Der Mond, ein Tango, rot Eine Gute-Nacht-Geschichte für R.

by Bücherstädterin Silvia

Neu­gie­rig lugte der Mond zwi­schen den sich in alle Him­mels­rich­tun­gen ver­streu­en­den Wol­ken her­vor. Fast eine ganze Woche lang war ihm nun die Sicht auf die Erde ver­sperrt gewe­sen. Daher freute er sich jetzt umso mehr, den unter­halt­sa­men Zeit­ver­treib des Beob­ach­tens des blauen Pla­ne­ten wie­der auf­neh­men zu können.
Schon fiel dem Mond etwas ins Auge: eine ruhige Park­land­schaft, die – in sein Licht geba­det – ganz bezau­bernd aus­sah. Dort erblickte er eine kleine roman­ti­sche Brü­cke, auf der sich zwei Mensch­lein befan­den: ein Mann in schwar­zer Hose und wei­ßem Hemd und eine Frau im roten Kleid.
Schwei­gend stan­den die bei­den neben­ein­an­der am Brü­cken­ge­län­der, den eige­nen Gedan­ken nach­hän­gend, und abwech­selnd aufs Was­ser hinab oder in die Ferne hin­aus bli­ckend. Irgend­wann legte der Mann einen Arm um die Frau und zog sie näher zu sich heran. Sie barg ihr Gesicht an sei­ner Schul­ter. Die bei­den wirk­ten so – glücklich.
Dem Mond wurde ganz selt­sam bei die­sem Anblick. Wenn er es nicht bes­ser gewusst hätte, hätte er fast gesagt, er wäre eifer­süch­tig auf die bei­den. Aber das war unmög­lich, oder? Immer­hin war er der Mond. Eifer­sucht war unlo­gisch für ihn… Und doch, fühlte nicht auch er sich manch­mal einsam?
In die­sem Moment began­nen die Sterne zu sin­gen. Als ob sie es auch hören könn­ten, fin­gen unten auf der Erde der Mann und die Frau im roten Kleid an zu tan­zen. Zuerst ein sanf­tes Sich-Hin-und-Her-Wie­gen. Dann wurde das Schau­keln immer stär­ker, die Schritte muti­ger, der Aus­druck leidenschaftlicher.
„Ein Tango!“, stellte der Mond ent­zückt fest. Begeis­tert sah er den bei­den Men­schen zu, bis sie ihren Tanz been­de­ten und den Park ver­lie­ßen – viel­leicht um ihr Bei­sam­men­sein anderswo fortzusetzen.
Die Sterne waren ver­stummt. Der Park lag ver­las­sen da. Der Mond war wie­der einsam.
Er schloss die Augen und horchte gleich­zei­tig in sich hin­ein und hin­aus in die Wei­ten des Weltalls.
Eine Weile lang ver­nahm er nichts. Dann ein Rascheln. Ein Kichern. Eine sanfte Melo­die. Der Mond öff­nete die Augen und erblickte den Wind, der durch das Schilf huschte, ihm zuzwin­kerte und dabei spitz­bü­bisch grinste.
Bei die­sem Anblick wurde dem Mond wie­der anders ums Herz. „Hallo, alter Freund!“, rief er, über die Maße erfreut über das Wiedersehen.
Als der Wind diese Worte ver­nahm, ver­ließ er das Schilf und rauschte schnur­stracks zum Mond empor. Sachte, fast zärt­lich strich er dem Gestirn über Augen, Wange, Stirn und Nase. „Guten Abend, Liebster.“
Der Mond wurde rot. Der Wind ging galan­ter Weise nicht näher dar­auf ein und fragte statt­des­sen: „Dürfte ich wohl um die­sen Tanz bitten?“
Der Mond nickte ver­le­gen, Logik hin oder her. Konnte es sein, dass er tat­säch­lich nicht län­ger ein­sam war?
Die Sterne began­nen zu sin­gen. Tango natürlich.

Text: Bücher­städ­te­rin Silvia
Illus­tra­tion: Bücher­städ­te­rin Kristina

Weiterlesen

Leave a Comment

Diese Seite verwendet Cookies. Mit der Nutzung unserer Website erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. OK Erfahre mehr