­schränkt und hatte auch keine Schmer­zen. Ich glaube, dass dies eine Kom­bi­na­tion ist, in der man sehr emp­fäng­lich für die Auf­nahme lite­ra­ri­scher Texte ist, da man sich einer­seits geis­tig voll auf den Text kon­zen­trie­ren kann, ande­rer­seits durch die gesund­heit­li­che Ein­schrän­kung nicht durch die Alter­na­tive einer kör­per­li­chen Beschäf­ti­gung abge­lenkt ist.

Ich las dabei gerade die wun­der­schöne Beschrei­bung von Lórien, die auch auf des­sen Geschichte Bezug nimmt (ziem­lich am Ende der „Gefähr­ten“, des ers­ten Bands). Diese Peri­ode des Lesens wäh­rend der Krank­heit erstreckte sich bis auf den Beginn des zwei­ten Bands, „Die zwei Türme“, wo nach dem Zer­bre­chen der Gemein­schaft Frodo und Sam ver­su­chen, den Ring im Schick­sals­berg zu ver­nich­ten, Merry und Pip­pin von Orks ent­führt wor­den sind und Ara­gorn, Lego­las und Gimli wie­derum die Ent­füh­rer jagen. Hier ist also auch die Hand­lung sehr dazu ange­tan, viel Empa­thie zu entwickeln.

Wie ich zu dem Buch kam

Ich kam mit dem „Herrn der Ringe“ zum ers­ten Mal in Berüh­rung, als meine Eltern nach einem „Urlaub“ (mein Vater, der Rechts­an­walt war, hatte einen Lehr­gang an einem auch tou­ris­tisch inter­es­san­ten Ort und meine Mut­ter beglei­tete ihn, um rich­ti­gen Urlaub zu machen) wie­der zu Hause waren. Dort hat­ten sie einen Mann ken­nen­ge­lernt, der ihnen von die­sen Büchern vor­ge­schwärmt hatte. Dar­auf­hin brach­ten sie die Tri­lo­gie aus dem Urlaub mit. Das muss Mitte der Sieb­zi­ger gewe­sen sein.

Meine Mut­ter begann zu lesen, hörte aber bald auf, weil sie mit den vie­len Namen durch­ein­an­der kam. Sie zeigte in der Folge auch kei­ner­lei Inter­esse mehr an die­sen Büchern. Statt­des­sen begann mein älte­rer Bru­der damit, sie zu lesen. Als ich kurz danach die Bücher zur Hand nahm, hatte mein Bru­der sich bereits die Vor­ge­schichte „Der kleine Hob­bit“ gekauft.

Dass dies die Vor­ge­schichte war, wusste ich zunächst nicht. Erst als ich bereits anfan­gen wollte, den Herrn der Ringe zu lesen, bekam ich mit, dass er auf dem klei­nen Hob­bit beruhte und begann meine Reise nach Mit­tel­erde mit die­sem ver­gleichs­weise dün­nen Buch. Das war bereits ein sehr star­kes Lese­er­leb­nis für mich, allein schon die erste Szene, als ein Zwerg nach dem ande­ren zu Bilbo in seine Höhle kommt, fand ich sehr beein­dru­ckend und sie erin­nerte mich an nichts, was ich bis­her gele­sen hatte.

Der Herr der Ringe

Dann kam aber der „Herr der Ringe“. Am fas­zi­nie­rends­ten finde ich die zugrun­de­lie­gende Fan­ta­sie­welt, die sich Tol­kien aus­ge­dacht hat. Wobei ich erst viel spä­ter durch die Lek­türe des „Sil­ma­ril­lion“ erfuhr, wie er diese Welt von der Grün­dung durch die „Göt­ter“ bezie­hungs­weise Eru Ilú­vatar und die Ainur über die ver­schie­de­nen Zeit­al­ter, die auch eine phy­si­sche Ver­än­de­rung der Welt mit sich brach­ten, bis zur fik­ti­ven „Gegen­wart“ Mit­tel­er­des ent­wor­fen hat. Wie er sich unzäh­lige Spra­chen aus­dachte, die wie­derum von ihrer „Sprach­phi­lo­so­phie“ her zu den­je­ni­gen pas­sen sol­len, die sie ver­wen­den. Noch spä­ter, nach dem Lesen einer Bio­gra­phie über Tol­kien, habe ich erfah­ren, dass er sich erst diese Spra­chen aus­ge­dacht und dann eine Welt erfun­den hat, die zu die­sen Spra­chen passte. Er war ja auch eigent­lich Sprach­wis­sen­schaft­ler von Beruf.

Alles das muss man nicht wis­sen, um den „Herrn der Ringe“ mit Ver­gnü­gen lesen zu kön­nen. Diese Hin­ter­gründe machen aber klar, auf welch hohem Niveau diese Bücher im Ver­gleich zur Fan­tasy-Durch­schnitts­li­te­ra­tur anzu­sie­deln sind. Auch wenn man die genaue his­to­ri­sche Ein­bet­tung der Hand­lung im „Herrn der Ringe“ in die gesamte Ent­wick­lung Mit­tel­er­des nicht kennt, spürt man sie mei­ner Mei­nung nach durch die Kon­sis­tenz aller erwähn­ten his­to­ri­schen Bege­ben­hei­ten und die dar­aus ent­ste­hende mythi­sche Kraft. Inso­fern ist der „Herr der Ringe“ mythi­schen Roma­nen, die auf der Erde spie­len wie „Die Nebel von Ava­lon“ viel­leicht sogar ver­wand­ter als ein­schlä­gi­ger Fantasy-Literatur.

Als Fazit würde ich sagen, dass der „Herr der Ringe“ sowohl durch die Kraft sei­ner Spra­che als auch durch den Hin­ter­grund einer detail­ge­treu aus­ge­ar­bei­te­ten fan­tas­ti­schen, in sich aber kon­sis­ten­ten Welt und durch die Viel­zahl der darin vor­kom­men­den Lebe­we­sen ein sehr unter­halt­sa­mes Lese­ver­gnü­gen ver­spricht. Man muss sich aber auch dar­auf ein­las­sen wol­len und die bei­lie­gen­den Land­kar­ten immer wie­der zur Orts­be­stim­mung heranziehen.

Man sollte mei­ner Mei­nung nach auch die Lek­türe mit „Der kleine Hob­bit“ begin­nen. Schließ­lich wird hier der Ring gefun­den, mit dem alles sei­nen Anfang nimmt. Sicher­lich tra­gen auch die Ver­fil­mun­gen des „Herrn der Ringe“ und des „klei­nen Hob­bits“ durch Peter Jack­son dazu bei, die Emp­fin­dun­gen wäh­rend des Lesens wie­der her­vor­zu­ru­fen oder, wie bei mir, zum Wie­der­le­sen anzu­re­gen, auch wenn es einige Unter­schiede zwi­schen der Buch- und der Film­hand­lung gibt. Diese sind aller­dings nicht so groß, wie es bei Lite­ra­tur­ver­fil­mun­gen sonst üblich ist.

Illus­tra­tion: Sei­ten­künst­ler Aaron

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2 comments

Satzhüterin Pia 16. September 2017 - 8:48

Ein schö­ner Text, der irgend­wie Lust macht, den Herrn der Ringe wie­der zur Hand zu neh­men! Ich habe das Buch auch gele­sen. „Das Buch“, weil ich eine Aus­gabe mit allen drei Tei­len zusam­men besitze. Ein irrer Schin­ken, mit dün­nen Sei­ten, wie man sie sonst aus der Bibel kennt. Viel­leicht sind die drei Teile für sich ein biss­chen moti­vie­ren­der, denn so viele Sei­ten auf ein­mal machen müde Arme und den kaum sicht­ba­ren Fort­schritt über lange Zei­ten, hilft auch kaum. Ich habe es aber nichts desto trotz sehr gerne gele­sen und bin auch sehr beein­druckt, was Tol­kien da eigent­lich geschaf­fen hat! Irgend­wann nehme ich es sicher­lich wie­der zu Hand...

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Der Fall von Gondolin – Bücherstadt Kurier 4. September 2019 - 11:56

[…] „Der Herr der Ringe und ich“ […]

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